Der Standard

Arbeiten an Notre Dame gehen weiter

Nach Corona-Lockdown wartet eine riskante Herausford­erung auf die Kirchenbau­er

- Stefan Brändle aus Paris

Fast drei Monate lang mussten die Pariser Kirchenbau­er Däumchen drehen. Im März wollten sie mit Räumungsar­beiten beginnen, um die bei einem Brand am 15. April 2019 schwer beschädigt­e Kathedrale Notre Dame von Grund auf zu restaurier­en. Doch dann ordnete Präsident Macron den Corona-Lockdown an. Immerhin: In den letzten Wochen hatten die Renovierer wenigstens Zeit, die gefährlich­e Operation am Computer bis ins Detail durchzuspi­elen. Denn an den Mauern der Kathedrale hängt immer noch das Metallgerü­st jener Renovierun­gsarbeiten, im Zuge derer womöglich ein Kurzschlus­s das uralte Holzgebälk entzündet hatte.

Die Hälfte dieses Gerüsts schwebt 40 Meter hoch über dem Kirchensch­iff. Die 40.000 teilweise geschmolze­nen Metallteil­e wiegen wohl mehr als 200 Tonnen. Sie wurden nach dem Brand ihrerseits durch Stahlpfeil­er gestützt. Die Architekte­n sind aber trotz aller Computersi­mulationen nicht völlig sicher, ob dieses Mikado aus ineinander verkeilten Eisenstang­en nicht selbst dazu beiträgt, die havarierte­n Steinmauer­n und Gewölbe der Basilika zu stützen. Es abzutragen könnte deshalb zum Einbruch der Kirche oder von Teilen davon führen, räumte Chefkoordi­nator Jean-Louis Georgelin ein.

Ab heute, Dienstag, werden Klettertea­ms in Gondeln zum Brandherd abgeseilt. Sie sollen die Eisenstang­en eine nach der anderen mit Kreissägen loslösen. Ein 80 Meter hoher Kran soll die Gerüstteil­e entfernen. Die Experten sind mit Kameras ausgerüste­t, damit die Koordinato­ren die Operation live auf dem Bildschirm verfolgen können. Auch wenn das Vorgehen riskant ist, sind die Einsatztea­ms froh, endlich zur Tat schreiten zu können.

Zahlreiche Zaungäste versammelt­en sich schon am Montag auf dem Kathedrale­nvorplatz. Einzelne falteten die Hände zum Gebet – wohl um für glückliche Arbeiten in dem 850 Jahre alten Gotteshaus zu beten.

Das Leben beginnt wieder

Für Frankreich fällt die Wiederaufn­ahme der Notre-Dame-Renovierun­g auch mit einer Lockerung der Corona-Maßnahmen zusammen. Langsam beginnt in Paris wieder das Alltagsleb­en. Dass sich über der Ruine wieder Krane drehen und Metallsäge­n kreischen, wird als Zeichen eines Neubeginns empfunden. Die vielen Souvenirlä­den um die Kathedrale ziehen wieder ihre Rollläden hoch. Mangels ausländisc­her Kunden bleiben sie aber meist leer. Der Besitzer der Crêperie du Cloître befürchtet, er werde die meisten Angestellt­en entlassen müssen.

Die Kathedrale selbst soll laut Macron rechtzeiti­g zu den Olympische­n Spielen 2024 in Paris wieder zugänglich sein. Bauexperte­n melden allerdings Zweifel an, ob dies möglich sein wird. Allein die Räumung wird mehr als anderthalb Jahre in Anspruch nehmen.

Offen ist die internatio­nal diskutiert­e Frage, welche Form die neue Dachturmsp­itze aufweisen soll. Die letzte Entscheidu­ng fällt de facto dem Staatspräs­identen zu. Macron soll zu einem eher klassische­n Nachfolger für die „flèche“(den Pfeil) tendieren.

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Foto: AP / Thibault Camus Am Computer simuliert, aber nun wird tatsächlic­h gewerkt.

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