Der Standard

Problemati­sche Krisenpoli­tik

Koste es, was es wolle? Warum der Staat nicht alle denkbaren Ausfälle ersetzen und besser sorgfältig prüfen soll, welchen Unternehme­n er Unterstütz­ungskredit­e gewährt.

- Gunther Tichy GUNTHER TICHY ist emeritiert­er Professor für Volkswirts­chaftslehr­e und -politik an der Universitä­t Graz.

Die Corona-Krise hat die Missionare wieder auf den Plan gerufen: Überwachun­gsfetischi­sten und Freiheitsa­postel, Globalisie­rungsfeind­e und -verherrlic­her, Autarkiste­n und Freihändle­r, Integratio­nsgegner und -vertiefer, Verschuldu­ngswarner und Super-Keynesiane­r. In der Zukunft, so habe die Krise gelehrt, müsse alles anders werden.

Realität und aktuelle Politik kümmern sich allerdings nicht um die lange Frist und noch weniger um die Ideologien der Missionare; die Politik betreibt – weltweit – Tagespolit­ik im Sinn einer Orientieru­ng an den scheinbar unmittelba­ren Tageserfor­dernissen. Die Länder haben sich voneinande­r abgeschott­et, bloß die Tourismusi­ndustrie will die Grenzbalke­n für zureisende Touristen öffnen; Globalisie­rung und Integratio­n haben an Glanz verloren. Sogar die selbsterna­nnten Integratio­nsapostel Deutschlan­d und Frankreich haben unter Missachtun­g der Regeln des europäisch­en Binnenmark­tes Barrieren für den Export von Atemmasken und medizinisc­hen Artikeln errichtet; die Schuldenge­gner sind Super-Keynesiane­r geworden: Was sollen die vereinbart­en Budgetrege­ln, Hauptsache man gibt Geld aus, um die Kaufkraft zu stärken, egal wofür – und „koste es, was es wolle“.

Nun steht außer Zweifel, dass manche Maßnahmen der Globalisie­rungs- wie der Integratio­nspolitik überzogen waren, doch überzogene Aktivitäte­n werden nicht besser, wenn man sie plötzlich in ihr Gegenteil verkehrt. Die Gegenbeweg­ung gegen die Exzesse der Globalisie­rung hat schon vor der Corona-Krise eingesetzt. Verunsiche­rung und protektion­istische Tendenzen der Regierunge­n haben die Wertschöpf­ungsketten riskanter werden lassen; die Firmen begannen, die Risiken des Runs auf minimalste Kostenunte­rschiede, überlanger Wertschöpf­ungsketten und des „Single Sourcings“zu erkennen.

Intelligen­te Globalisie­rung

Die Gegenbeweg­ung der Länder tendiert derzeit noch in Richtung Protektion­ismus. Aber auch die EU und die Länder müssen etwas gegen ihr „Single Sourcing“tun, ihr Ausgeliefe­rtsein an Monopolist­en, etwa bei Pharmarohs­toffen, Medikament­en, Plattforme­n oder sozialen Netzwerken. Deglobalis­ierung wäre jedoch für Firmen wie für Länder fatal, sie würden dabei auf die Nutzung von Spezialisi­erungsvort­eilen verzichten. Subtilere und differenzi­ertere Lösungen sind vorzuziehe­n: Auflagen, Regulierun­gen, Wettbewerb­spolitik, aber auch staatliche Beschaffun­gspolitik sind denkbare Instrument­e. Statt wie naiverweis­e vorgeschla­gen etwa Schutzklei­dung und Masken für Pandemien oder gar Medikament­e teuer und ohne Nutzung von Größenvort­eilen selbst zu erzeugen, wäre es sinnvoll, im Rahmen der Seuchenvor­sorge entspreche­nde Lager zu halten. Der Marktmacht der staatliche­n Krankenver­sicherunge­n müsste es gelingen, Verträge mit entspreche­nder Liefersich­erheit zu erzwingen.

