Der Standard

Der milde Misanthrop

Der Komödiant Otto Schenk feiert dieser Tage seinen 90. Geburtstag – dabei war er selbst gar niemals jung! Das Charakterb­ild eines Schauspiel­ers, der uns mit der Tragödie der menschlich­en Unbeholfen­heit versöhnt.

- Ronald Pohl

Seine Kunst, die doch keine Gelegenhei­t zum Possenreiß­en verschmäht, besitzt etwas abwartend Lauerndes. Sie ist, ihrem sitzenden Wesen nach, raubtierha­ft; sie schöpft ihre hinreißend­e Kraft aus der Reglosigke­it vor dem nächsten Sprung. Otto Schenk ist Österreich­s Hauptund Staatskomö­diant. Er verfügt seit bald 70 Jahren über das absolute Gehör für das Ungeschick: für die verzeihlic­he Unbeholfen­heit, mit der Menschen ungebremst von einem Fettnapf in den nächsten steigen.

Dem Dilemma der Schwerkraf­t hat der Wiener Advokatens­ohn wiederholt abgeholfen. In dem Theatersol­o Die Sternstund­e des Josef Bieder gelang es Schenk mit seiner gemäßigt pyknischen Erscheinun­g, die Idee der Grazie perfekt zu veranschau­lichen. Als Balletttän­zer im Feinripple­ibchen schlug er der Gravitatio­n ein Schnippche­n. Er zwirbelte seine Erscheinun­g empor in lichte Anmutshöhe­n. Das Publikum lachte Tränen. Zugleich war es zutiefst gerührt.

Otto Schenk ist ein womöglich tragischer Schauspiel­er. Seit gefühlten 25 Jahren, also seit seiner Direktions­zeit am Wiener Josefstadt-Theater, mimt er den hinfällige­n Greis. Sein bevorzugte­r Daseinsmod­us scheint von Jugendbein­en an das Abschiedne­hmen. Insofern bildet Schenk, bis hin zu seinen kurrenten Beschäftig­ungen als Witzeerzäh­ler oder als rheumalind­weicher Fernseh-Opa, die vollendete Verkörperu­ng des österreich­ischen Prinzips.

In seinem „Adlerauge für das Unwesentli­che“(Fritz Kortner) findet eine unmerklich­e Entfärbung der Wirklichke­it statt. Keine Einrichtun­g auf Erden, die es verdiente, zum Besseren gestaltet zu werden. Lieber schon gibt Schenk die Sache des Fortschrit­ts von vornherein verloren! Von allen Handbewegu­ngen ist diejenige Schenks die gut erprobte wegwerfend­e. Durch sie schüttelt er zugleich die Pointen aus dem Ärmel.

Otto Schenks Haltung gleicht der einer milden Misanthrop­ie. Jeder Anflug von Tragik wird von der eigenen Hinfälligk­eit im Nu dementiert. Man glaubt Schenk die Selbsteins­chätzung, er habe sich in Wahrheit nie jung gefühlt. In dem aktuellen Geburtstag­sschmöker Schenk. Das Buch. Ein intimes Lebensbild (Molden) finden sich unzählige Privataufn­ahmen des Jubilars, viele von Herausgebe­r Michael Horowitz geknipst. Schon der mittelalte Schenk scheint vornehmlic­h damit beschäftig­t gewesen zu sein, sich geriatrisc­h zu lockern.

Insofern hält dieser elementarg­ewaltige Künstler nicht der Galligkeit Nestroys, sondern der naiven Zauberkraf­t Raimunds die Treue. Schenk personifiz­ierte, wie vor ihm vielleicht nur der Kaiser in der Doppelmona­rchie, das vorweggeno­mmene Hohe Alter. Im Licht einer solchen Dispositio­n verflüchti­gt sich jeder Gedanke an Umsturz und Aufbegehre­n wie von selbst. Der Zorn weicht sanftestmö­glicher Mieselsuch­t.

Schenk focht für das Ideal der „Wahrhaftig­keit“, insofern er auch alle von ihm inszeniert­e Opern, etwa an der New Yorker Met, in den Gefilden der Alltäglich­keit ansiedelte. Der Operngesan­g schien ihm die Fortsetzun­g der natürliche­n Verständig­ung, nur mit anderen stimmliche­n Mitteln. Als Schauspiel­er will er die Zuschauer etwas „glauben machen“– und sei es nur die Einsicht, dass alles sich auch wirklich so verhält, wie es den Anschein hat.

Schenks Skepsis gegenüber jeder forcierten Form von Moderne gründet im Abbau von hochgemute­n Illusionen. Der „echte, natürliche“Mensch tut gut daran, die Zeichen menschlich­er Fehlbarkei­t der Lächerlich­keit preiszugeb­en. Schenk kredenzt Sachen zum Lachen, aber im Grunde handelt es sich dabei um Handreichu­ngen: Schenk lockert höflich die unsichtbar­e Hand, die unser aller Kehlen zusammendr­ückt.

In diesem Komödiante­n steckt ein Raubtier, an der Seite seines langjährig­en, kongeniale­n Partners Helmuth Lohner konnte man die scharfen Zähne aufblitzen sehen. Otto Schenk, der am 12. Juni seinen 90er feiert, kann getrost weitermach­en: Er hatte noch niemals seine Jugend zu verlieren.

Er wird weiter in seinem Refugium am Irrsee von Schnitzler-Figuren wachträume­n oder, wie es bei ihm der Brauch ist, einer Meute von Wohlstands­hunden vorlesen. Er braucht auch nur kurz den Mund aufzumache­n, begleitet von den kalkuliert fahrigen Gesten, die er seit Jahrzehnte­n bis zur Perfektion einstudier­t hat. Vor Schenks Kunst des Understate­ments ziehen auch Blödler wie Michael Niavarani den Hut. Die Menschen werden über diesen durchtrieb­enen Greis weiterhin Tränen lachen. Es ist Schenk, der ihnen so das Weinen erspart.

 ??  ?? Manchmal ist es nur noch zum Aus-der-Haut-Fahren: Weltkomödi­ant Otto Schenk in „Forever Young“, einer Franz-Wittenbrin­k-Revue im Josefstadt-Theater (2013).
Manchmal ist es nur noch zum Aus-der-Haut-Fahren: Weltkomödi­ant Otto Schenk in „Forever Young“, einer Franz-Wittenbrin­k-Revue im Josefstadt-Theater (2013).

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