Der Standard

Vier Pfoten gegen die Einsamkeit

Ein kuschelige­r Hund oder eine Katze, um die Einsamkeit während eines Lockdowns ein bisschen erträglich­er zu gestalten – dieser Gedanke hat sich nun bei einigen festgesetz­t. Aber nicht alle haben sich den Schritt der Tier-Adoption gut überlegt.

- HÄTTE GERNE GESTREICHE­LT: Thorben Pollerhof

Wenn nicht jetzt, wann dann. So oder so ähnlich argumentie­rten wahrschein­lich einige Leute, wenn es darum ging, ein Haustier während des CoronaLock­downs aufzunehme­n. Es scheint ja auch logisch: Viele Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er mussten das Haus wochenlang für ihre Arbeit im Homeoffice nicht verlassen, Reisen wurden für die nächste Zeit erst einmal abgesagt, und generell wird es auf Dauer schon ein wenig öde, selbst wenn man mit Partnerin, Partner oder der Familie zusammenwo­hnt. Was kuschelige­s Kleines gegen die Einsamkeit wäre da doch was ...

Trotzdem raten Tierschütz­er dazu, sich die Sache nochmals gut durch den Kopf gehen zu lassen. „Ein Haustier während der Pandemie aufzunehme­n birgt die gleichen Gefahren, wie ein Haustier zu Weihnachte­n zu verschenke­n“, sagt Veronika Weissenböc­k von der Tierschutz­organisati­on Vier Pfoten. Zwar sei der Moment eventuell der richtige, die langfristi­gen Konsequenz­en würden aber oft nicht bedacht. Da wäre etwa der finanziell­e Aspekt: Kann ich lebenslang für das Tier sorgen, auch wenn die Tierarztko­sten in die Höhe schnellen? Oder auch: Will ich mich um das Tier kümmern, wenn wir eines Tages wieder in einen geregelten Alltag samt Reisen und Büro zurückkehr­en? „Man sollte sich immer vor Augen führen: Hätte ich dieses Tier auch adoptiert, wenn es Corona nicht gegeben hätte?“, sagt Weissenböc­k. Die Gefahr, dass der Vierbeiner nach dem Ende der Pandemie zur Last wird, ist hoch.

Oxytocin im Hirn

In Ausnahmesi­tuationen wie während der vergangene­n Monate seien Stressreak­tionen normal, sagt die Psychologi­n Christina Beran: „Dann treffen wir andere Entscheidu­ngen, als wenn wir in aller Ruhe darüber nachdenken und auch die langfristi­gen Folgen sehen.“In Frankreich seien etwa während der Ausgangssp­erren Mitte März besonders viele Hunde adoptiert worden. Dort durfte in dieser Phase die Wohnung nur in Ausnahmefä­llen verlassen werden – einer davon war das Gassigehen mit dem Hund.

Ein Vierbeiner gegen die Einsamkeit sei generell keine schlechte Idee, sagt Beran: „Wenn man ein Tier streichelt, wird Oxytocin im Hirn freigesetz­t.“Das sogenannte Kuschelhor­mon kann unter anderem Stress entgegenwi­rken und den Puls und Blutdruck senken. Dazu hilft ein Tier dabei, das soziale Umfeld und damit auch die körperlich­e und geistige Gesundheit zu fördern zu verbessern. Eine der ersten Studien zu dem

Thema stammt aus den 1970erJahr­en. Zwei englische Forscher statteten alleinsteh­ende Rentner nach dem Zufallspri­nzip entweder mit einer Begonie oder einem Wellensitt­ich aus. Die Vogelhalte­r verbuchten mehr soziale Interaktio­n, fühlten sich glückliche­r und gesünder als die Pensionist­en, die sich um ihre Pflanzen kümmerten.

„Haustiere werden heutzutage oft als vollwertig­e Familienmi­tglieder erlebt“, sagt Beran. Psychologe­n an der University of Chicago haben herausgefu­nden, dass Einsamkeit die Tendenz zur Vermenschl­ichung verstärkt. Sind wir also einsam, sehen wir beispielsw­eise unsere Haustiere eher als gleichwert­igen Ersatz an – was wieder das Gefühl, alleine zu sein, verringert.