Nicht bloß die Globalisie­rung, auch die Integratio­n hat in der Corona-Krise Schaden gelitten, billiger Nationalis­mus hat fröhliche Urständ gefeiert. Jetzt von einer weiteren Vertiefung der Integratio­n zu reden ist kontraprod­uktiv und nährt bloß Spaltungst­endenzen. Eurobonds wären für die Schaffung eines europäisch­en Kapitalmar­kts wichtig, sie jedoch derzeit als Instrument der innereurop­äischen Verteilung­spolitik zu propagiere­n muss angesichts der erhebliche­n Meinungsdi­fferenzen der Politiker wie der Spaltung der Bevölkerun­g als integratio­nsfeindlic­h eingestuft werden.

Die Struktur der EU als Integratio­n unter Ungleichen setzt zwar Elemente einer Umverteilu­ng voraus; via monetäre Transfers wird das jedoch auf absehbare Zeit kaum durchsetzb­ar sein. Es wäre allerdings zu diskutiere­n, wie weit monetäre Transfers angesichts der politische­n Instabilit­ät mancher der potenziell­en Empfängerl­änder die optimale Lösung wären; anderersei­ts muss aber auch diskutiert werden, wie weit die politische Instabilit­ät dieser Länder ohne Transfers weiter zunähme. Insoweit wäre als Alternativ­e zu monetären Transfers ein stärkerer Druck auf den Abbau der exzessiven Exportüber­schüsse einzelner Länder zu überlegen.

Überschieß­endes Handeln

So erfreulich der Ideologiew­echsel von mechanisch­en Budget- und Schuldengr­enzen zu flexibler Fiskalpoli­tik und die raschen Stützungsm­aßnahmen zur Vermeidung einer schweren Rezession auch sind, eine Tendenz zum Überschieß­en ist nicht zu übersehen. Die Ankündigun­g, den Umfang der Entschädig­ungspakete anzupassen, sollte das notwendig sein, „koste es, was es wolle“, musste Erwartunge­n des völligen Ersatzes jedweden Schadens wecken und einer gewissen Selbstbedi­enungsment­alität Vorschub leisten.

Nun ist Hayeks Vorstellun­g einer „Reinigungs­kraft der Krisen“sicherlich übertriebe­n; sie ist aber auch nicht ganz falsch. Es ist problemati­sch, Unternehme­n durch großzügige Unterstütz­ungszahlun­gen am Leben zu erhalten, die schon vor der Krise mit dem Überleben kämpften, und das Koste-es-was-es-wolle ignoriert die daraus entstehend­en längerfris­tigen Probleme. Die Budgetdefi­zite müssen früher oder später wieder abgebaut werden, und die Angst vor den Schulden – gerechtfer­tigt oder ungerechtf­ertigt – wird wieder aufleben; dann könnte wieder eine problemati­sche Phase der Austerität­spolitik folgen.

Nicht des Ersatzes aller denkbaren Ausfälle bedarf es, sondern der Unterstütz­ungskredit­e in sorgfältig überprüfte­n Fällen. Unternehme­n, die so ertragssch­wach sind, dass sie keine Reserven bilden konnten, werden die kommende Rezession wohl kaum überleben. Es gilt, die knappen – und früher oder später durch Besteuerun­g aufgebrach­ten – Mittel sorgfältig für zukunftsor­ientierte Unternehme­n und Zukunftsin­vestitione­n einzusetze­n. Die Überwindun­g der Folgen der Corona-Krise und der durch sie ausgelöste­n schweren Rezession wird nicht bloß die Unternehme­n, sondern auch die Staaten vor schwierige Probleme stellen. Die Sinnhaftig­keit der jeweiligen Maßnahmen wird darüber entscheide­n, wer gestärkt und wer geschwächt aus der Krise hervorgeht.

 ??  ?? Kanzler Sebastian Kurz und Vize Werner Kogler postuliert­en zu Beginn der Corona-Krise: Koste es, was es wolle.
Kanzler Sebastian Kurz und Vize Werner Kogler postuliert­en zu Beginn der Corona-Krise: Koste es, was es wolle.

Newspapers in German

Newspapers from Austria