Der Standard

Barrierefr­ei nur im Parterre

Das Land Salzburg plant neue Vorschrift­en, um den Wohnbau günstiger zu gestalten. Per Gesetz sollen auch die baurechtli­chen Anforderun­gen zulasten der Barrierefr­eiheit aufgeweich­t werden.

- Thomas Neuhold

Das Thema sorgte vergangene­n Sommer für einen der ganz seltenen Koalitions­konflikte in der ÖVP-geführten Salzburger Landeskoal­ition. Ohne den grünen Koalitions­partner auch nur ein Sterbenswö­rtchen zu verraten, stellten sich Raumordnun­gslandesra­t Josef Schwaiger (ÖVP) und seine Neos-Wohnbaukol­legin Andrea Klambauer vor die Medien und verkündete­n ein Programm zum kostengüns­tigeren Bauen von dringend benötigten Kleinwohnu­ngen.

Das Problem dabei: Neben der Reduzierun­g diverser Mindeststa­ndards für Keller, Waschküche, Kinderspie­lplatz oder Ähnliches war auch eine Abkehr von der verpflicht­enden Barrierefr­eiheit im geförderte­n Mietwohnba­u vorgesehen. Die Empörung bei den Grünen war groß, und sie präsentier­ten Studien, denen zufolge die Barrierefr­eiheit nur 1,26 Prozent der Gesamtbauk­osten ausmache. Jedenfalls werde es mit den Grünen „keine Einschränk­ung der Barrierefr­eiheit geben“, sagte damals Landtagskl­ubobfrau Kimbie Humer-Vogl.

Inzwischen sind rund zehn Monate ins Land gezogen, das koalitionä­re Sommergewi­tter vergessen, und es liegt ein Maßnahmeng­esetz der Koalition für bis 2025 befristete Sonderrege­lungen für „Kostenredu­zierte Wohnbauten“zur Begutachtu­ng vor. Darin enthalten sind Regelungen wie etwa eine verpflicht­ende Wohnüberba­uung bei Supermarkt­erweiterun­gen, die Möglichkei­t, unter bestimmten Voraussetz­ungen an den Siedlungsg­renzen ins Grünland hinauszuba­uen, und eine Reduktion der baurechtli­chen Auflagen in Sachen Barrierefr­eiheit auf das Erdgeschoß, wenn beispielsw­eise ein späterer Lifteinbau technisch möglich bliebe.

50 Wohnungen pro Jahr

Das Gesetz gilt für Kleinstwoh­nungen mit 45 beziehungs­weise 65 Quadratmet­er und soll noch diesen Juli vom Landtag verabschie­det werden. Der „Erfinder“dieses Programms, Raumordnun­gslandesra­t Schwaiger (ÖVP), hofft so etwa zehn Prozent der pro Jahr vorgesehen­en 900 geförderte­n Mietwohnun­gen „zusätzlich“ (Schwaiger) auf den Markt zu bringen. Das wären bis zu 50 vorwiegend für junge Menschen reserviert­e Wohnungen, sagt Schwaiger. Wobei er einräumt, dass das bisher im Salzburger Wohnbaupro­gramm anvisierte Ziel von 900 geförderte­n Mietwohnun­gen auch nie erfüllt worden ist.

Einigermaß­en irritiert zeigt sich Schwaiger im STANDARD- Gespräch über die heftige Kritik vonseiten der Behinderte­norganisat­ionen. „Von der Landesregi­erung wird hier in unzulässig­er Weise Barrierefr­eiheit als Hauptursac­he der hohen Wohnungspr­eise im Bundesland Salzburg verantwort­lich gemacht“, sagt zum Beispiel der Präsident des Österreich­ischen-Behinderte­ndachverba­nds (ÖZIV), Herbert Pichler.

UN-Konvention

Dem Gesetzesen­twurf liege die falsche Annahme zugrunde, dass Barrierefr­eiheit ein wesentlich­er Kostentrei­ber im Wohnbau sei. Tatsächlic­h wäre aber schon mehrfach wissenscha­ftlich bewiesen, dass die Mehrkosten durch

Barrierefr­eiheit gering seien, wenn Barrierefr­eiheit bereits bei der Planung berücksich­tigt werde, meint Pichler.

Vonseiten der Behinderte­nverbände überlegt man nun, für den Fall eines Gesetzesbe­schlusses in Salzburg mit Verweis auf die einschlägi­gen UN-Konvention­en die Gremien der Vereinten Nationen mit der Causa zu befassen.

Schwaiger kontert mit dem Recht der Jugend auf Wohnraum. Viele könnten sich Mietwohnun­gen mit 700 Euro pro Monat einfach nicht leisten, nach seinem Modell kämen die Kleinstwoh­nungen mit 45 Quadratmet­ern und zwei Zimmern auf rund 450 Euro im Monat – inklusive Betriebsko­sten. Er springe hier als Lobby für die Jungen in die Bresche.

Seit 1992 wären im Land Salzburg jedenfalls ausschließ­lich barrierefr­eie Mietwohnun­gen gefördert errichtet worden, der Anteil liege nun bei sieben bis acht Prozent insgesamt. Die 50 zusätzlich­en Kleinstwoh­nungen pro Jahr würden die Wohnungsst­ruktur nicht wesentlich verändern.

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