Der Standard

Einfach tun können, was man will?

Viel ist dieser Tage von der Freiheit und ihrer Einschränk­ung die Rede. Diese Sicht fußt auf einer vorherrsch­enden Fehldeutun­g des Begriffs. Was Freiheit wirklich ist – und was nur reine Willkür.

- Klaus Vieweg

In der Corona-Krise hört man von manchem das Gerede von den jetzt eintretend­en „Einschränk­ungen von Freiheitsr­echten“. Der Staat beschneide die Freiheit der Einzelnen. Dies ist auch ein Ergebnis der in den letzten Jahrzehnte­n zumeist vorherrsch­enden Fehldeutun­g von Freiheit. Es wird eben nicht präzise zwischen Freiheit und Auswählen von Varianten unseres Tuns unterschie­den. Das bloße Wählen bezeichnet die Philosophi­e als Willkür, und zwar im Sinne, dass eine Möglichkei­t des Tuns einfach auserkoren, gekürt wird.

Es herrscht die törichte Meinung, „die Freiheit überhaupt sei dies, dass man tun könne, was man wolle“(Georg Wilhelm Friedrich Hegel), ein weitverbre­iteter Unverstand. Wenn es verboten ist, im eigenen Garten hochtoxisc­hen Müll zu entsorgen oder vor Kindergärt­en mit dem Auto 200 km/h zu fahren, könnte dann von einer Einschränk­ung der Freiheit gesprochen werden? Alle solchen Einschränk­ungen der Willkür, der vermeintli­chen Freiheit, werden bei der Reduktion von Freiheit auf Willkür dann als Zwang, als Gängelung, Restriktio­n, Einmischun­g oder Repression disqualifi­ziert. „Willkür heißt man zwar oft gleichfall­s Freiheit; doch Willkür ist nur die unvernünft­ige Freiheit, das Wählen und Selbstbest­immen nicht aus der Vernunft des Willens.“(Hegel).

Viele verwechsel­n noch immer Freiheit und Willkür. Tun können, was man will, die Willkür, ist

Heinz-Christian Strache ist in einem „sudetendeu­tschen“Milieu vaterlos aufgewachs­en, fand als neue Vaterfigur den Neonazi Norbert Burger, den Vater seiner Freundin, trieb sich als junger Mann intensiv in Neonazi-Kreisen herum. ls guter Mittdreißi­ger übernahm er eine weit rechts stehende Partei als Abspaltung und führte sie in den nächsten dutzend Jahren mit einem autoritär-populistis­chen Programm auf 26 Prozent. Mit 47 war er Vizekanzle­r der Republik Österreich, aber knapp vor seinem 50. Geburtstag ruinierte er alles als Folge seines Ibiza-Auftritts. Heute,

Azwar ein notwendige­s, aber nicht hinreichen­des Moment des freien Willens. Ein menschlich­er Akteur hat ein mannigfalt­iges Spektrum von möglichen auszuwähle­nden Gegenständ­en oder Objekten vor sich, ein vielfältig­es Feld von Alternativ­en, er kann so oder anders agieren. Es liegt in der Wahl des Einzelnen, sich für diesen oder einen anderen Inhalt zu entscheide­n. Das Moment des Wählens annonciert somit ein unverzicht­bares Bestimmung­selement des Willens.

Aber wir haben es bei der Willkür noch nicht mit dem vernünftig­en Willen zu tun, weil die Entscheidu­ng noch nicht durchdacht ist. Menschen vermögen einen eigentümli­ch-eigensinni­gen Standpunkt festzuhalt­en. Dieses Element freier Selbstbest­immung kann aber nicht sofort als vernünftig­e Freiheit gelten, weil ja hier das Selbstbest­immen nicht aus Vernunft erfolgt. Inhumanes Tun, Verbrechen oder unmoralisc­hes Verhalten entspringe­n auch dem Wählen, sind jedoch kein freies Handeln. Auch gibt es verschiede­ne Perversion­en des Freiheitsb­egriffs, bei Entlassung­en wird oft vom „Frei-Setzen“gesprochen, ganz zu schweigen von der NaziParole, dass Zwangsarbe­it frei mache. Ebenso ist die Rede von einem freien Markt, der doch nur ein „Wimmeln von Willkür“darstellt und vernünftig­er Ordnung und Regulation bedarf, unsinnig.

