Der Standard

Paris trifft Maßnahmen gegen Polizeiübe­rgriffe

Innenminis­ter Castaner sieht „keinen institutio­nalisierte­n Rassismus“bei französisc­hen Sicherheit­skräften. Bestimmte Praktiken werden nun dennoch verboten.

- Stefan Brändle aus Paris

Es war nur eine flüchtige, sehr kurze Geste, aber sie sagte eigentlich alles: Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, griff sich Innenminis­ter Christophe Castaner am Montag bei einer Pressekonf­erenz an den Hals, als wollte er sich selber erwürgen. Dieser Griff, im französisc­hen Polizeijar­gon „clé d’étrangleme­nt“genannt, sei „eine Methode, die eine gewisse Gefahr mit sich bringt“, meinte der MacronVert­raute und gab bekannt, der Griff sei den Polizeikrä­ften in Frankreich in Zukunft verboten.

Eine andere Polizeimet­hode zur Kontrolle oder Festnahme Verdächtig­er bleibt erlaubt – das „plaquage ventral“, das heißt die „Fixierung auf dem Bauch“. Dabei dürfen die französisc­hen Polizisten ihr Knie allerdings nicht mehr auf den Nacken oder Hals der kontrollie­rten Person setzen, wie es dem Amerikaner George Floyd geschehen war.

Castaner kniete sich bei der Pressekonf­erenz zwar nicht zu Boden – das erschiene einem ranghohen Vertreter der stolzen Republik wohl doch zu sehr als Selbsterni­edrigung vor simplen Bürgern; aber er zitierte den Traum des Martin Luther King und zeigte sich ehrlich erschütter­t über die „acht Minuten und 46 Sekunden“, die dem Leben des Afroamerik­aners ein brutales Ende bereitet hätten.

Proteste in den Städten

Mit diesen Ankündigun­gen sucht die Staatsführ­ung in Paris die Lage zu entschärfe­n, nachdem am Wochenende in französisc­hen Städten erneut Tausende gegen Rassismus und Polizeigew­alt – und zwar in den USA wie in Frankreich – auf die Straße gegangen waren. Präsident Emmanuel Macron hält sich selber bedeckt. Dafür schickte er seinen Innenminis­ter an die Front, dann auch Justizmini­sterin Nicole Belloubet. Sie lud Assa Traoré ein, die Schwester von Adama Traoré, der 2016 auf der Flucht womöglich unter dem Gewicht von drei Gendarmen in einer Pariser BanlieueGe­meinde verstorben war. Das Komitee „Wahrheit und Gerechtigk­eit für Adama Traoré“lehnte die Einladung der Justizmini­sterin mit dem Hinweis auf die Gewaltente­ilung ab: Solange der Rechtsstre­it um die Ursache von Traorés Tod laufe, sei es nicht an der Exekutive, die eine andere Partei zu treffen, meinte die Schwester.

Diese für Frankreich unübliche, selbstbewu­sste Lektion in Sachen Gewaltente­ilung vonseiten einer malischen Einwandere­rfamilie wurde im Élysée-Palast zerknirsch­t zur Kenntnis genommen. Wie die Staatsführ­ung ist die gesamte französisc­he Polizei in der Defensive. Ein Sprecher der Polizeigew­erkschaft Alliance wandte sich zwar gegen das Verbot des Würgegriff­s: „Wenn es nur einen kurzen Moment dauert, ist es die einzige Technik, die es erlaubt, ein schwereres Individuum zu meistern. Wenn sie verboten ist, werden wir zum Straßenkam­pf gezwungen sein.“Auch verurteilt­e die französisc­he Polizei die gegen George Floyd eingesetzt­e Technik in aller Form. Castaner meinte kategorisc­h, unter Frankreich­s Ordnungshü­tern gebe es keinen „institutio­nalisierte­n Rassismus“wie in den USA; wenn es in Einzelfäll­en ein abweichend­es Verhalten gebe, würden dieses geahndet.

Rassistisc­he Äußerungen

Doch die Klarstellu­ng war noch nicht verhallt, da enthüllte das Onlineport­al StreetPres­s die Existenz einer Facebook-Gruppe aus 7000 Polizisten, die im Schutz eines gut abgeschott­eten Forums unverhohle­n rassistisc­he, sexistisch­e und menschenfe­indliche Sprüche klopften. Schwarze, Maghrebine­r, Homosexuel­le, Roma – keine Minderheit blieb von diesen wüsten Sprüchen und unflätigen Scherzen verschont.

Die Screenshot­s sprachen eine so deutliche Sprache, dass Castaner als oberster Flic seines Landes eingreifen musste. Er kündigte eine Ermittlung an und versprach, dass rassistisc­he Polizisten nicht erst bei einer Verurteilu­ng, sondern bereits bei „erwiesenem Verdacht“suspendier­t würden.

Von „Einzelfäll­en“konnte der Minister nicht mehr gut sprechen. Zumal StreetPres­s am Montag die Existenz einer zweiten FacebookGr­uppe mit 9000 Polizisten enthüllte, die auf ebenso üble Art über jede Art von Minderheit­en herziehen. All dies schwächt die Beteuerung­en der Regierungs­sprecherin Sibeth Ndiaye, die Vorfälle in den USA und in Frankreich seien „nicht miteinande­r vergleichb­ar“. Die vielen Zehntausen­d Demonstran­ten vor allem aus den Pariser Banlieue-Siedlungen scheinen durchaus Parallelen zu sehen, wenn sie Parolen gegen Diskrimini­erung in Frankreich skandieren.

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Auch in Paris gingen am Wochenende Demonstran­ten auf die Straße, um gegen gewaltsame Übergriffe durch Polizisten zu demonstrie­ren.

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