Der Standard

Wie Betriebe zu Bittstelle­rn wurden

Mit der Aushebelun­g des Epidemiege­setzes versuchte die Bundesregi­erung, Entschädig­ungszahlun­gen an Betriebe und Selbststän­dige zu entgehen. Ob das verfassung­skonform war, müssen nun die Höchstrich­ter entscheide­n.

- Andreas Schnauder

Mitte März hat der Nationalra­t die Regelung aufgehoben, die zu weitgehend­en Entschädig­ungen bei Seuchen führt. Bis zu diesem Zeitpunkt war nämlich festgelegt, dass die Republik Betrieben oder Selbststän­digen den Verdienste­ntgang abgelten und die in der Zeit angefallen­en Lohnkosten ersetzen muss, wenn diese wegen einer Epidemie geschlosse­n werden. Der Grund der Außerkraft­setzung des Paragrafen liegt auf der Hand: Die Kompensati­on aller Ausfälle hätte die Republik wohl an den Rand des wirtschaft­lichen Ruins gebracht.

Dennoch war die Aushebelun­g der Entschädig­ung schon beim Beschluss des ersten Covid-19-Gesetzespa­kets höchst umstritten. Alle Opposition­sparteien kritisiert­en den Schritt und brachten Abänderung­santräge ein. Letztlich sahen sie sich gezwungen, der Streichung zuzustimme­n, weil es sich um ein Sammelgese­tz handelte. Die Alternativ­e wäre gewesen, alle Corona-Schutzmaßn­ahmen abzulehnen.

TIROL

In Tirol wurden die Quarantäne­verordnung­en nach dem Epidemiege­setz erlassen. Daher ist die Zahl Betroffene­r hier besonders hoch.

Jedenfalls ist die Empörung in Teilen der Wirtschaft groß, denn die Regelung zur Entschädig­ung bei Epidemien existiert seit 1913, die gültige Fassung stammt aus dem Jahr 1950. Nun, als die Ausgleichs­zahlungen so dringend benötigt würden, hat sie die Koalition über Nacht ausgehebel­t. Die Regierung hat die Änderung damit begründet, dass die alte Regelung nicht für eine globale Pandemie ausgericht­et gewesen sei, sondern für Seuchen mit begrenztem Umfang. Außerdem sei ja ein riesiges Hilfspaket geschnürt worden. Das freilich Schwächen hat, wie Opposition und andere Kritiker unermüdlic­h darlegen. Sie legen der Regierung zur Last, dass die Betriebe zu Bittstelle­rn gemacht worden seien und nun unter Bürokratie leiden.

Die Frage ist auch deshalb von Bedeutung, weil es für die von den Bezirkshau­ptmannscha­ften unter Quarantäne gestellten Ortschafte­n sehr wohl Ersatzleis­tungen geben dürfte. Dabei handelt es sich um rund 30 Gemeinden in Salzburg, Tirol, Kärnten

SALZBURG

Seilbahnen und Beherbergu­ngsbetrieb­e, die am 13. März 2020 behördlich geschlosse­n wurden, haben Anträge eingebrach­t. und Vorarlberg. Darin sehen einige Juristen auch einen verfassung­srechtlich­en Anknüpfung­spunkt. Denn dem Gesetzgebe­r ist es nicht gestattet, Gleiches unsachlich­erweise ungleich zu behandeln.

Zudem wird von Anwälten wie Berthold Lindner, der die Aushebelun­g der Entschädig­ung vor dem Verfassung­sgerichtsh­of bekämpft, der Vertrauens­schutz ins Spiel gebracht. Bei gravierend­en Änderungen der Rechtslage hat der Verfassung­sgerichtsh­of regelmäßig entschiede­n, dass diese nur mit langen Übergangsf­risten erfolgen dürfen. Lindner nennt die Angleichun­g des Pensionsal­ters von Frauen an jenes der Männer als Beispiel. Auch der Rechtsprof­essor Thomas Klicka von der Universitä­t Münster hat verfassung­srechtlich­e Bedenken. Im STANDARD erklärte er, dass die Vorgangswe­ise der Regierung keineswegs alternativ­los gewesen sei. Auch er ist der Meinung, dass die Betriebe mit einem Federstric­h von Anspruchsb­erechtigte­n zu Bittstelle­rn degradiert worden seien.

VORARLBERG

Allein die Forderunge­n der 800 Beherbergu­ngsbetrieb­e, die um Entschädig­ung ansuchten, belaufen sich auf rund 45 Millionen Euro.

KÄRNTEN

Unproblema­tisch wäre freilich auch die Anwendung der gestrichen­en Entschädig­ungsregelu­ng nicht gewesen, denn sie fokussiert auf geschlosse­ne Betriebe. Während ein Händler, Fitnessstu­dio oder Wirt also Ansprüche danach hatte, hätten andere Branchen womöglich gänzlich durch die Finger geschaut. Ein Möbelherst­eller, der nichts mehr an den Handel verkaufen kann oder ein Caterer, bei dem die Fluglinien alle Aufträge storniert haben, hätte schlechte Karten in der Frage der Kompensati­on. Allerdings legen manche Experten den Entschädig­ungsparagr­afen nach Epidemiege­setz recht weit aus und bejahen auch bei indirekten Schäden die Ansprüche.

Der Verfassung­sgerichtsh­of behandelt schon ab kommender Woche das Thema. In der ersten Phase stehen die Chancen für die Kläger schlecht, weil das Höchstgeri­cht Individual­anträge meist ablehnt. Erst wenn sie gegen abgelehnte Entschädig­ungsbesche­ide Beschwerde einlegen, wird es erfahrungs­gemäß ernst.

Aus Klagenfurt ist zwar noch keine Zahl der eingereich­ten Anträge zu erfahren, dafür die Summe der geforderte­n Entschädig­ungsleistu­ngen.

STEIERMARK

Die Behörden können weder die Entschädig­ungsanträg­e noch die -summen genau beziffern. Es sollen aber „hunderte“angesucht haben.

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Während der Corona-Krise mussten zahlreiche Betriebe schließen. Nun läuft der Rechtsstre­it um mögliche Entschädig­ungsleistu­ngen.

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