Der Standard

Die Revolution wird nicht gehashtagt

Was ist neu an der Protestbew­egung von Black Lives Matter? Der Kampf gegen Rassismus ist universell­er geworden. Doch die Symbolpoli­tik reicht an die Realität schwer heran.

- Dominik Kamalzadeh

Würgegriff, Schlagstoc­k an der Kehle und das Knie auf dem Nacken. Drei Versionen von „neck restraint“hat der US-Filmemache­r Spike Lee, kurz nachdem die Proteste über den Tod von George Floyd begonnen hatten, zu einem Video montiert und veröffentl­icht. 3 Brothers: Radio Raheem, Eric Garner and George Floyd zeichnet eine Art Moebiussch­leife institutio­neller Gewalt, und trotz seiner Kürze von knapp eineinhalb Minuten ist der Film nur schwer zu ertragen.

Auf drei Fälle ausgeweite­t – Radio Raheem stammt aus Lees eigenem Film Do the Right Thing (1989), basiert jedoch auf dem realen Fall von Michael Stewart –, wirkt die Montage der polizeilic­hen Hand- und Übergriffe plötzlich absichtsvo­ll, abgestimmt: ein Ballett des Tötens. „Wird die Geschichte aufhören, sich zu wiederhole­n?“, steht als Frage am Ende auf einem Bildinsert zu lesen.

Bei einem bemerkensw­erten TV-Auftritt auf CNN stellte Lee die Toten gegenüber dem betreten blickenden Anchorman Don Lemon in ein Verhältnis zur Sklaverei: „400 Jahren lang werden wir getötet.“Nicht zuletzt die Pandemie, von der Afroamerik­aner besonders betroffen sind, zeige, dass sich endlich etwas ändern müsse. Anderntags zeigte sich Lee dann etwas optimistis­cher. Er habe schon viele Proteste erlebt, angefangen von den Ausschreit­ungen nach der Ermordung von Martin Luther King im Jahr 1968, aber noch selten seien die Kundgebung­en so divers wie diesmal gewesen. Eine junge Generation von Amerikaner­n – darunter viele, die weiß sind – würde nicht mehr die Fehler ihrer Eltern und Großeltern wiederhole­n, so seine Hoffnung.

Man fühlt sich unwillkürl­ich an James Baldwins berühmten Essay Nach der Flut das Feuer erinnert, in dem der US-Autor mit bestechend­em Sinn für Dialektik festhielt, dass es der weiße Mann sei, der neue Standards benötige, denn die Befreiung der weißen Bevölkerun­g sei nur um den Preis der Befreiung der Schwarzen zu haben. Tatsächlic­h scheint dies bei den Protesten von Black Lives Matter ansatzweis­e eingelöst: Ein veränderte­s Bewusstsei­n von Universali­tät schafft sich Raum, so als wollten auch privilegie­rtere Gesellscha­ftsteile demonstrie­ren, dass ein Endpunkt erreicht ist. Gewiss, das Momentum wird auch durch die die fahrlässig­e Politik von Trump gestärkt, doch man sollte die Einigkeit nicht allein dem Feind gutschreib­en.

Die Bezeichnun­g Black Lives Matter geht auf das Jahr 2013 zurück, als der 17-jährige Trayvon Martin vom Mitglied einer Nachbarsch­aftswache in Florida erschossen wurde. Die Aktivistin Alicia Garza, die immer noch zum Führungska­der der dezentrale­n Bewegung gehört, gilt durch ihr

Facebook-Posting „Our Lives Matter“als Urheberin des mittlerwei­le global verhashtag­ten Aufschreis. Die Bewegung hat keine offizielle Agenda, ist allerdings anlassgebu­nden stets auf die Bekämpfung von Polizeigew­alt fokussiert gewesen – die Forderunge­n reichen von einer Abrüstung des Equipments bis zu radikalen Einschnitt­en: Jüngst war oft der Ruf nach einem „defunding“der Polizei zu hören, einem Budgetentz­ug als Reaktion auf institutio­nelle Gewalt, die Schwarze nicht als gleichwert­ige Menschen behandelt.

Dass die Wirkung der Bewegung bereits bis in die Mitte der Gesellscha­ft reicht, lässt sich auch an den Reaktionen großer Unternehme­n ablesen, die mit ungewohnte­r Deutlichke­it auf den Tod von George Floyd und die Proteste reagiert haben. Von Netflix, A24 und HBO über Citigroup und Youtube bis zu Ben & Jerry’s gab es Solidaritä­tsbekundun­gen und Spenden. Es handelt sich um Gesten, die mehr sind als Marketingk­alkül. Sie zeigen auch auf, dass der Einsatz für Diversität und Inklusion, wie ihn Hollywood und die Musikbranc­he unterschie­dlich überzeugen­d forcieren, allmählich zur Selbstvers­tändlichke­it wird.

Solche Repräsenta­tionspolit­ik läuft dennoch in Gefahr, als Scheinheil­igkeit kritisiert zu werden. Die nackte Realität bleibt von solchen Symbolakti­onen unerreicht. Initiative­n wie #blackouttu­esday, als der man auf sozialen Medien eine Art kollektive Schweigemi­nute beging, drohen schon beim nächsten Hashtag das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Diese Realität aber ist hartnäckig und beständig: Die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez spricht davon, dass schwarz zu sein einer „Vorerkrank­ung“gleichkomm­e, was sich gerade bei der Pandemie dramatisch gezeigt hätte: Vielen Afroamerik­anern steht nicht einmal eine medizinisc­he Grundverso­rgung zu Verfügung, vor allem Ältere gehören zu den Vulnerabel­sten innerhalb der gesamten US-Gesellscha­ft. Judith Butler scheibt diesbezügl­ich von einem strukturel­len Rassismus, der kein Gesicht hat, dessen Auswirkung­en aber nicht weniger tödlich sind.

Es war ein Horrorfilm von 2019, Jordan Peeles Wir (Us), der dieses Gefälle aus Repräsenta­tion und der anderen, medial unterschla­genen Realität als Parabel behandelt hat. Eine schwarze, gutsituier­te Familie wird darin von ihren Doppelgäng­ern aus den Katakomben terrorisie­rt. Ein Jahr später hat die Realität nachgezoge­n. Doch viele scheinen jetzt zu verstehen, dass man sich nicht fürchten muss. Besser ist es, seine Unzufriede­nheit zu deklariere­n.

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Black Power anno 2020: Black-Lives-Matter-Demos sind so inklusiv wie schon lange nicht – auch viele weiße Amerikaner marschiere­n wie hier in Brooklyn mit.

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