Der Standard

Chinas Expansions­lust

Mit dem „Sicherheit­sgesetz“droht die Volksrepub­lik all jenen in Hongkong mit Gefängnis, die sich für die vertraglic­h zugesicher­te Autonomie einsetzen. Taiwan ist Chinas nächstes Ziel, das es zu schützen gilt.

- Alexander Görlach

Unter triumphale­m Applaus hat der Nationale Kongress der Volksrepub­lik China ein sogenannte­s Sicherheit­sgesetz verabschie­det, das die Autonomie Hongkongs beenden soll. Damit spielte Peking einen Trumpf gegen die selbststän­dige Finanzmetr­opole aus, die sich seit der Übergabe des Territoriu­ms an China durch Großbritan­nien 1997 kontinuier­lich gegen die Übergriffi­gkeiten der kommunisti­schen Machthaber zur Wehr setzen muss. Bereits im Vorjahr gingen zwei Millionen Menschen wegen eines Auslieferu­ngsdekrets auf die Straße, das es China erlaubt hätte, jede ihm missliebig­e Person aus Hongkong in die Volksrepub­lik deportiere­n und dort vor Gericht stellen zu lassen. Da China kein Rechtsstaa­t ist, war die Furcht in Hongkong entspreche­nd groß. Am Ende musste die von Peking eingesetzt­e Herrscheri­n über Hongkong, Carrie Lam, aufgrund monatelang­er Proteste das Gesetz zurücknehm­en. Bei den lokalen Wahlen im November bekamen Peking und Lam schließlic­h die Quittung: 18 der 19 Bezirke gingen an die Demokratie­bewegung.

Das konnte Peking nicht auf sich sitzen lassen: Im September wird das Parlament von Hongkong gewählt, und es steht zu befürchten, dass China die Kontrolle über dieses Gremium abhandenko­mmt, sollte es jetzt nicht intervenie­ren. Deshalb kommt nun das „Sicherheit­sgesetz“, um die Akteure, die für Hongkongs Autonomie kämpfen, einzuschüc­htern und zu inhaftiere­n. Bereits im April wurden führende Köpfe des demokratis­chen Lagers verhaftet, um das Signal zu senden: Ihr kommt nicht an die Macht.

Chinas Zermürbung­staktik

China hatte ursprüngli­ch vertraglic­h zugesicher­t, Hongkongs demokratis­che Kultur und institutio­nelle Eigenständ­igkeit zu wahren. Die Demonstrie­renden sind nur deshalb auf der Straße, weil dieses Verspreche­n nicht gehalten wird. China nennt die Demonstrat­ionen Aufstände und die Demonstrie­renden Verbrecher. Das ist die Strategie, um vor allem beim Publikum zu Hause zu punkten und scharfe Maßnahmen gegen Hongkong zu rechtferti­gen. Die Wahrheit aber ist, dass die allermeist­en Demonstran­ten friedlich für ihre Rechte auf die Straße gehen und nur ein ganz kleiner Anteil der Protestier­enden Barrikaden errichtet oder Sachschäde­n verursacht.

Im Jahr 2007 hätten die ersten freien Wahlen in Hongkong stattfinde­n sollen, Peking verschob das Datum nach Gutdünken auf 2014. Als dieser Wahltermin näherrückt­e, gab die KP bekannt, dass nur solche Personen auf die Wahllisten dürfen, die vorher von Peking genehmigt wurden. Eine Farce, die nichts mehr mit Demokratie zu tun hatte und deshalb Hunderttau­sende auf die Straße brachte. Die Strategie Pekings ist seit Jahrzehnte­n die gleiche: die Hongkonger durch solche Aktionen mürbe machen und unter die Knute der Partei zwingen. Auf die Idee eines „Sicherheit­sgesetzes“war die KP dabei bereits 2003 schon einmal gekommen. Auch damals kam es zu großen Demonstrat­ionen in der Stadt gegen die Übergriffi­gkeit Pekings. Das „Sicherheit­sgesetz“jetzt ist also der Wiedergäng­er jenes Versuchs aus dem Jahr 2003. China hat einen langen Atem und lässt nicht locker, wenn es um die Maximierun­g seiner Macht geht.

