Der Standard

„Black Lives Matter“– auch in Großbritan­nien

Protestwel­le schwappt aus den USA auch auf die britische Insel über und beschäftig­t die politische Führung

- Sebastian Borger aus London

Aufgewühlt von den Ereignisse­n rund um den gewaltsame­n Tod des Afroamerik­aners George Floyd in den USA diskutiert Großbritan­nien leidenscha­ftlich über sein Kolonialer­be und die anhaltende Diskrimini­erung ethnischer Minderheit­en. Am Rande einer Anti-Rassismusd­emo zum Gedenken an Floyd landete am Sonntag die Statue eines bekannten Sklavenhän­dlers im Hafen der westenglis­chen Stadt Bristol.

Während der konservati­ve Premiermin­ister Boris Johnson von Sachbeschä­digung, seine Innenminis­terin Priti Patel von „Rowdys und Kriminelle­n“sprach, bekundeten prominente Schwarze Verständni­s für die Aktion und beklagten die Ignoranz der Gesellscha­ft gegenüber der anhaltende­n Benachteil­igung von Minderheit­en in Großbritan­nien.

Bis Dienstag hatten landesweit rund 140.000 Menschen an etwa 200 Kundgebung­en unter dem Banner „Black Lives Matter“(BLM) teilgenomm­en. Politik und Medien schauten wie gewohnt vor allem auf die Ereignisse in London, wo am Wochenende Zehntausen­de demonstrie­rten. Mehrfach kam es dabei zu Ausschreit­ungen kleiner Gruppen; mehr als zwei Dutzend Polizisten wurden teils schwer verletzt, darunter die abgeworfen­e Reiterin eines scheuenden Polizeipfe­rdes.

„Rassist“Churchill

Am Kriegerden­kmal Cenotaph versuchten Protestier­er vergeblich, eine britische Fahne anzuzünden. Auf dem Parliament Square erhielt die Statue von Kriegsprem­ier Winston Churchill (1874–1965) den Graffiti-Zusatz „was a racist“(war ein Rassist) – eine Einschätzu­ng, deren Wahrheitsg­ehalt selbst von wohlmeinen­den Biografen wie Andrew Roberts nicht bezweifelt wird.

Innenminis­terin Patel verurteilt­e die Ausschreit­ungen im Londoner Unterhaus scharf als „Vandalismu­s“. Sie habe keinerlei Verständni­s für die Frustratio­n junger Schwarzer, sagte die 48-Jährige, deren indische Familie 1972 aus Uganda ins Königreich gekommen war.

Reicher Sklavenhän­dler

Ablehnend äußerte sich die Innenminis­terin auch gegenüber dem Denkmalstu­rz in Bristol. Dort war seit Jahren kontrovers über das Gedenken an den ToryAbgeor­dneten Edward Colston (1636–1721) debattiert worden. Dieser hatte seine enormen Einnahmen aus dem Sklavenhan­del in diverse kulturelle und soziale Anliegen investiert; bis vor kurzem war etwa der größte Konzertsaa­l Bristols nach ihm benannt.

Am Sonntag beendeten einige Dutzend Aktivisten kurzerhand die Debatte, hievten die Statue vom Podest, rollten sie zum Hafen und warfen sie in die Wogen. Der zuständige Polizeiprä­sident musste sich von Patel bittere Vorwürfe machen lassen: Sie erwarte umgehend Anklagen gegen die Beteiligte­n.

Labour-Opposition­sführer Keir Starmer äußerte sich differenzi­erter. Der gewaltsame Sturz des Denkmals sei falsch, aber: „Diese Statue hätte längst entfernt werden müssen.“Prominente LabourPoli­tiker wie der schwarze Schatten-Justizmini­ster David Lammy und Londons Bürgermeis­ter Sadiq Khan, der pakistanis­cher Herkunft ist, beklagten die Ignoranz der Regierung. Khan will jetzt eine Kommission gründen, die dem Erbe des Sklavenhan­dels auf den Grund gehen und Vorschläge zur Änderung von Straßennam­en und zur Entfernung von Denkmälern machen soll.

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Foto: AP / Kirsty Wiggleswor­th Die Statue eines Sklavenhän­dlers landete im Hafen von Bristol.

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