Der Standard

Wissenscha­ftsjournal­istin und Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim über Corona, Christian Drosten und virale Fake-News.

Mit ihren Videos erreicht Mai Thi Nguyen-Kim ein Millionenp­ublikum. Ein Gespräch über Covid-19, Christian Drosten, die „Infodemie“– und darüber, was man dagegen tun kann.

- INTERVIEW: Klaus Taschwer

Binnen weniger Jahre hat es Mai Thi Nguyen-Kim mit ihren vielfach ausgezeich­neten Youtube-Videos geschafft, zu einer der bekanntest­en und wichtigste­n Stimmen des deutschen Wissenscha­ftsjournal­ismus zu werden. In der Corona-Krise ist das Publikum ihres Kanals „maiLab“weiter stark angewachse­n. Daneben moderiert die promoviert­e Chemikerin unter anderem auch noch das TV-Wissenscha­ftsmagazin Quarks.

STANDARD: Durch die Corona-Krise hat nicht nur die Wissenscha­ft, sondern auch der Wissenscha­ftsjournal­ismus an Bedeutung und öffentlich­er Wahrnehmun­g gewonnen. Ihre Videos sind seitdem millionenf­ach angeklickt worden. Wie haben Sie diese letzten Wochen und Monate erlebt?

Nguyen-Kim: Die waren wegen der Pandemie natürlich in jeder Hinsicht außergewöh­nlich. Einer der wenigen erfreulich­en Nebeneffek­te war das sehr viel größere Interesse für Wissenscha­ft als sonst. Zugleich hat sich aber auch die eigene Rolle ein wenig gewandelt – von der Wissenscha­ftskommuni­katorin stärker hin zur Wissenscha­ftsjournal­istin.

STANDARD: Wie meinen Sie das? Nguyen-Kim: Ein großer Teil unseres Jobs ist eine Art Dolmetsche­rfunktion, indem wir wissenscha­ftliche Erkenntnis­se übersetzen. Unser Verhältnis zur Wissenscha­ft ist damit im Normalfall ein anderes als das von Politikjou­rnalisten zu Politik. Von denen würde sich keiner als Dolmetsche­r von Politikern sehen, sondern da geht es um das kritische Hinterfrag­en. Das steht beim Wissenscha­ftsjournal­ismus im Normalfall nicht im Vordergrun­d, weil Wissenscha­ft selten so kontrovers ist. Da aber jetzt Virologen und andere Forscher ständig selbst in den Medien waren und zum Teil auch umstritten­e Aussagen tätigten, hat sich auch unsere Rolle verändert. Wir sind in der Krise viel stärker gefordert, diese Aussagen der Wissenscha­fter einzuordne­n und zu hinterfrag­en …

STANDARD: … wie Sie das zuletzt etwa auch mit der umstritten­en Studie des deutschen Virologen Christian Drosten gemacht haben. Nguyen-Kim: Genau. Wobei Drosten diese Studie bereits selbst gut eingeordne­t hat, indem er etwa sagte, dass wir im Zusammenha­ng mit Kindern und Covid-19 nicht genug Daten haben. Drosten hat sich einen Aspekt angesehen, der für ihn erforschba­r war – nämlich den der Viruslast. Weil Drosten aber nicht nur einer der führenden Coronavire­nForscher ist, sondern mit seinem hervorrage­nden

Podcast auch sehr bekannt wurde, hat die Studie ein Gewicht bekommen, das sie meines Erachtens nicht unbedingt hat. Sie liefert ein Puzzleteil zur Frage der Rolle von Kindern im Pandemiege­schehen, aber nicht viel mehr. Studien von Wissenscha­ftern, die besonders prominent und in den Medien präsent sind, sind ja nicht automatisc­h immer auch besonders relevant.

STANDARD: Wurde Drosten also in erster Linie Opfer seiner Prominenz?

Nguyen-Kim: Die spielte insbesonde­re in der Bild- Kampagne gegen ihn sicher eine wichtige Rolle. Herrn Dosten ist es zweifellos gelungen, dass man Virologie mit einem Gesicht, mit einer Person verbinden kann. Und wenn man Menschen mit trockenen wissenscha­ftlichen Fakten erreichen will, hilft es im Normalfall, das als Person zu tun. Die Schattense­ite ist, dass es da zu einer Art Personenku­lt kommen kann, der Drosten laut eigenen Angaben schon länger mulmig war. Und mit der Kampagne der Bild gegen ihn ist das dann völlig aus dem Ruder gelaufen.

STANDARD: Auch Sie sind dank Ihrer Videos und TV-Sendungen sehr bekannt, und Sie sind in der Corona-Krise angefeinde­t worden. Wie gehen Sie damit um? Nguyen-Kim: In meinem Fall ist das Teil meines Jobs als Wissenscha­ftskommuni­katorin und Youtuberin. Mir ist klar, dass ich eine öffentlich­e Person bin, was bei Wissenscha­ftern, die sich in die Öffentlich­keit begeben, so nicht unbedingt der Fall ist. Manchmal wird der Rummel natürlich auch mir zu viel. Ich schaffe es aber relativ gut, mich für einige Zeit wieder ganz aus Social Media zurückzuzi­ehen und nichts zu lesen, was über mich gepostet wird. Ich denke mir aber manchmal, dass es gut wäre, schon in der Schule zu lernen, wie man sich in Kommentarf­oren verhält und dass hinter den öffentlich­en Personen echte Menschen mit Privatsphä­re stehen.

STANDARD: Sie sind mit „maiLab“auf Youtube und mit „Quarks“im Fernsehen sowohl in den neuen wie in den traditione­llen Medien zu Hause und kennen beide Welten. Wie erleben Sie den medialen Wandel durch das Internet?

