„Black Lives Matter“– auch in Großbritannien
Protestwelle schwappt aus den USA auch auf die britische Insel über und beschäftigt die politische Führung
Aufgewühlt von den Ereignissen rund um den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA diskutiert Großbritannien leidenschaftlich über sein Kolonialerbe und die anhaltende Diskriminierung ethnischer Minderheiten. Am Rande einer Anti-Rassismusdemo zum Gedenken an Floyd landete am Sonntag die Statue eines bekannten Sklavenhändlers im Hafen der westenglischen Stadt Bristol.
Während der konservative Premierminister Boris Johnson von Sachbeschädigung, seine Innenministerin Priti Patel von „Rowdys und Kriminellen“sprach, bekundeten prominente Schwarze Verständnis für die Aktion und beklagten die Ignoranz der Gesellschaft gegenüber der anhaltenden Benachteiligung von Minderheiten in Großbritannien.
Bis Dienstag hatten landesweit rund 140.000 Menschen an etwa 200 Kundgebungen unter dem Banner „Black Lives Matter“(BLM) teilgenommen. Politik und Medien schauten wie gewohnt vor allem auf die Ereignisse in London, wo am Wochenende Zehntausende demonstrierten. Mehrfach kam es dabei zu Ausschreitungen kleiner Gruppen; mehr als zwei Dutzend Polizisten wurden teils schwer verletzt, darunter die abgeworfene Reiterin eines scheuenden Polizeipferdes.
„Rassist“Churchill
Am Kriegerdenkmal Cenotaph versuchten Protestierer vergeblich, eine britische Fahne anzuzünden. Auf dem Parliament Square erhielt die Statue von Kriegspremier Winston Churchill (1874–1965) den Graffiti-Zusatz „was a racist“(war ein Rassist) – eine Einschätzung, deren Wahrheitsgehalt selbst von wohlmeinenden Biografen wie Andrew Roberts nicht bezweifelt wird.
Innenministerin Patel verurteilte die Ausschreitungen im Londoner Unterhaus scharf als „Vandalismus“. Sie habe keinerlei Verständnis für die Frustration junger Schwarzer, sagte die 48-Jährige, deren indische Familie 1972 aus Uganda ins Königreich gekommen war.
Reicher Sklavenhändler
Ablehnend äußerte sich die Innenministerin auch gegenüber dem Denkmalsturz in Bristol. Dort war seit Jahren kontrovers über das Gedenken an den ToryAbgeordneten Edward Colston (1636–1721) debattiert worden. Dieser hatte seine enormen Einnahmen aus dem Sklavenhandel in diverse kulturelle und soziale Anliegen investiert; bis vor kurzem war etwa der größte Konzertsaal Bristols nach ihm benannt.
Am Sonntag beendeten einige Dutzend Aktivisten kurzerhand die Debatte, hievten die Statue vom Podest, rollten sie zum Hafen und warfen sie in die Wogen. Der zuständige Polizeipräsident musste sich von Patel bittere Vorwürfe machen lassen: Sie erwarte umgehend Anklagen gegen die Beteiligten.
Labour-Oppositionsführer Keir Starmer äußerte sich differenzierter. Der gewaltsame Sturz des Denkmals sei falsch, aber: „Diese Statue hätte längst entfernt werden müssen.“Prominente LabourPolitiker wie der schwarze Schatten-Justizminister David Lammy und Londons Bürgermeister Sadiq Khan, der pakistanischer Herkunft ist, beklagten die Ignoranz der Regierung. Khan will jetzt eine Kommission gründen, die dem Erbe des Sklavenhandels auf den Grund gehen und Vorschläge zur Änderung von Straßennamen und zur Entfernung von Denkmälern machen soll.