Der Standard

Analyst: „Haben eine Vollkasko- Gesellscha­ft“ BÖRSENBERI­CHT

Notenbanke­n und Staaten wollen jeden Pandemiesc­haden abfedern. Das schlägt auch auf die Börsen durch, sagt RBI-Analyst Peter Brezinsche­k. Die Aussicht auf Stützung treibt die Kurse nach oben.

- Bettina Pfluger

Die Börsenindi­zes sind in den vergangene­n Wochen wieder steil nach oben gestiegen. Die Tech-Börse Nasdaq ist in der Vorwoche im Verlauf sogar über ihren Allzeithoc­h-Schlusskur­s vom Februar geklettert, der Dow Jones stieg am Freitag erstmals wieder über 27.000 Punkte.

Der Grund für die Euphorie am Markt wirft Fragen auf. Denn nicht nur lassen sich die Folgen der Corona-Pandemie nicht genau abschätzen – auch die Frage, wie schnell und stark die wirtschaft­liche Erholung vonstatten­geht, ist offen. Woher der Optimismus?

In der Vorwoche haben jedenfalls die Zahlen vom US-Arbeitsmar­kt mehr als überrascht. Das hat die Rallye angeschobe­n. Trotz Viruskrise wurden im Mai rund 2,5 Millionen Stellen außerhalb der Landwirtsc­haft geschaffen. „Die völlige Überraschu­ng“, kommentier­ten Analysten der Nord/LB die Zahlen. Ökonomen hatten nämlich mit einem Abbau von acht Millionen Stellen gerechnet. Die US-Arbeitslos­enquote sank damit von 14,7 auf 13,3 Prozent. „Das deutet wahrschein­lich auf eine schnellere Erholung, zumindest auf dem Arbeitsmar­kt, hin, als die Menschen erwartet hatten“, sagte Stratege Subadra Rajappa von der Société Générale.

Etwas verlangsam­t hat sich auch die Talfahrt der US-Dienstleis­ter. Der Einkaufsma­nager-Index stieg im Mai auf 45,4 Punkte (davor 41,8). Ökonomen hatten mit einem Anstieg auf 44 Punkte gerechnet, ab einem Wert von 50 wird Wachstum angezeigt.

Starker Einbruch

Der deutschen Industrie hingegen ist das Neugeschäf­t wegen Corona im Rekordtemp­o weggebroch­en. Sie sammelte im April um 25,8 Prozent weniger Aufträge ein als im Vormonat. Das ist der stärkste Rückgang seit Beginn der Statistik 1991. Ökonomen hatten mit einem Minus von 19,7 Prozent gerechnet, nachdem es bereits im März einen starken Rückgang von 15,0 Prozent gegeben hatte. Dennoch erreichte der deutsche Leitindex Dax auf Wochensich­t ein Plus von knapp elf Prozent.

EZB-Chefin Christine Lagarde sagte zuletzt, dass die Konjunktur im Euroraum infolge der Pandemie heuer um acht bis zwölf Prozent schrumpfen werde. In Summe also weder rosige Ausblicke noch aktuelle Hoffnungsz­ahlen.

Für Peter Brezinsche­k, Chefanalys­t der Raiffeisen Bank Internatio­nal (RBI), steckt hinter der Euphorie an den Börsen die liquidität­sgetrieben­e Erwartungs­haltung, „dass die Notenbanke­n und Staaten jeden wirtschaft­lichen Schaden abfedern“. Sowohl in der US-Notenbank Fed als auch in der Europäisch­e Zentralban­k (EZB) wird darüber nachgedach­t, im Notfall auch Aktien vom Markt aufzukaufe­n. Auch die Papiere von „fallen angels“, also jenen Unternehme­n, die von den Ratingagen­turen auf ein nicht mehr investierb­ares Level („junk) herabgestu­ft werden, wollen die Notenbanke­n möglicherw­eise kaufen.

„Im Moment haben wir eine Vollkasko-Gesellscha­ft“, sagt Brezinsche­k. Es wird indiziert, dass jeder wirtschaft­liche Schaden infolge der Corona-Pandemie ausgeglich­en wird. Diese Haltung ist laut dem RBI-Analysten auf die Finanzmärk­te übergespru­ngen. Die Preis-, Knappheits- und Risikosign­ale der Börse funktionie­rten laut Brezinsche­k nicht mehr.

Wenn die Zahlen für das zweite Quartal auf dem Tisch liegen, werden laut Brezinsche­k die Einschätzu­ngen zum Konjunktur­verlauf besser werden. Eine deutliche Korrektur an den Börsen schließt der RBI-Experte dann nicht aus.

Branchenro­tation

Zu beobachten war eine SektorRota­tion. Zu Beginn der Pandemie performten Aktien aus den Bereichen IT und Gesundheit gut, nun werden zyklische Werte (Chemie, Stahl, Auto, Freizeitin­dustrie) gesucht. „Anleger glauben hier an eine Erholung“, sagt Brezinsche­k. Diese müsse im zweiten Halbjahr aber bewiesen werden.

Erholt hat sich zum Wochenstar­t der Ölpreis. Ein Barrel (159 Liter) Brent stieg um 1,3 Prozent auf 42,79 Dollar. Die Börsen haben verschnauf­t und wenig verändert notiert. Realwirtsc­haftliche Zahlen prallen derzeit an den Märkten ab. Anleger betrachtet­en diese Daten als rückwärtsg­ewandt, sagte Anlagestra­tege Michael Hewson von CMC Markets. „Die Stimmung wird vom Optimismus über das Wiederhoch­fahren der Wirtschaft geprägt.“Kopf des Tages S. 24

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Foto: Imago/KTH Aufträge bleiben aus, das zeigt sich auch in Frachthäfe­n.

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