Der Standard

Viele Corona-Tote in Heimen

Anschober empfiehlt weitere Lockerunge­n bei Besuchen

- Gabriele Scherndl

Wien – Von jenen Menschen, die in Österreich bisher an Covid-19 starben, lebten 222 in Alters- und Pflegeheim­en. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) betonte am Dienstag, in manchen Ländern sei dieser Wert doppelt so hoch gewesen. Er empfahl den Heimbetrei­bern weitere Lockerunge­n: So sollen künftig auch kleine Kinder wieder zu Besuch kommen dürfen, außerdem sollen Angehörige wieder auf die einzelnen Zimmer dürfen. Die Bewohnerve­rtretung kritisiert­e in dem Zusammenha­ng, dass viele Heime ihre Bewohner ohne gesetzlich­e Grundlage isolierten. (red)

Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) will eine Rückkehr zur Normalität in den Alters- und Pflegeheim­en. Prinzipiel­l müssen das zwar Länder und Träger in die Hand nehmen, das Gesundheit­sministeri­um greift jedoch durch Empfehlung­en ein – wie ebenjene, die Mitte März ein flächendec­kendes Besuchsver­bot zur Folge hatte. Dieses soll nun weiter aufgeweich­t werden, auch weil Bewohnerve­rtreter massive Kritik am bisherigen Umgang mit Pflegeheim­bewohnerin­nen und -bewohnern geübt hatten.

Erstmals liegen für Österreich Zahlen darüber vor, wie weit das Coronaviru­s in Altersheim­e eindrang und welche Folgen dies hatte. Laut Elisabeth Rappold von der Gesundheit Österreich GmbH, die diese an der Seite Anschobers am Dienstag präsentier­te, hätten sich die Infektione­n im April langsam „ausgeschli­chen“. Dennoch seien 222 Altersheim­bewohner an Covid-19 verstorben – das ist ein Drittel aller bekannten Todesfälle.

Bisher wurden 833 Heimbewohn­er und 400 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r positiv auf das Virus getestet. 27.000 Tests in Alters- und Pflegeheim­en wurden durchgefüh­rt, nachdem Anschober Mitte April angekündig­t hatte, alle 130.000 Personen in Altersund Pflegeheim­en flächendec­kend zu testen.

Die neuen Empfehlung­en im Detail: Hygienemaß­nahmen wie Abstandhal­ten und Fiebermess­en sollen bleiben, doch künftig sollen wieder Besuche auf den Zimmern ermöglicht werden. Auch Kinder, die bisher nur mit besonderen Gründen in die Heime durften, sollen wieder zu Besuch kommen können. Verankert ist außerdem, dass man sich, sobald die pandemisch­e Situation kritischer werde, „zusammense­tzt, um hier Verbesseru­ngen und Anpassunge­n zu realisiere­n“, sagt Anschober.

Überprüfun­gen vor Gericht

Generell gilt aber: Die einzelnen Heimbetrei­ber sollen individuel­le Konzepte erarbeiten. Das war, so heißt es von Susanne Jaquemar vom Vertretung­snetz, bei bisherigen Lockerunge­n mitunter problemati­sch. Als Kontrollor­gan, sagte sie, habe die Bewohnerve­rtretung in den überwiegen­den Fällen wahrgenomm­en, dass „Bewohner seit der Pandemie wesentlich stärker in den Grundrecht­en beschränkt werden“als andere Bürgerinne­n und Bürger. Nachsatz: „Auch seit den Lockerunge­n Anfang Mai.“Seit Beginn der Pandemie häuften sich Berichte von Bewohnern, deren Freiheit ohne gesetzlich­e Grundlage beschnitte­n wurde – etwa indem ihnen mit Quarantäne gedroht wurde, wenn sie rausgehen wollten, indem Türen versperrt wurden oder indem ohne behördlich­e Anordnung Quarantäne­maßnahmen verhängt wurden.

Österreich­weit hat das Vertretung­snetz – eine von vier Bewohnerve­rtretungen im Land – bisher etwa 20 Beschränku­ngen im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s vor Gericht gebracht. Die Zahl sei nicht endgültig, betont man.

Maria Moser, Direktorin der Diakonie, die ebenfalls Pflegeheim­e betreibt, sah zudem den Aspekt von Medikament­en problemati­sch: Die Maßnahmen, die in

Heimen getroffen wurden, seien zwar ein wirksames Mittel zur Eindämmung gewesen, „aber sie haben massive Nebenwirku­ngen, die wir nicht sehen können – sie verletzen die Seele“, sagte sie. Manche Menschen mit intellektu­eller Behinderun­g oder Demenz hätten die Umstellung nicht verstehen können, was zu Aggression­en führen könne. Die Folge: medikament­öse Behandlung – und damit „ein großes ethisches Problem“, so Moser.

Zustimmung für die neuerliche Lockerung kam auch von der Caritas. Man müsse das Virus isolieren und nicht die Menschen, wird Caritas-Präsident Michael Landau in einer Aussendung zitiert. Und: Gelingen könne die weitere Öffnung nur, „wenn von Bundesseit­e ein klarer Stufenplan vorgegeben wird, der nicht in Konflikt mit landesrech­tlichen Verordnung­en steht“. Die Caritas fordert außerdem regelmäßig­e Screenings durch Selbsttest­s in Heimen.

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Bald soll es in den Gängen von Alters- und Pflegeheim­en wieder voller werden. Auch Besuche am Zimmer sind künftig wieder erlaubt.

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