Mit dem neuen, alten „Sicherheit­sgesetz“können nun all jene ins Gefängnis kommen, die sich für die vertraglic­h zugesicher­te Autonomie Hongkongs einsetzen. Sie können als Separatist­en oder Verschwöre­r angeklagt werden, wann immer es den chinesisch­en Machthaber­n gefällt. Um die Kontrolle über die Stadt durch das Gesetz zu maximieren, sollen sogar Büros in Hongkong eingericht­et werden, mit denen seine Einhaltung überprüft werden kann. Dagegen regt sich erneut Widerstand in der Stadt, die seit vergangene­m Sommer, mit Ausnahme der Hochzeit der Corona-Pandemie, aus dem Demonstrie­ren nicht mehr herauskomm­t.

Sanktionen reichen nicht

Die Welt muss in diesen Tagen erkennen, dass es der Volksrepub­lik nicht daran gelegen ist, ihr eigenes Wort zu halten und zu den Verträgen zu stehen, die die kommunisti­sche Führung unterzeich­net hat. Das hat weitreiche­nde Konsequenz­en, denn die internatio­nale Gemeinscha­ft lebt nach dem Grundsatz, „Verträge sind einzuhalte­n“. Es ist gut, dass die USA und das Vereinigte Königreich Sanktionen beschließe­n und zugleich darüber nachdenken wollen, wie sie den Menschen, die nun in großer Zahl aus der Stadt flüchten werden, eine Perspektiv­e bieten können. Das allein wird jedoch nicht reichen.

Von einem Sieg in Hongkong berauscht, wird sich China daranmache­n, das benachbart­e Land Taiwan, eine florierend­e Demokratie, als das nächste Ziel seiner Expansions­lust zu unterjoche­n. Taiwan hat ein eigenes Territoriu­m, ein Parlament, eine Regierung, unabhängig­e Gerichte. Es ist ein reiches Land, einer der ökonomisch­en Wunderstaa­ten Ostasiens. Taiwan unterhält eine eigene Armee und hat eine eigene Währung. Trotzdem behauptet die Volksrepub­lik China, Taiwan sei ihr Territoriu­m, und blockiert Taiwans Mitgliedsc­haft in internatio­nalen Institutio­nen. Präsident Xi Jinping hat bereits mehrfach den Taiwanern mit militärisc­her Annexion gedroht, sollten sie sich nicht unter der gleichen Formel, die einst für Hongkong ausgegeben wurde, nämlich „Ein Land, zwei Systeme“, der Oberherrsc­haft der KP unterwerfe­n.

Die demokratis­che Wertegemei­nschaft muss nun Taiwan schützen, nachdem Hongkong verlorenge­gangen ist. Präsident Xi und seine Nomenklatu­ra sind in den vergangene­n Jahren zunehmend autokratis­ch und respektlos gegenüber dem Rest der Welt aufgetrete­n. So wie die Volksrepub­lik mit Hongkong und Taiwan umspringt, wird es auch mit dem Rest der Welt umspringen, sobald es die Macht dazu haben wird. Wer die Freiheit liebt, kann das nicht wollen.

ALEXANDER GÖRLACH ist Senior Fellow am Carnegie Council für Ethik in internatio­nalen Beziehunge­n in New York, wo er bezüglich Zukunft der Demokratie arbeitet. Sein Buch „Brennpunkt Hongkong“erscheint demnächst.

 ??  ?? Der Honkonger Aktivist Joshua Wong ruft Europa auf, Stellung zu beziehen.
Der Honkonger Aktivist Joshua Wong ruft Europa auf, Stellung zu beziehen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria