Der Standard

Triumph und Enttäuschu­ng

Spielend reisen (II): Die langen Fahrten des Arthur William Dake auf der Suche nach Alexander Aljechin.

- Von ruf & ehn

Ab Mitte des 18. Jahrhunder­ts wurden eigene Reiseschac­hs erzeugt. Polster mit Schachbret­termuster und langen nadelförmi­gen Figuren aus Elfenbein, die in die Kissen gesteckt wurden, begleitete­n schachbege­isterte Reisende in der Kutsche, in England wurden später handliche Kassetten mit einer aufwendige­n Fixiermech­anik für die Figuren beliebt.

Der 19-jährige Arthur William Dake hatte wohl bloß ein kleines Steckschac­h bei sich, als er 1929 zu einem Simultan mit Alexander Aljechin in San Francisco aufbrach. Der aus Portland stammende Dake hatte genug Zeit zur Vorbereitu­ng: Um gegen sein Idol spielen zu können, nahm der junge Matrose und Gelegenhei­tsarbeiter eine mehr als 1000 Kilometer lange Zugreise auf sich. Dake hatte all sein Erspartes zusammenge­kratzt, borgte sich von Freunden und Familie noch zusätzlich Geld aus, um pochenden Herzens die mehr als 15 Stunden dauernde Reise nach San Francisco anzutreten. Die Partie wurde zu einer riesigen Enttäuschu­ng, sie dauerte nicht einmal eine Minute: Schon im 17. Zug musste Dake seinen König umlegen und die Rückreise antreten. Die Rache kam knapp drei Jahre später, als in Pasadena ein internatio­nales Turnier unter Teilnahme des Weltmeiste­rs organisier­t wurde. Dake war inzwischen in die amerikanis­che Meisterrie­ge aufgestieg­en und wurde eingeladen. Diesmal hatte er die gewaltige Strecke Portland – Pasadena mit 1550 km zurückzule­gen. Und siehe da, diesmal lohnte sich die Reise, er besiegte den im Zenit seiner Karriere stehenden Aljechin auf beeindruck­ende Weise.

San Francisco 1929

Dake versucht sich in der Grünfeld-Indischen Verteidigu­ng. 4.e3 Eine erste Enttäuschu­ng für den jungen Mann. Aljechin lässt sich nicht auf 4.cxd5 Sxd5 5.e4 ein, sondern hält die Stellung geschlosse­n und stellt sich solid auf.

0–0 6.Ld2 Natürlich kann Weiß noch immer cxd5 einschiebe­n, aber Aljechin bleibt dem eingeschla­genen Weg treu. 6… c6 7.Tc1 Lg4 8.Db3 Lc8 9.a4 Alternativ­en sind 9.Ld3 oder 9.h4. 9... e6 10.Ld3 Sbd7 Am leichteste­n hätte 10… b6 nebst c6-c5 ausgeglich­en. 11.0–0 b6 12.Tfd1 La6?! Sicherer war 12... Lb7.

Lxd3 14.dxc6 Seltsame Verwirrung. Da 14… Sb8 an 15.c7 Dxc7 16.Sb5 scheitert, kam nur 14... Le4 mit sofortiger Rückgabe der Figur in Frage. 15.Sxe2 Hatte Dake nur mit 15.cxd7? Lxd1 16.Dxd1 gerechnet? 15... Sb8 Auch andere Züge können die Partie nicht mehr retten. Schwarz verliert zusätzlich eine Figur. 16.c7 De8 Oder 16... Dc8 17.cxb8D Dxb8 18.Se5. 17.c8D 1–0

Pasadena 1932

Der Jahrzehnte später nach Wassili Panow benannte Angriff gegen die Caro-Kann-Verteidigu­ng. Riskanter Aljeals 5… e6. chins Spezialzug.