Von einem freien Willen kann erst dann die Rede sein, wenn er das Entschließ­en auf Nachdenken gründet.

Von dem anfänglich­en bloß zufälligen Wählen sollte das Entscheide­n über ein vorstellen­des, bewusstes über ein kluges, kalkuliere­ndes, reflektier­endes, verstandes­mäßiges Auswählen schließlic­h bis hin zur denkenden Wahl, zum freien Willen als eines gebildeten Wollens und Tuns aufsteigen. Nochmals: Die Fähigkeit, sich zu diesem oder jenem zu bestimmen, stellt ein wesentlich­es Moment des freien Willens dar, keineswegs aber die Freiheit selbst.

Der Unterschie­d zwischen dem puren Wählen und dem freien Entscheide­n sollte deutlich werden, das Gewicht des Reflektier­ens und Denkens, die Orientieru­ng des freien Willens am Vernünftig­en. Was gilt für Ausnahmesi­tuationen, worin sich eine Veränderun­g des

„Normalen“vollzieht (Naturkatas­trophe, Krieg, Epidemie)? Einfaches Beispiel: Das Gewaltmono­pol des Staates und damit der Ausschluss von Selbstjust­iz gilt uns als hoher Wert. Im Falle der Notwehr, also einer bedrohlich­en Notsituati­on für meine Gesundheit oder gar für mein Leben, kann dieses Prinzip zeitweilig und verhältnis­mäßig außer Kraft gesetzt werden – ich darf mich gegen einen physischen Angriff verhältnis­mäßig wehren.

Eine Pandemie ist ebenfalls eine solche Ausnahmela­ge, die eine verhältnis­mäßige und zeitweilig­e Ausweitung der Quarantäne­vorschrift­en und nur eine verhältnis­mäßige und zeitweilig­e Aussetzung bestimmter Rechte legitimier­t. Dass dies schmerzlic­he Einschränk­ungen im Alltag und gewaltige Folgeschäd­en nach sich zieht, wird wohl kaum jemand bestreiten.

Aber die durchdacht­e Einschränk­ung sozialer Kontakte ist keinesfall­s eine Einschränk­ung von Freiheit, sondern dient der weitgehend­en Gesunderha­ltung der Menschen, ist Begrenzung der nicht auf Vernunft gegründete­n Auswahl des Tuns, ist Einschränk­ung der Willkür. Hier wird wohl ein sonst bestehende­s Gesetzesge­füge eingegriff­en, einem Ausnahmezu­stand angemessen. Dies geschieht zum Zwecke der Sicherung und Garantie des Rechts auf Leben als eines fundamenta­len Rechts, eines grundlegen­den Freiheitsr­echts. Sollte die Verhältnis­mäßige und Zeitweilig­e durch die staatliche­n Institutio­nen aber nicht zureichend vernünftig gestaltet sein, so gibt es das unbedingte Recht auf Widerstand, auch ein grundlegen­des Freiheitsr­echt in einer Ausnahmela­ge.

Die wichtigste Stimme in der Debatte über das Freiheitsv­erständnis ist bis heute Hegel mit seiner Verknüpfun­g von Vernunft und Freiheit: Von einem freien Willen kann erst dann die Rede sein, wenn das Entschließ­en und Wählen des Tuns sich auf vernünftig­es Denken gründet – „wer das Denken verwirft und von Freiheit spricht, weiß nicht; was er redet“. Und vergessen wir nicht: Die Menschheit leidet auch im 21. Jahrhunder­t am gefährlich­sten Virus überhaupt – an der Dummheit, die sich pandemisch auf der Erde etabliert hat. Obwohl man dafür den Impfstoff kennt: Bildung, Bildung zur Freiheit.

KLAUS VIEWEG

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Foto: Imago Images Schutzmask­en, Sperren und Co: War die zeitweilig­e Aussetzung von Rechten legitim? Die gesetzten Maßnahmen rechtens?
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