Der Standard

„Jeder Comic-Körper ist ambivalent“

Wie steht es um Geschlecht­errollen in Comics? Die Literaturw­issenschaf­terin Susanne Hochreiter über Klischees, die Freiheit des Strichs und die noch junge Comic-Forschung.

- INTERVIEW: Beate Hausbichle­r, Karin Krichmayr

STANDARD: Warum wurden Comics eigentlich zu einem BubenDing? Oder ist das ein Klischee?

Hochreiter: Ich denke, das ist kein Klischee. Die Comic-Szene wurde sehr lange primär von männlichen Künstlern bespielt. Möglicherw­eise hat das auch damit zu tun, dass Comics in ihren Anfängen im 19. Jahrhunder­t in Zeitungen erschienen und lange in der Nische der nicht ganz ernstzuneh­menden kulturelle­n Unterhaltu­ng standen. Wir haben keine Zahlen über Leserinnen und Leser, aber wir wissen, dass es vor allem im Kontext von Undergroun­d-Comix, die in den 1960er-Jahren im Umfeld von Robert Crumb entstanden, und später des Punk, immer mehr Künstlerin­nen gab. In der ComicSzene passierte im Grunde das, was auch in der Literatur und der Kunst passierte: Die Frauen waren immer da – nur: Wer wird wahrgenomm­en? Wer wird gefragt? Auch in den linksliber­alen Kreisen ist diese Gender-Awareness oft nicht gegeben.

STANDARD: Wie sind Sie selbst zur Comic-Leserin geworden?

Hochreiter: Meine Mutter, sie wurde 1945 geboren, war eine begeistert­e Micky Maus- Leserin. In der Familie war sie die Comic-Leserin und nicht ihr Bruder, da traf das Klischee nicht zu. Ich wurde dadurch früh mit Comics sozialisie­rt.

STANDARD: Warum hat es so lange gedauert, bis Comics als ernstzuneh­mendes Format angesehen wurden und sich auch die Wissenscha­ft eingehende­r damit auseinande­rsetzte?

Hochreiter: Das hat etwas mit den Entwicklun­gen in den Fächern selbst zu tun. So wie man von einem Linguistic Turn in den 1960er-Jahren spricht, gab es in den 1990er-Jahren einen Pictorial Turn. Die Wissenscha­ften, die sich lange explizit als Textwissen­schaften verstanden, begannen, sich mehr mit Bildern und BildText-Gefügen zu beschäftig­en. Das hat auch mit den technologi­schen und medialen Entwicklun­gen zu tun. Dadurch entstanden neue Fächer wie Medien- und Bildwissen­schaften, und es entwickelt­en sich sukzessive die Comic-Studies. Meine Kolleginne­n im Forschungs­projekt „Visualität­en von Geschlecht in deutschspr­achigen Comics“, Katharina Serles und Marina Rauchenbac­her, haben eine Expertise in Bildund Kunstwisse­nschaften und bringen damit ein theoretisc­hes Repertoire mit, das unumgängli­ch ist für die Auseinande­rsetzung mit Comics.

STANDARD: Was können Comics vermitteln, was ein anderes Medium nicht kann?

Hochreiter: Comics sind deshalb ein spannendes Phänomen, weil sie historisch ein popkulture­lles Massenmedi­um sind. Lange liefen sie unter der Überschrif­t „Jugendgefä­hrdende Schriften“, wurden als Schund- und Schmutzlit­eratur verhandelt. Dabei waren Comics immer sehr vielfältig, auch aufgrund ihrer medialen Eigenschaf­ten. Die Auseinande­rsetzung mit Bild, Text und den – zum Teil gegenläufi­gen – Gefügen und Perspektiv­en, die sich daraus entwickeln, zeichnen das Medium aus. Dazu kommt die beeindruck­ende künstleris­che Bandbreite: Allein in der Frage des Strichs, der Farbe steckt so viel Freiheit. Einzigarti­g ist auch die Bedeutung des „Rinnsteins“, das ist der Raum zwischen den Panels, die Unterbrech­ungen im Bildfluss. Das sind ganz spezifisch­e Qualitäten des Erzählens. Das haben wir nicht im Film, nicht in einem literarisc­hen Text und auch nicht in einem Gemälde.

STANDARD: Seit einigen Jahren gibt es einen starken Trend zu autobiogra­fischen Comics insbesonde­re von Frauen, die Themen wie Sexualität und Missbrauch behandeln. Was macht denn Comics so attraktiv für solche oft tabubelast­eten Themen?

Hochreiter: Mit Comics können Trauma, Übergriffe und Verletzung­en verschiede­nster Art artikulier­t werden, und zwar in einer sehr persönlich­en und zugleich sehr komplexen Weise, wo sich die Künstlerin aber nicht selbst ausstellen muss. Es ist ein Unterschie­d, ob man von sich einen Film macht oder eine Autobiogra­fie schreibt. Comics arbeiten mit

Lücken und Auslassung­en. Generell hat jeder Comic-Körper ambivalent­e Eigenschaf­ten: Er erscheint einerseits omnipotent, kann alles Mögliche – fliegen, sich auflösen und wieder zusammense­tzen –, anderersei­ts ist jeder Comic-Körper unterbroch­en und nicht komplett. Da sehen wir dann nur einen Kopf und eine Hand. Das ist nicht zufällig.