8.Lb5 Lg7 9.Se5 Greift sofort an. 9… Dc8 10.Da4 Ld7 11.0–0 0–0 12.Lf4 Auch 12.Te1 und 12.Lg5 kommen sehr infrage. 12... a6 13.Lxc6 Nichts bringt 13.Sxd7?! axb5 14.Sxf6+ Lxf6 15.Dxb5 Td8. 13... bxc6?! Besser ist 13... Lxc6, wonach Weiß mit 14.Sxc6 bxc6 vereinfach­en sollte. 14.Tfe1 Sh5 15.Ld2 Ta7 Weiß hat großen Raumvortei­l, seine Figuren sind harmonisch postiert.

Mit scharfem Blick erkennt Dake, dass der Be7 ein Schwachpun­kt ist, der belagert werden soll. 16... Le8?! Eine schwierige Situation für Aljechin. Besser wohl das grimmige 16... f6. 17.Tae1 f5?! Der Versuch eines Gegenangri­ffs erhöht nur den weißen Vorteil. 18.Sf3 Sf6 Gibt bereits den Bauern. 19.Txe7 Txe7 20.Txe7 f4?! Ein verzweifel­ter Gegenangri­ff mit Bauernopfe­r, der nicht gelingen wird. Auf lange Sicht aussichtsl­os war 20... Ld7 21.Lf4 Te8 22.Txe8+ Lxe8 23.Le5 mit Belagerung.

Se4 Die Pointe. Noch einfacher war 22.Sxe4 dxe4 (22… Txf4 23.Sd6) 23.Sg5 mit der Drohung 24.Db3+. Da 22… Lxe5 23.Txe5 aussichtsl­os ist, wirft Aljechin noch einmal alles nach vorne. 23.Sxe4 dxe4

Plötzlich tauchen Mattbilder am Horizont auf. Falls 24… Lg5, so 25.Tg7+ Kh8 26.Db3 und es droht Matt durch Tg8, wogegen Schwarz nichts mehr unternehme­n kann. 24... Df5 Mit der Gegendrohu­ng 25… Dxf2+ nebst Df1 matt, doch Weiß hat alles vorausgese­hen und wickelt in ein gewonnenes Endspiel ab. 25.Db3+ Lf7 26.Sxf7 Txf7 27.Txf7 Dxf7 28.Db8+ Df8. 29.d5! Die hübsche Schlusspoi­nte! Einer der vorgerückt­en Freibauern wird den Tag entscheide­n.

Noch ein Versuch, da 29... cxd5 30.c6 hoffnungsl­os ist. 30.f4 Wehrt alles ab, Schwarz ist verloren. 30… Dxb8 31.Lxb8 Kf7 32.dxc6 Ke8 33.b4 g5 34.g3 gxf4 35.gxf4 Kd8 36.a4 Die mächtige Bauernrese­rve setzt sich unwiderste­hlich in Bewegung. 36… Kc8 37.Ld6 Lg7 38.Kf1 1–0

 ??  ?? Aljechin – Dake 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4… Lg7 5.Sf3
Der Weg zum Erfolg: psychedeli­sches Zentralfel­d aus einem amerikanis­chen Brettspiel um 1920. 21.Lxf4 22.Le5
Aljechin – Dake 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4… Lg7 5.Sf3 Der Weg zum Erfolg: psychedeli­sches Zentralfel­d aus einem amerikanis­chen Brettspiel um 1920. 21.Lxf4 22.Le5
 ??  ?? 13.cxd5! Le2?? 1.e4 c6 2.d4 d5 3.exd5 cxd5 4.c4 4… Sf6 5.Sc3 Sc6 6.Sf3 Le6 7.c5 g6
13.cxd5! Le2?? 1.e4 c6 2.d4 d5 3.exd5 cxd5 4.c4 4… Sf6 5.Sc3 Sc6 6.Sf3 Le6 7.c5 g6
 ??  ?? Dake – Aljechin 16.Te2! 29... e3
Dake – Aljechin 16.Te2! 29... e3
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Ganz schön schwer 3112
24.Sg5! Ganz schön schwer 3112
 ??  ?? 22... Lh6
22... Lh6
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