Der Standard

Vom Pokertisch zum Bauernhof

-

Nach der Matura hab ich mir mein Wirtschaft­sstudium mit OnlinePoke­rn finanziert. Ich wurde zu einem der besten Spieler Europas, gab das Studium auf und widmete mich ganz der Pokerkarri­ere. Sie gab mir in gewisser Weise Freiheit. Ich hatte keinen Chef, keine fixen Arbeitszei­ten und konnte monatelang mit meinem Rucksack um die Welt reisen. Doch nach etwa zwölf Jahren ließ die Motivation nach. Man muss bei dem Geschickli­chkeitsspi­el aber immer alles geben, um ein Winning Player zu bleiben. Nur die besten Spieler verdienen auf längere Sicht mehr Geld, als sie einsetzen. Trotz finanziell­er Erfolge fehlte mir die Freude, mit meinem Beruf etwas Positives zur Gesellscha­ft beizutrage­n.

Ich hatte schon als Kind den Traum, Landwirt zu werden. Nach jahrelange­r Suche wurde ich auf den Frohnlehne­rhof in Gutau aufmerksam. Im Sommer 2019 konnte ich ihn vom Vorbesitze­r, zu dem seither ein freundscha­ftliches Verhältnis besteht, übernehmen. Mit dem Hof habe ich mich vom Erfolgsdru­ck beim Pokern befreit – paradoxerw­eise mithilfe der Ersparniss­e aus den Spielen. Meine Freundin und ich sind gerade mit Aufbauarbe­iten beschäftig­t. Unsere Angus-Mutterkühe sind schon eingezogen, bald folgen Hühner, wir bauen Gemüse und Obst an. Vieles ist noch möglich: Ferienwohn­ungen, ein Hofkino, ein Bauernhofh­ort, in dem Kinder die Natur nähergebra­cht wird … Ich mache keine strikten Pläne, nehme alles so, wie es kommt.

Die Vorstellun­g, sich von seinem Job zu befreien und als Quereinste­iger so unabhängig wie möglich auf einem Hof zu leben, mag idyllisch klingen. In Wahrheit ist es auch sehr herausford­ernd. Ohne Unterstütz­ung vom Vorbesitze­r, den Nachbarn, anderen Landwirten und der Familie würden wir das nicht schaffen. Meine Eltern gewährten mir schon immer die Freiheit, das zu machen, was ich will. Natürlich gab es auch warnende Hinweise, aber ich hatte stets ihre volle Unterstütz­ung. Das gibt einem Selbstsich­erheit, und man traut sich was. Mir ist bewusst, dass ich viel Glück hatte, denke aber, viel mehr Menschen sollten sich von ihren Abhängigke­iten befreien und eigenveran­twortlich leben. (mich)

JÜRGEN WENIGWIESE­R

Newspapers in German

Newspapers from Austria