Viele Corona-Tote in Heimen
Anschober empfiehlt weitere Lockerungen bei Besuchen
Wien – Von jenen Menschen, die in Österreich bisher an Covid-19 starben, lebten 222 in Alters- und Pflegeheimen. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) betonte am Dienstag, in manchen Ländern sei dieser Wert doppelt so hoch gewesen. Er empfahl den Heimbetreibern weitere Lockerungen: So sollen künftig auch kleine Kinder wieder zu Besuch kommen dürfen, außerdem sollen Angehörige wieder auf die einzelnen Zimmer dürfen. Die Bewohnervertretung kritisierte in dem Zusammenhang, dass viele Heime ihre Bewohner ohne gesetzliche Grundlage isolierten. (red)
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) will eine Rückkehr zur Normalität in den Alters- und Pflegeheimen. Prinzipiell müssen das zwar Länder und Träger in die Hand nehmen, das Gesundheitsministerium greift jedoch durch Empfehlungen ein – wie ebenjene, die Mitte März ein flächendeckendes Besuchsverbot zur Folge hatte. Dieses soll nun weiter aufgeweicht werden, auch weil Bewohnervertreter massive Kritik am bisherigen Umgang mit Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern geübt hatten.
Erstmals liegen für Österreich Zahlen darüber vor, wie weit das Coronavirus in Altersheime eindrang und welche Folgen dies hatte. Laut Elisabeth Rappold von der Gesundheit Österreich GmbH, die diese an der Seite Anschobers am Dienstag präsentierte, hätten sich die Infektionen im April langsam „ausgeschlichen“. Dennoch seien 222 Altersheimbewohner an Covid-19 verstorben – das ist ein Drittel aller bekannten Todesfälle.
Bisher wurden 833 Heimbewohner und 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet. 27.000 Tests in Alters- und Pflegeheimen wurden durchgeführt, nachdem Anschober Mitte April angekündigt hatte, alle 130.000 Personen in Altersund Pflegeheimen flächendeckend zu testen.
Die neuen Empfehlungen im Detail: Hygienemaßnahmen wie Abstandhalten und Fiebermessen sollen bleiben, doch künftig sollen wieder Besuche auf den Zimmern ermöglicht werden. Auch Kinder, die bisher nur mit besonderen Gründen in die Heime durften, sollen wieder zu Besuch kommen können. Verankert ist außerdem, dass man sich, sobald die pandemische Situation kritischer werde, „zusammensetzt, um hier Verbesserungen und Anpassungen zu realisieren“, sagt Anschober.
Überprüfungen vor Gericht
Generell gilt aber: Die einzelnen Heimbetreiber sollen individuelle Konzepte erarbeiten. Das war, so heißt es von Susanne Jaquemar vom Vertretungsnetz, bei bisherigen Lockerungen mitunter problematisch. Als Kontrollorgan, sagte sie, habe die Bewohnervertretung in den überwiegenden Fällen wahrgenommen, dass „Bewohner seit der Pandemie wesentlich stärker in den Grundrechten beschränkt werden“als andere Bürgerinnen und Bürger. Nachsatz: „Auch seit den Lockerungen Anfang Mai.“Seit Beginn der Pandemie häuften sich Berichte von Bewohnern, deren Freiheit ohne gesetzliche Grundlage beschnitten wurde – etwa indem ihnen mit Quarantäne gedroht wurde, wenn sie rausgehen wollten, indem Türen versperrt wurden oder indem ohne behördliche Anordnung Quarantänemaßnahmen verhängt wurden.
Österreichweit hat das Vertretungsnetz – eine von vier Bewohnervertretungen im Land – bisher etwa 20 Beschränkungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus vor Gericht gebracht. Die Zahl sei nicht endgültig, betont man.
Maria Moser, Direktorin der Diakonie, die ebenfalls Pflegeheime betreibt, sah zudem den Aspekt von Medikamenten problematisch: Die Maßnahmen, die in
Heimen getroffen wurden, seien zwar ein wirksames Mittel zur Eindämmung gewesen, „aber sie haben massive Nebenwirkungen, die wir nicht sehen können – sie verletzen die Seele“, sagte sie. Manche Menschen mit intellektueller Behinderung oder Demenz hätten die Umstellung nicht verstehen können, was zu Aggressionen führen könne. Die Folge: medikamentöse Behandlung – und damit „ein großes ethisches Problem“, so Moser.
Zustimmung für die neuerliche Lockerung kam auch von der Caritas. Man müsse das Virus isolieren und nicht die Menschen, wird Caritas-Präsident Michael Landau in einer Aussendung zitiert. Und: Gelingen könne die weitere Öffnung nur, „wenn von Bundesseite ein klarer Stufenplan vorgegeben wird, der nicht in Konflikt mit landesrechtlichen Verordnungen steht“. Die Caritas fordert außerdem regelmäßige Screenings durch Selbsttests in Heimen.