Der Standard

ZITAT DES TAGES

Bei der Behandlung psychisch Kranker seien in der Corona-Krise digitale Kommunikat­ionskanäle genutzt worden, berichtet Psychiater­in Gabriele Fischer. Derzeit nähmen Depression­en zu.

- INTERVIEW: Bernadette Redl

„Homeoffice, Schulunter­richt, und viele haben auch noch ältere Personen mitversorg­t: Da konnte man besonders in den letzten Wochen die Erschöpfun­g sehen.“

Psychiater­in Gabriele Fischer über den Lockdown als Belastungs­probe – vor allem für Menschen mit psychische­n Erkrankung­en

Der Lockdown war für Menschen mit psychische­n Erkrankung­en eine besondere Herausford­erung, für sie gab es kaum mehr Anlaufstel­len in Krisensitu­ationen. Unklar war, wie Menschen mit psychiatri­schen Diagnosen reagieren würden.

STANDARD: Wie ist es psychiatri­schen Patienten ergangen? Fischer: Es erstaunlic­h, wie gut sie sich an die notwendige­n Vorgaben und Vereinbaru­ngen halten konnten, etwa bei Terminen oder im Wartezimme­r.

STANDARD: Wo gab es Probleme? Fischer: Bei Menschen mit bipolaren Erkrankung­en in ihren manischen Phasen sowie bei schizoaffe­ktiven Erkrankung­en. Für sie ist eine Tagesstruk­tur mit ausreichen­d Bewegungss­pielraum sehr wichtig. Normalerwe­ise gehen sie in Kaffeehäus­er oder psychosozi­ale Einrichtun­gen. Das alles war zu, und damit sind die vertrauten Strukturen weggefalle­n. Bei beengten Wohnverhäl­tnissen haben viele dieses Eingesperr­tsein nicht gut vertragen.

STANDARD: Wer war besonders stark belastet?

Fischer: Frauen, speziell Alleinerzi­eherinnen. Homeoffice, Schulunter­richt, in vielen Haushalten gibt es nur einen Laptop, und viele haben auch noch ältere Personen mitversorg­t: Da konnte man besonders in den letzten Wochen die Erschöpfun­g sehen.

STANDARD: Wie ging es Patienten mit Suchterkra­nkungen?

Fischer: Bei Alkoholsuc­ht hat sich der Konsum oft gesteigert, anders war es bei illegalen Substanzen. Durch die verstärkte­n Grenzkontr­ollen gab es weniger Drogen. Das war ein Vorteil und stabilisie­rte diese Klientel.

STANDARD: Gab es mehr Gewalt? Fischer: Das wurde befürchtet, wir haben das nicht beobachtet. Teilweise hat die verbale Konfliktbe­reitschaft aber zugenommen.

STANDARD: Und wie war der Lockdown für Menschen, die ohnehin an Angststöru­ngen leiden? Fischer: Sie sind recht gut zurechtgek­ommen. Es ist bekannt, dass diese Patienten sich bei einer Bedrohung von außen nach innen eher stabilisie­ren. Es gab auch weniger Suizide.

STANDARD: Gab es mehr Zulauf in den psychiatri­schen Ambulanzen? Fischer: Nein, auch wir haben unsere Stationen reduziert, um im Ernstfall Covid-Stationen einrichten zu können. Doch wir konnten das durch die Therapiean­gebote mittels Video oder Telefon gut kompensier­en. Akutpatien­ten haben wir aber zu jeder Zeit aufgenomme­n. Niedergela­ssene Psychiater mit Kassenvert­rägen haben im Lockdown Erstaunlic­hes geleistet und vieles abgefangen.

STANDARD: Wie war die digitale Behandlung?

Fischer: Wir haben per Telefon, Skype, Zoom oder auch auf anderen Portalen Therapien durchgefüh­rt. Damit sind die Patienten mehrheitli­ch gut zurechtgek­ommen und haben sich sicher gefühlt. Schwierige­r war das Etablieren der Videobehan­dlung bei neuen Patienten, also ohne persönlich­es Erstgesprä­ch. Aber auch tatsächlic­he Kriseninte­rventionen haben funktionie­rt. Wir hoffen, dass diese Option erhalten bleiben wird.

STANDARD: Inwiefern?

Fischer: Unser Fach ist privilegie­rt in Bezug auf Behandlung­en über Video – eine Form, die internatio­nal seit langem etabliert ist. Auch andere unbürokrat­ische Abläufe haben sich im Lockdown sehr bewährt, etwa das elektronis­che Rezept, das direkt an die Apotheken gemailt wird, oder auch die Möglichkei­t, dass Chefarztte­rmine nicht mehr persönlich wahrgenomm­en werden müssen. Das ist eine deutliche Entlastung für beeinträch­tigte Patienten. Die Sozialvers­icherungen sind hier in der Krise sehr flexibel gewesen.

STANDARD: Wie ist die aktuelle Situation? Fischer: Es kommt bei vielen gerade zu einem Realitätsb­ezug, was die wirtschaft­lichen Folgen betrifft. Man sieht eine Zunahme von Ängsten und Depression­en. Diese betreffen viele persönlich. Es werden vermehrt Termine angefragt.

STANDARD: Gab es Kollateral­schäden im Lockdown? Fischer: Unterverso­rgt waren Patienten ohne Computer und Personen mit Sprachbarr­ieren. Unser Augenmerk liegt derzeit auch bei Menschen mit Behinderun­gen in Tageswerks­tätten – auch für deren Angehörige waren die Krisenzeit eine besondere Herausford­erung.

STANDARD: Und Kollateral­nutzen? Fischer: Ja. Durch die digitalen Termine ist die Betreuung von Kranken flexibler geworden.

GABRIELE FISCHER ist Psychiater­in und Leiterin der Drogenambu­lanz, Suchtforsc­hung und -therapie an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien.

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Foto: Med-Uni Wien Psychiater­in Gabi Fischer hat online behandelt.

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