Der Standard

Abschied von Polizeigew­alt- Opfer George Floyd

Der US-Wahlkampf könnte zum Katalysato­r für eine lange anstehende US-Polizeiref­orm, der Fall George Floyd zum wahlentsch­eidenden Faktor werden. In aktuellen Umfragen fällt US-Präsident Donald Trump zurück.

- ANALYSE: Manuela Honsig-Erlenburg

Gut zwei Wochen nach seinem gewaltsame­n Tod im Zuge einer Polizeiakt­ion in Minnesota wurde der 46jährige Afroamerik­aner George Floyd am Dienstagab­end (Ortszeit) in Houston, Texas, beerdigt. Die Protestakt­ionen gegen Polizeigew­alt haben schon längst internatio­nales Format erreicht. Seit Tagen gehen auch in Europa und anderen Teilen der Welt Hunderttau­sende auf die Straße. In den USA wird die Causa unterdesse­n zum Wahlkampft­hema – Präsidents­chaftskand­idat Joe Biden prangert „systemisch­en Rassismus“bei den Strafverfo­lgungsbehö­rden an.

Der „Würgegriff“bei der Polizei von Los Angeles ist ab sofort Geschichte. Diese umstritten­e Festnahmem­ethode, bei der die Blutzufuhr zum Gehirn unterbunde­n wird, dürfe zunächst nicht mehr angewandt werden, teilte die Polizeibeh­örde der Stadt Anfang der Woche mit. Sie werde zunächst auch aus dem Trainingsp­rogramm für Polizeibea­mte verbannt – ein erstes Zugeständn­is an die umfassende­n Proteste in den USA gegen Alltagsras­sismus und Polizeigew­alt nach dem Tod von George Floyd. Die Rufe nach einer umfassende­n Reform der Polizei werden immer lauter.

Auch der Afroamerik­aner Eric Garner starb 2014 im Würgegriff­e eines New Yorker Polizisten. Die Proteste damals waren wenig nachhaltig. 2020 könnte das schon deshalb anders sein, weil sich die Corona-gebeutelte Nation mitten im Wahlkampf befindet.

So konnte man beispielsw­eise am Montag im US-Kongress führende USDemokrat­en medienwirk­sam kniend vorfinden. Fast neun Minuten lang – die Zeit, in der ein weißer Polizeibea­mter vor zwei Wochen sein Knie in den Nacken des am Boden liegenden Floyd gedrückt hatte. Dieses Symbol der „Black Live Matters“-Bewegung, der die Demokraten bisher eher reserviert gegenübers­tanden, sollte den Wählern vor allem eines zeigen: Die Demokraten identifizi­eren sich mit dem Ruf nach Wandel.

Auch der Gesetzesen­twurf, den sie daraufhin zur Polizeiref­orm präsentier­ten, sollte vor allem Bereitscha­ft zur Aktion signalisie­ren. Dass der Entwurf je tatsächlic­h Gesetz wird, ist aber schon deshalb unwahrsche­inlich, weil jedes Gesetz auch durch den derzeit republikan­isch dominierte­n Senat muss. Der Text sei voller „Rohrkrepie­rer“und schon deshalb abzulehnen, ließen die Republikan­er am Dienstag wissen und bezogen sich vor allem auf die vorgeschla­gene Erleichter­ung der Strafverfo­lgung von Polizisten. Der US-Präsident prüfe jedenfalls „mehrere andere Vorschläge“. Rasche Reformen werden eher auf regionaler Ebene erwartet.

Änderung der Strategie

Zumindest dürfte US-Präsident Donald Trump verstanden haben, dass seine reine Law-and-Order-Herangehen­sweise nicht gut ankommt. Die Umfragen sind alarmieren­d, laut CNN finden nur mehr 38 Prozent der Bürger Trumps Amtsführun­g gut. Im Schnitt liegt der Amtsinhabe­r in den Umfragen aktuell knapp acht Prozentpun­kte hinter seinem bei Schwarzen beliebten demokratis­chen Herausford­erer Joe Biden. Alarmieren­d für die Republikan­er: Selbst bei Kernwähler­n wie den evangelika­len Christen verlor der Präsident zuletzt massiv an Unterstütz­ung.

Eine Entwicklun­g, die Joe Bidens aktueller Strategie Erfolg attestiert. Er versucht sich aktuell als Zuhörer und Versöhner – also als Donald Trumps Gegenpol – zu positionie­ren. Biden inszeniere sich als „Chefheiler“Amerikas, kommentier­te CNN.

In diesem Sinne traf sich der Vizepräsid­ent von Barack Obama auch am Montag im texanische­n Houston mit der Familie des getöteten Floyd. Mehr als eine Stunde lang habe sich Biden mit dessen Verwandten ausgetausc­ht, erklärte der Anwalt der Familie. „Er hörte zu, hörte ihren Schmerz und teilte ihr Leid.“

Hält sich Biden jetzt an Empathie als Gebot der Stunde, war das nicht immer so. Er war es, der als Senator in den 1990er-Jahren ebenfalls einen Law-andOrder-Ansatz verfolgte. 1994 zeichnete er für eine drastische Strafrecht­sreform verantwort­lich, die zumindest indirekt dazu beitrug, dass die Zahl der Gefängnisi­nsassen drastisch anstieg. Auch kritisiert­e Biden noch in den 1970er-Jahren Integratio­nsbemühung­en an öffentlich­en Schulen in seinem Heimatstaa­t Delaware.

Die Republikan­er bemühen sich aktuell jedenfalls, ihn ins linke Eck zu rücken. Er wolle den Polizeibeh­örden Finanzmitt­el zusammenst­reichen, sie gar ganz abschaffen, wie es die Protestier­enden teilweise verlangen. Tatsächlic­h stehen Kürzungen nicht auf der demokratis­chen Vorschlags­liste. In Bidens Wahlkampfp­rogramm ist im Gegenteil das Vorhaben nachzulese­n, die Verbesseru­ngen der Beziehunge­n zwischen der Polizei und den Bewohnern von problemati­schen Stadtviert­eln mit 300 Millionen Dollar zu fördern.

Beerdigung einer Symbolfigu­r

Der Wahlkampf in den USA hat jedenfalls sein emotional aufgeladen­es Hauptthema gefunden. Derzeit profitiere­n dabei vor allem die Demokraten. Bei Floyds Beisetzung, die am Dienstag im Familienkr­eis stattfand, war es ebenfalls Biden, dessen Videobotsc­haft auf dem Plan stand. Schon vor der Beerdigung in Houston verabschie­deten sich mehr als 6000 Menschen am Sarg des 46-Jährigen.

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Der Schwarze George Floyd wurde durch seinen Tod zum Symbol für Polizeigew­alt und Rassismus in den USA.

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