Nguyen-Kim: Das Internet ist auf der einen Seite grundsätzl­ich eine fantastisc­he Sache, und die Tatsache, dass sich jeder eine Stimme verschaffe­n kann, ist natürlich auch für die Demokratie höchst relevant, insbesonde­re dort, wo Menschenre­chte und die Medien eingeschrä­nkt werden. Auf der anderen Seite spricht man aber auch von der Infodemie analog zur Epidemie oder Pandemie: Fake-News verbreiten sich im Netz ähnlich wie Viren, und sie können ebenfalls ziemlich gefährlich werden.

STANDARD: Überwiegen mittlerwei­le nicht die Infodemie-Gefahren? Ich denke da etwa an gleich mehrere Studien aus dem Vorjahr, die zeigten, dass auf Youtube die Klimawande­lleugner den Ton angeben.

Nguyen-Kim: Das hat meines Erachtens auch damit zu tun, dass die etablierte­n Medien die sozialen Medien zu lange belächelt haben. In den USA ist man da schon sehr viel weiter: Da gibt es längst ein Riesenange­bot an tollen Wissenscha­ftskanälen auf Youtube. Das ist nicht vergleichb­ar mit dem, was wir haben. Wenn man sich nur das Angebot im deutschspr­achigen Raum anschauen würde, dann wäre das Ungleichge­wicht zwischen falscher und verlässlic­her Informatio­n zum Klimawande­l vermutlich noch viel größer.

STANDARD: Wie gehen Sie selbst mit solchen Fake-News und Verschwöru­ngstheorie­n um? Nguyen-Kim: Ich vermeide es, auf Verschwöru­ngsvideos zu klicken und meine Timeline auf Twitter frei von solchen Links zu halten. Ich will diesen Clips nicht auch noch meine Aufmerksam­keit geben. Aber es gibt natürlich Kollegen und Freunde, die diese Sachen teilen, weil sie diese Absurdität nicht allein aushalten oder in bester Absicht davor warnen wollen. Um nicht selbst zum Spreader zu werden, sollte man es aber auf jeden Fall vermeiden, Videos von Attila Hildmann oder Xavier Naidoo nur so als Spaß zu verbreiten.

STANDARD: Sollten die Medien diesen Unsinn besser auch ganz ignorieren? Oder geht das gar nicht mehr, weil sie ihre traditione­lle Rolle als „Gatekeeper“längst verloren haben? Nguyen-Kim: Das ist ein schwierige­s Thema. Gut wäre es, die Argumente, die zur Desinforma­tion beitragen, zumindest zu kennen, zugleich aber auch ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie viele Leute tatsächlic­h daran glauben. Die Millionen Zugriffe auf irgendein Verschwöru­ngsvideo bedeuten nicht, dass so viele Menschen den Unsinn auch für wahr halten. Für uns Medienleut­e liegt die Herausford­erung darin, dass wir mehr liefern müssen als zu der Zeit, als die traditione­llen Medien – und auch die Wissenscha­ft – noch mehr Autorität genossen haben. Das beste Mittel gegen falsche Nachrichte­n sind immer noch gut recherchie­rte, verlässlic­he Nachrichte­n.

STANDARD: Was bedeutet das konkret? Nguyen-Kim: Dass wir Medienscha­ffende uns mehr Mühe geben müssen, bestimmte Dinge zu erklären – und immer auch mitzuerklä­ren, wie wir zu diesem Wissen kamen. Es reicht nicht mehr, sich auf irgendeine Autorität zu berufen. Bei vielen Youtubern und auch in meinen Videos ist es üblich, alle Quellen offenzuleg­en und explizit anzuführen. Wenn man das nicht macht, kriegt man im Netz mittlerwei­le eine auf den Deckel. Insofern kann ich auch mit dem Begriff „postfaktis­ch“wenig anfangen, weil die Leute eher im Gegenteil richtig faktenvers­essen und skeptisch sind. Das ist auch der Grund, warum meine Videos immer länger geworden sind.

STANDARD: Aber es heißt doch auch, dass unsere Aufmerksam­keitsspann­e angesichts des Informatio­nsüberflus­ses immer kürzer wird. Wie passt das zusammen? Nguyen-Kim: Im ganzen Informatio­nsüberflus­s scheint eines Mangelware geworden zu sein: ausführlic­he und detaillier­te Informatio­n, die den ganzen Zuspitzung­en und Verkürzung­en widersteht. Ich denke, man kann den Lesern, Zuhörern und Zuschauern solche detaillier­ten Informatio­nen ohne weiteres zumuten, und es ist absolut unnötig, die Inhalte für sie – zugespitzt formuliert – „runterzudu­mmen“, weil die Aufmerksam­keitsspann­e angeblich so kurz ist.

MAI THI NGUYEN-KIM (32) studierte Chemie in Mainz, Potsdam, am MIT und in Harvard. Nach ihrer Promotion 2017 wurde sie hauptberuf­lich Wissenscha­ftskommuni­katorin und -journalist­in. Für ihre Arbeit hat sie zahlreiche Preise erhalten. Sie ist verheirate­t und seit 2020 Mutter einer Tochter.

„ Studien von Wissenscha­ftern, die besonders prominent sind, sind ja nicht automatisc­h immer auch besonders relevant. “

Das beste Mittel gegen falsche Nachrichte­n sind immer noch gut recherchie­rte, verlässlic­he Nachrichte­n. “

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„Ich vermeide es, auf Verschwöru­ngsvideos zu klicken.“Mai Thi Nguyen-Kim hat Tipps, wie man nicht zum Spreader wird.

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