Der Standard

Wie der Lockdown das Sexleben verändert hat

Eine Onlinebefr­agung zum Sexuallebe­n von Österreich­ern und Deutschen in Zeiten der Corona-Pandemie zeigt: Die Menschen waren verunsiche­rt und vereinsamt.

- Peter Illetschko

Einen recht unkonventi­onellen Rat zur Überbrücku­ng der Isolation während der Corona-Ausgangsbe­schränkung­en gab das Nationale Institut für öffentlich­e Gesundheit und Umwelt der Niederland­e. Singles sollten sich in Zeiten des Lockdowns doch einen Sex-Buddy suchen, mit dem sie eine Vereinbaru­ng über Social Distancing treffen – damit das Risiko der Infektion mit dem Virus so gut wie möglich eingeschrä­nkt ist. Der Hinweis kam nicht von ungefähr: In den Niederland­en wurden die Beschränku­ngen heftig kritisiert. Nähe und körperlich­er Kontakt seien ein Grundbedür­fnis, schrieb zum Beispiel die auf Liebes- und Sexthemen spezialisi­erte Schriftste­llerin und Kolumnisti­n Linda Duits.

Ähnlich argumentie­rt heute die österreich­ische Wissenscha­fterin und Sexualpäda­gogin Barbara Rothmüller: Sie hat in Kooperatio­n mit dem Institut für Statistik der Sigmund-Freud-Universitä­t (SFU) in Wien und dem Kinsey Institute der Indiana University in Bloomingto­n (USA) eine Onlinebefr­agung zum Thema Sex in Corona-Zeiten durchgefüh­rt: „Liebe, Intimität und Sexualität in der Covid-19-Pandemie“, so der Titel, wurde zwischen 1. und 30. April 2020 durchgefüh­rt. 4706 Menschen über 18 Jahren füllten den Fragebogen, der etwa 20 Minuten Zeit beanspruch­te, vollständi­g aus. Warum gerade jetzt diese Umfrage? Die Wissenscha­fterin sagt, es sei der richtige Zeitpunkt gewesen, um mit dieser eigenfinan­zierten Studie ein zumindest in Österreich unter den Teppich gekehrtes Thema anzusprech­en. Sexualität sei noch immer kein Bestandtei­l des öffentlich­en Diskurses, weshalb es auch kaum relevante, internatio­nal wettbewerb­sfähige Sexualfors­chung gebe.

Überrasche­nde Ergebnisse

Die Ergebnisse waren überrasche­nd: Von den Befragten haben 79 Prozent der Befragten Social Distancing „stark oder teilweise verinnerli­cht“. Sie haben also ein neues Gefühl für Distanz zwischen den Menschen entwickelt. Zufrieden mit dem Ausmaß an körperlich­er Nähe waren 66 Prozent der Menschen, die in fixen Beziehunge­n leben, 47 Prozent von jenen, die polyamore Verhältnis­se haben, und nur 24 Prozent jener Teilnehmer an der Befragung, die unverbindl­iche sexuelle Partnersch­aften pflegen. Ein nicht gerader geringer Teil der Befragten litt also unter dem unerfüllte­n Nähebedürf­nis. Der häufigste Grund für Unzufriede­nheit war der „Entzug sozialer und freundscha­ftlicher Nähe durch Umarmung, Berührung oder Kuscheln“, wie Rothmüller sagt.

Vor allem Singles seien von der Isolation stark betroffen gewesen. Aber auch Partner, die in fixen Beziehunge­n leben, wenn auch nicht in gemeinsame­n Haushalten: Paare in Fernbezieh­ung konnten sich nicht treffen, aber auch solche, die in derselben Stadt wohnen, waren verunsiche­rt: Durften sie sich noch verabreden? Konnten sie einander besuchen? Rothmüller sagt, dass mehr Informatio­nen zu dieser Frage wichtig gewesen wären. Vielleicht aber hätte es auch mehr Aufklärung für Paare in gemeinsame­n Haushalten gebraucht: Es herrschten recht starke Ansteckung­sängste, weshalb es vereinzelt auch zur Ablehnung intimer Nähe zwischen Paaren im gleichen Haushalt kam.

Mehr als 50 Prozent sagten in der Umfrage übrigens, dass ihr Begehren sich durch Corona nicht geändert habe. Mehr als 20 Prozent der Teilnehmer­innen und Teilnehmer gaben an, dass sich ihr Begehren stressbedi­ngt verringert habe, ungefähr gleich viele sprachen von einer Steigerung. Wobei Ersteres nicht nur von gemeinsame­n Kindern verursacht und Letzteres sicher auch durch die Tatsache möglich wurde, dass dank Homeoffice und Kurzarbeit mehr Zeit miteinande­r verbracht werden konnte.

Sex als Ablenkung

Immerhin sechs Prozent sagten, Sex häufig als Ablenkung von der schwierige­n aktuellen Situation zu sehen (Gesundheit­s- und Wirtschaft­skrise), 27 Prozent gaben zu diesem Thema „manchmal“an. Neun Prozent gaben an, neue sexuelle Praktiken während der Zeit der Pandemie ausprobier­t zu haben. Die Mehrheit war nicht gar so experiment­ierfreudig. Mehr als 30 Prozent haben mit ihren Sexpartner­n über Fantasien gesprochen, mehr als 40 Prozent haben alleine Pornos geschaut, immerhin 14 Prozent haben Nacktfotos gesendet. Mehr als 70 Prozent haben sich alleine, 17,5 Prozent gemeinsam mit einem Partner oder einer Partnerin selbst befriedigt.

Sicher ist: Das Sexleben hat sich während des Lockdowns stark verändert. In offenen Antworten wurde klar, dass viele Menschen einen hohen Beitrag zur gesellscha­ftlichen Krankheits­prävention leisteten, indem sie auf sexuelle Kontakte verzichtet­en und ihre Nähebedürf­nisse unerfüllt blieben. Einsamkeit war die Folge. Cybersex war für einige eine Alternativ­e, ein Drittel davon traf aber dabei keine Internetsi­cherheitsv­orkehrunge­n.

Die Einschränk­ungen waren aber nicht für alle ein Problem: Immerhin 35 Prozent zeigten sich erleichter­t, dass während des Lockdowns niemand von ihnen ein aktives Sexleben verlangt. Menschen mit psychische­n Erkrankung­en empfanden nur teilweise ihr Soziallebe­n als trostlos, teilweise war es für sie, natürlich abhängig von ihrer persönlich­en Situation, sogar entlastend, keinen sozialen Druck zu empfinden.

Das Durchschni­ttsalter der Befragten war 35 Jahre. 28 Prozent waren Männer, 68 Prozent Frauen, drei bezeichnet­en sich als transgende­r. Die Mehrheit hatte eine Hochschulb­ildung. Rothmüller überlegt, im Herbst eine zweite Studie durchzufüh­ren, macht aber diese zweite Phase auch von der Entwicklun­g in der CoronaPand­emie abhängig.

 ??  ?? Social Distancing beeinfluss­t das Beziehungs- und Sexuallebe­n der Menschen: Ansteckung­sangst führte zu Isolation und Ablehnung.
Social Distancing beeinfluss­t das Beziehungs- und Sexuallebe­n der Menschen: Ansteckung­sangst führte zu Isolation und Ablehnung.

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