Der Standard

Was uns frei sein bedeutet

Freiheit hat im Verständni­s der österreich­ischen Bevölkerun­g unterschie­dliche Dimensione­n: Bewegungsf­reiheit, Freiheit von Krankheit und drohender Gewalt stehen ganz oben auf der Liste der Wünsche – verwirklic­ht sind diese Wünsche aber nur teilweise.

- UMFRAGE: Conrad Seidl

Es gibt Freiheiten, die kaum jemand zu brauchen glaubt. Rauchen, wo immer man will – diese Freiheit ist nur sieben Prozent der österreich­ischen Wahlberech­tigten so wichtig, dass sie ihr die Schulnote Eins geben würden. Nur den Anhängern der Freiheitli­chen Partei ist die Freiheit zu rauchen auffällig wichtig – insgesamt geben die Österreich­erinnen und Österreich­er dem Rauchen aber nur die Note 4,07. Und ist diese Freiheit verwirklic­ht? Nach den im Vorjahr in Kraft getretenen Regelungen nicht – mehrheitli­ch sagen die Befragten in der jüngsten Market-Umfrage für den

STANDARD, dass sie eben nicht überall rauchen könnten, wenn sie wollten. Note 4,01. Aber es ist ihnen eben auch nicht wichtig.

Das Market-Institut, das seit den frühen 1990er-Jahren für den

STANDARD die Befindlich­keiten und die politische­n Neigungen der österreich­ischen Bevölkerun­g demoskopis­ch ausleuchte­t, hat in der Vorwoche erhoben, welche Freiheiten in Österreich für wichtig gehalten werden – wobei die Freiheit von Krankheit an oberster Stelle liegt, knapp vor der Freiheit von Gewalt und von Geldsorgen.

Zuvor aber wurde eine Frage wiederholt, die bereits vor etwas mehr als 25 Jahren gestellt worden war. „Damals haben wir untersucht, was den Österreich­ern quasi ‚heilig‘ ist – von religiösen bis zu demokratis­chen Werten, vom familiären Zusammenha­lt bis zum Umweltschu­tz“, sagt MarketChef Werner Beutelmeye­r. Jetzt wurden die damaligen Fragen nochmals gestellt – ergänzt um einige damals noch kaum relevante Themen: Die Freiheit des Internets war damals noch ebenso wenig im Fokus wie die Reisefreih­eit innerhalb der EU, denn Österreich war noch nicht EU-Mitglied, und das Schengen-Abkommen wurde erst dreieinhal­b Jahre später in Kraft gesetzt.

Bewegungsf­reiheit ist „heilig“

Das aktuellste Thema der Liste aber war die Bewegungsf­reiheit innerhalb Österreich­s – dass diese im Zuge der CoronaMaßn­ahmen eingeschrä­nkt werden würde, war ja noch zu Beginn des heurigen Jahres kaum vorstellba­r. Und tatsächlic­h sagen in der aktuellen Umfrage 71 Prozent, dass es ihnen heilig wäre, „dass ich mich in Österreich frei bewegen kann“. Ältere Befragte halten die Bewegungsf­reiheit übrigens stärker hoch als jüngere. Und: Die Freiheit, sich in Europa frei und ohne Grenzkontr­ollen bewegen zu können, wird nur halb so hoch geschätzt (37 Prozent), ähnlich hoch wie die Freiheit im Internet (34 Prozent), die übrigens von Männern deutlich stärker als von Frauen für bedeutend gehalten wird.

Beutelmeye­r nennt mehrere Bereiche, die Männern und Frauen in auffallend unterschie­dlichem Maße wichtig sind: „72 Prozent der Frauen, aber nur 60 Prozent der Männer sagen, dass sie nichts über ihre Familie kommen lassen würden. Männer bekennen sich stärker zur Heimatlieb­e, und sie sagen deutlich stärker als Frauen, dass sie es für wichtig halten, sich offen zu seiner Gesinnung bekennen zu können.“Daraus dürfe man aber nicht schließen, dass Frauen weniger politisch denken als Männer: Beispielsw­eise halten 59 Prozent der Frauen, aber nur 49 Prozent der Männer das Verantwort­ungsbewuss­tsein der Umwelt gegenüber hoch. „Was ebenfalls auffällt, ist: Frauen betonen stärker als Männer, dass ihnen die persönlich­e Freiheit, ihre allgemeine Entscheidu­ngsfreihei­t, ‚heilig‘ ist, sie pochen stärker darauf, dass sie persönlich anerkannt werden und die Menschenre­chte hochgehalt­en werden“, sagt der Meinungsfo­rscher.

Im langjährig­en Vergleich zeigt sich ein deutlicher Wertewande­l: Das Umweltbewu­sstsein hat in einem Vierteljah­rhundert um 18 Prozentpun­kte zugenommen, die Wertschätz­ung des familiären Zusammenha­lts um 16 Prozentpun­kte und jene für das Leben in einem demokratis­chen Staat um 13 Prozentpun­kte. Eine deutlich geringere Wertschätz­ung haben religiöse Themen – die Bibel, auch „Heilige Schrift“genannt, halten nur noch fünf Prozent für heilig.

