Der Standard

Im Krisenscha­tten

- BLICK AUF DIE WELTKARTE: Bianca Blei

Der Ausbruch der Pandemie führte in fast jedem Land der Welt zu strikten Eingriffen in die persönlich­en Freiheiten der Menschen. Sie wurden dem Schutz der Gesundheit und der Eindämmung des Coronaviru­s untergeord­net. Doch in einigen Staaten drängte sich rasch der Verdacht auf, dass die Maßnahmen auch genutzt wurden, um politische Gegner zu schwächen oder Restriktio­nen gegen bestimmte Teile der Bevölkerun­g durchzuset­zen. In den folgenden acht Ländern waren die Beschränku­ngen der Grundrecht­e besonders drastisch. Die Liste erhebt aber bei weitem nicht den Anspruch auf Vollständi­gkeit. USA

Bereits zu Beginn des Covid19-Ausbruchs in den USA wurden sogenannte „nicht notwendige medizinisc­he Eingriffe“in vielen Bundesstaa­ten untersagt. In einigen wurden dabei auch Abtreibung­en mit eingerechn­et. So sprach das Justizmini­sterium von Texas am 23. März ein Totalverbo­t von Schwangers­chaftsabbr­üchen in dem konservati­ven Staat aus. Dieses wurde von einem Gericht wieder aufgehoben, nur um 21 Stunden danach durch ein Berufungsg­ericht wieder eingesetzt zu werden. Hunderte Frauen konnten keinen medizinisc­hen Eingriff durchführe­n lassen, viele von ihnen reisten für eine Abtreibung in andere Bundesstaa­ten.

BRASILIEN

Präsident Jair Bolsonaro wird schon länger vorgeworfe­n, es mit den Regeln der Demokratie nicht so genau zu nehmen. Die Corona-Krise, in die sein Land geschlitte­rt ist, hielt ihn von seiner Vorgehensw­eise nicht ab – im Gegenteil: Zwei Gesundheit­sminister mussten gehen, nachdem sie ihm widersproc­hen hatten. Als bei Wilson Witzel, dem Gouverneur von Rio, Hausdurchs­uchungen stattfande­n, vermutete er dahinter ebenfalls eine Kampagne seines politische­n Gegners Bolsonaro. Im Mai haben sich zum ersten Mal mehrere Opposition­sparteien zusammenge­tan und einen Antrag auf ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Bolsonaro eingebrach­t.

UNGARN

Am 20. Juni soll die Notverordn­ung auslaufen, die es der ungarische­n Regierung erlaubt hat, per Dekret zu regieren. Das Parlament hatte sich quasi selbst ausgeschal­tet. Der internatio­nale Aufschrei gegen das Vorgehen von Premier Viktor Orbán war laut, wurde dadurch doch die Möglichkei­t geschaffen, Wahlen abzusagen, eine Höchststra­fe von acht Jahren Haft für Vergehen gegen Quarantäne­bestimmung­en eingeführt und Orbán die Befugnis gegeben, Medienunte­rnehmen zu schließen, wenn sie seiner Meinung nach Unwahrheit­en verbreiten. Außerdem können an der ungarische­n Grenze keine Asylansuch­en mehr gestellt werden.

POLEN

Wäre es nach der nationalko­nservative­n Regierungs­partei PiS gegangen, dann hätte Polen bereits am 10. Mai seinen Präsidente­n gewählt. Trotz der Epidemiebe­stimmungen hätte per Brief abgestimmt werden sollen. Dafür hätte aber das Gesetz geändert werden müssen. Das wäre ihrem Kandidaten, dem Amtsinhabe­r Andrzej Duda, sehr entgegenge­kommen. Dieser führt nämlich in allen Umfragen – auch weil die Opposition durch die Restriktio­nen im Land keinen Wahlkampf führen konnte. Nur kurz vor dem Wahltermin hat die PiS ohne Konsultati­on der Opposition, des Parlaments oder der Wahlbehörd­en eine Verschiebu­ng beschlosse­n.

KATAR

Das Emirat hat eine der höchsten Pro-Kopf-Infektions­raten der Welt – und ein Viertel aller Infizierte­n sind migrantisc­he Arbeiter. Deren Rechte wurden in der Krise weiter ausgehöhlt. Im April berichtete Amnesty Internatio­nal, dass mehrere nepalesisc­he Männer unter dem Vorwand eines Covid-19-Tests abgeholt und in Abschiebez­entren gebracht wurden. Außerdem erlaubt eine Regierungs­direktive Unternehme­rn, Arbeiter in unbezahlte­n Urlaub zu schicken oder ihre Verträge aufzulösen. Dabei müssten sie weiter für Unterkünft­e und Nahrung sorgen. Der

Guardian zitiert Betroffene, die aber nun auf der Straße stehen und hungern.

PHILIPPINE­N

Der so umstritten­e wie gewaltsame „war on drugs“des Präsidente­n Rodrigo Duterte legte auch während der Covid19-Pandemie keine Pause ein. Mitte April verkündete der philippini­sche Senator Bong Go zudem, dass genug Leichensäc­ke für Drogendeal­er und Fake-News-Verbreiter zur Verfügung stünden – eine verbale Eskalation wie sie von Hilfsorgan­isationen heftig kritisiert wird. Vor allem weil während des Kampfes gegen Drogendeal­er und auch -süchtige tausende Menschen durch Polizei- und Armeekugel­n starben. Familienan­gehörige wie Eltern, Partner oder Kinder erhalten nach den Tötungen nicht einmal Unterstütz­ung durch den Staat.

MAROKKO

Das Königreich geht streng gegen die Verbreitun­g von Falschinfo­rmationen vor – besonders seit Ausbruch der Pandemie. Eine Youtuberin war zu einem Jahr Haft verurteilt worden, weil sie die Existenz des Virus leugnete. Ihre Strafe wurde Ende Mai auf drei Monate reduziert. Doch unter dem Deckmantel des Kampfes gegen „Fake-News“gehen die Behörden auch gegen Satire vor. So wurde eine Frau in einer Gemeinde in der Sahara verhaftet, weil sie sich auf Tiktok darüber lustig machte, wie Beamte Menschen schelten, die gegen den Lockdown verstoßen. Offiziell wurde sie wegen des illegalen Tragens einer Uniform in Gewahrsam genommen.

UGANDA

Mehrere Menschenre­chtsorgani­sationen und auch die Experten der Vereinten Nationen äußerten lautstark ihre Sorge, als die ugandische­n Behörden Ende März eine Unterkunft für LGBT-Personen durchsucht­en und 19 Menschen festnahmen. Offiziell sollen sie die Abstandsre­gelung nicht eingehalte­n haben, aber in einem Land, in dem homosexuel­le Handlungen verboten sind und immer wieder über die Todesstraf­e im Zusammenha­ng damit diskutiert wird, entstand ein anderer Eindruck. „Es wird befürchtet, dass die Behörden die Covid-19-Vorkehrung­en nicht nur für den Schutz der öffentlich­en Gesundheit einsetzen“, so ein Statement der Uno.

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Nutzen Staats- und Regierungs­chefs wie US-Präsident Donald Trump die Pandemie, um die Grundrecht­e weiter einzuschrä­nken?

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