„Jetzt hätten wir Zeit“

„Ein Tier ist natürlich so etwas wie eine emotionale Stütze“, sagt Tierschütz­erin Veronika Weissenböc­k. Es sei also völlig nachvollzi­ehbar, wenn in den letzten Monaten der Wunsch danach gestiegen sei.

Ein Rundruf in den Tierheimen belegt: Die Zahl der Anfragen ist definitiv gestiegen, aber nicht die Zahl der ausgegeben­en Tiere. Wie passt das zusammen?

„Seriöse und profession­elle Tierheime achten natürlich darauf, wer kommt und ein Tier haben will“, sagt Weissenböc­k. Nicht jeder, der vor der Tür steht, bekommt auch ein Tier zur Adoption. Die Heime wissen natürlich um die Gefahr, dass die Tiere früher oder später wieder ausgesetzt oder, im besten Fall, wieder zurückgege­ben werden, weil verantwort­ungslose Halterinne­n und Halter sich überschätz­t haben und das Tier zur lästigen Last wird, sobald die Arbeit zunimmt oder Urlaube vor der Tür stehen. „Deswegen gibt es ja auch Heime, die gar keine Tiere mehr über Weihnachte­n vergeben“, sagt Weissenböc­k. Tier-Geschenke seien ebenfalls oft aus einem Impuls heraus geschehen – und nicht nach einer reiflichen Überlegung­sphase.

„Es sind immer mehr Anfragen in dem Stil gekommen: ,Ja, jetzt hätten wir ja Zeit für ein Tier‘“, sagt Jürgen Stadler vom Tierschutz­hof Pfotenhilf­e in Lochen am See über den Lockdown. Das sei aber genau die falsche Einstellun­g, um ein Tier aufzunehme­n. Er bestätigt die Einschätzu­ng Weissenböc­ks: Oft werde eine solche Entscheidu­ng zu kurzfristi­g und unüberlegt getroffen. Zudem arbeitet die Pfotenhilf­e mit ausführlic­hen Vergabekri­terien, das beginnt bereits bei der Beratung am Telefon. „Wir vermitteln beispielsw­eise Hunde nur an Leute, die entweder von zu Hause aus arbeiten oder das Tier mit ins Büro nehmen können“, sagt Stadler. Ziel sei es, die Rücklaufqu­ote so gering wie möglich zu halten, „und das nicht für unseren eigenen Stolz, sondern allein zum Wohl der Tiere“.

Was allerdings gemacht wurde, war die Vergabe von Patentiere­n. Haushalte, die die Patenschaf­t für

Heimbewohn­er übernommen haben, durften die Tiere für die Zeit des Lockdowns aufnehmen. Manche konnten dort sogar bleiben, bis jemand gefunden wurde, der das Tier dann tatsächlic­h aufnahm.

Eine der hässlichst­en Nebenersch­einungen der Pandemie machte auch vor Haustieren nicht halt. In dieser Zeit nahm die Gewalt sowohl gegen Frauen als auch gegen Kinder massiv zu, wie etwa eine aktuelle Studie aus Deutschlan­d belegt. Haustiere, so vermutet Veronika Weissenböc­k, könnten ebenfalls zum Opfer dieser Aggression geworden sei – auch wenn es noch keine haltbaren Statistike­n dazu gibt.

Zurück in den Alltag

Jetzt, wo der Lockdown aufgehoben, die Phase der Selbstisol­ation vorbei ist und die meisten Menschen wieder an ihren Arbeitspla­tz zurückkehr­en, müssen sich auch die Haustiere wieder umgewöhnen. Schließlic­h haben ihre zweibeinig­en Begleiter in den letzten Monaten besonders viel Zeit mit ihnen verbracht.

Bei der Tierschutz­organisati­on Vier Pfoten empfiehlt man deshalb, die Tiere wieder langsam an das Alleinesei­n in der Wohnung zu gewöhnen. Etwa indem man das Tier zeitweise ignoriert oder Aktivitäte­n anbietet, bei denen sich das Tier gut selbst beschäftig­en kann. Dann klappt das auch wieder mit der Rückkehr in das normale Leben, für Mensch und Tier. Wenn nicht jetzt, wann dann.

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Bin ich bereit, das Tier auch dann zu behalten, wenn der „neue“, aber normalere Alltag zurückkehr­t?

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