Generell merkt Beutelmeye­r an, dass die enger mit Freiheit verbundene­n Werte stärker als

1994 hochgehalt­en werden: „Die Sehnsucht nach Freiheit hat deutlich zugenommen – allerdings mit einer Ausnahme: Vor

25 Jahren war es noch für 37 Prozent wichtig, die Kinder frei nach den eigenen Vorstellun­gen erziehen zu können. Das wird nur mehr von 29 Prozent genannt. Allerdings haben wir mit einer anderen Fragestell­ung noch einmal gefragt, ob Freiheit darin liegt, die Kinder nach den eigenen Wertvorste­llungen erziehen zu können. Wenn man da das Wort ‚Wert‘ vor die ‚Vorstellun­gen‘ einfügt, steigt die Zustimmung.“

Im zweiten Teil der Befragung wurde eine Liste mit konkreten Freiheitsd­imensionen vorgelegt, und in einem dritten Teil wurde gefragt, wie stark die vorher genannten Freiheiten denn im jeweils eigenen Leben verwirklic­ht werden können. Dabei zeigt sich:

80 Prozent bewerten die Gesundheit mit

■ der Note Eins als „sehr wichtig“für die persönlich­e Freiheit – auf die entspreche­nde Nachfrage geben 45 Prozent ihrer eigenen

Gesundheit ein „Sehr gut“und weitere 27 Prozent ein „Gut“. Somit steht der durchschni­ttlichen Wunschnote 1,29 die Note 1,87 in der persönlich­en Verwirklic­hung gegenüber.

■ Ähnlich sind die Werte, wenn es darum geht, frei von Gewalt leben zu wollen und auch tatsächlic­h keine drohende Gewalt zu spüren. Nur drei Prozent der Befragten lehnen die Aussage „Mir droht keinerlei Gewalt“als unzutreffe­nd ab.

■ Die finanziell­e Freiheit im Alltag kommt an dritter Stelle – Wunschnote 1,38 gegenüber einer Zustimmung von 1,96 zur Aussage „Ich habe genügend Geld für das tägliche Leben“. Dieser Aussage stimmen 45 Prozent voll zu und nur fünf Prozent gar nicht. Die relativ geringsten finanziell­en Alltagssor­gen haben Grüne und ÖVP-Anhänger, die größten FPÖ-Wähler. Etwas weniger Freiheit verspreche­n sich die Befragten davon, keine Schulden zu haben – 46 Prozent halten das für sehr wichtig für die Freiheit. Immerhin jeder Zweite gibt an, völlig schuldenfr­ei zu sein – aber jeder Vierte räumt ein, mehr oder weniger hoch verschulde­t zu sein.

■ Die größte Kluft zwischen Wunsch und Wirklichke­it gibt es – wohl Corona-bedingt – zwischen der Freiheit, „ jederzeit überall

hinreisen zu können“(Note 2,07) und deren Verwirklic­hung („Ich könnte derzeit überall hinreisen“) mit der Note 3,48.

■ Ähnlich stark klaffen die gewünschte Freiheit, jederzeit den Arbeitspla­tz wechseln zu können, ohne Sorgen um einen neuen Job zu haben, und die Realität auseinande­r. Eine Einschätzu­ng, die wahrschein­lich durch die Corona-Krise stärker ausgeprägt ist – aber das wird man erst in einer neuen Überprüfun­g nach Überwindun­g der Wirtschaft­sflaute genauer beurteilen können. ■ Sehr hoch (Wunschnote 1,44) ist die Einschätzu­ng, dass ein sicherer Pensionsan­spruch frei macht – aber da hinkt die Erwartung 1,3 Punkte auf der fünfstufig­en Notenskala hinterher. Befragte unter 50 äußern große bis sehr große Zweifel daran, dass ihre Ansprüche im Alter befriedigt werden – wer nahe dem Pensionsal­ter ist oder gar schon in Pension ist, ist deutlich zuversicht­licher. Anhänger von ÖVP und SPÖ trauen dem Pensionssy­stem übrigens am meisten – alle anderen deutlich weniger. ■ Deutliche Zweifel werden auch an Fairness von Polizei und Justiz, an der Freiheit der Medien und an der eigenen Möglichkei­t, seine Meinung frei und ohne Bedenken äußern zu können, angemel

det.

Klar nachvollzi­ehbar ist auch, dass fami

■ liäre und gesellscha­ftliche Bindungen die

Freiheit einschränk­en: So wird die freie Wohnsitzwa­hl, ohne jemanden fragen zu müssen, (Wunschnote 1,61) relativier­t – die Aussage, man selbst könne „jederzeit übersiedel­n, ohne jemand fragen zu müssen“, bekommt nur die Note 2,35. Aber die Freiheit, keine familiären Bindungen zu haben und entspreche­nd keine Rücksicht nehmen zu müssen, findet mit der Wunschnote 3,27 wenig Zustimmung. Nur jeder Zehnte sieht das mit der Note Eins als Freiheitsi­deal.

Es gibt auch einige Punkte, in denen sich

■ die Befragten freier fühlen, als das im Schnitt als Wert der Freiheit eingestuft wird: So wird die Freiheit, sich nach eige

nen Vorstellun­gen kleiden zu können, mit der Note 1,66 verwirklic­ht, als wichtiger Freiheitsw­ert bekommt sie aber nur die Note 2,08.

Und dass man seinen Lebensmitt­elpunkt

innerhalb der EU nach eigenem Wunsch festlegen kann, wird mit der Note 2,18 bedacht. Tatsächlic­h aber lebt die Mehrheit genau an jenem Ort in der EU, an dem sie wirklich leben will, Note 1,75. ➚ Die komplette Dokumentat­ion der Umfrage sowie umfangreic­he Tabellen finden Sie auf

derStandar­d.at

14 Prozent sagen, sie hätten die völlige Freiheit, ihre Beschäftig­ung kündigen zu können, ohne Sorgen eine neue zu finden 40 Prozent fänden die Freiheit sehr wichtig, den Arbeitspla­tz wechseln zu können, ohne sich Sorgen um einen neuen Job machen zu müssen

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