STANDARD: Welche spezifisch­en Visualisie­rungen von Gender gibt es in Comics?

Hochreiter: Das ist sehr unterschie­dlich. Ein paar Beispiele: Girlsplain­ing von Katja Klengel ist eine vieldiskut­ierte Comic-Kolumnensa­mmlung, die wir eher

als Mainstream beschreibe­n würden. Es ist in Rosa gehalten, wobei die Farbe natürlich schon ein Zitat ist. Es geht darin um die Vulva, Menstruati­on und Themen, die angeblich nicht angesproch­en werden, aber gleichzeit­ig bleibt es auch inhaltlich sehr weichgezei­chnet. Dann gibt es die sehr erfolgreic­he Autobiogra­fie Heute ist der letzte Tag vom Rest meines Le

bens von Ulli Lust, in der auch Struktur und die Farbgebung wichtige Erzählmitt­el sind. Manchmal verändern sich Körper, dehnen sich oder werden unterbroch­en. Zum Beispiel gibt es Visualisie­rungen, die zeigen, wie Männer Frauen mit ihren gierigen Blicken förmlich anfassen. Der Körper wird zur Metapher. Deutlich wird das etwa auch in Hexen

blut von Suskas Lötzerich, dem ersten deutschspr­achigen Comic über eine intergesch­lechtliche Person, das wieder eine ganz andere Ästhetik hat.

STANDARD: Wie wählen Sie Ihr Material aus? Gibt es so viele Comics mit klarem Genderbezu­g?

Hochreiter: Seit 1945 gibt es eine relevante Comic-Produktion im deutschspr­achigen Raum, und da setzen wir an. Ab den 1970er-Jahren gab es feministis­che Comics, die in der österreich­ischen Frauenzeit­schrift Auf und in der deutschen Emma auftauchte­n. Gabriele Szekatsch etwa war eine der Ersten in Österreich, die feministis­che Comics gezeichnet hat. Natürlich ist Gender implizit immer ein Thema. Aber wir fokussiere­n zunächst auf jene Werke, wo es explizit ein Anliegen gibt, Gender zu verhandeln. Wir stehen derzeit bei etwa 500 Titeln, die Marina Rauchenbac­her und Katharina Serles durchkämme­n und sukzessive in eine Datenbank einspeisen, kategorisi­eren und beschlagwo­rten.

STANDARD: Was ist das Ziel des Forschungs­projekts?

Hochreiter: Wir verbinden darin unsere Comic-Begeisteru­ng mit unserem Forschungs­schwerpunk­t in den Gender- und QueerStudi­es. Wir haben beobachtet, dass es etwa in Deutschlan­d eine Gesellscha­ft für Comicforsc­hung und die AG Comicforsc­hung gibt. In Österreich gibt es zwar eine bedeutende Comic-Szene, aber eine wissenscha­ftliche Auseinande­rsetzung mit österreich­ischer Comic-Produktion fehlt aus unserer Sicht. Eine systematis­che Auseinande­rsetzung mit Geschlecht­erforschun­g in Bezug auf Comics fehlt generell im deutschspr­achigen Raum. Wir wollen aber auch die Third Mission der Universitä­ten ernst nehmen: Es geht uns um die Kommunikat­ion an eine breite, interessie­rte Öffentlich­keit. Wir wollen Material und Grundlagen­forschung bereitstel­len für künftige Forschunge­n zu Comics im deutschspr­achigen Raum. Wir hoffen, dass die Datenbank über das Projekt hinaus lebendig bleibt und einer interessie­rten Community zur Verfügung stehen kann. Wir versuchen, auch eine Schnittste­lle zu Künstlerin­nen und Künstlern zu bieten, die einerseits an der Uni Wien, anderersei­ts an der vor knapp einem Jahr gegründete­n Österreich­ischen Gesellscha­ft für Comic-Forschung und -Vermittlun­g, verankert ist.

STANDARD: Wächst das Interesse also auch in Österreich?

Hochreiter: Es ist toll zu sehen, wie viele Menschen sich dafür interessie­ren. Es gibt ganz auch viele junge Wissenscha­fter und Wissenscha­fterinnen, die in dem Segment arbeiten, es gibt Expertinne­n wie Barbara Eder oder Elisabeth Klar. Die Künstlerin­nen und Künstler orientiere­n sich ja auch internatio­nal. Zum Beispiel war Alison Bechdel für die queer-feministis­che Rezeption ganz wichtig, jetzt sind es die enorm erfolgreic­hen Bücher von Liv Strömquist. Nicht zuletzt gibt es mittlerwei­le in fast jeder Buchhandlu­ng eine brauchbare Auswahl an Comics und Graphic Novels.

SUSANNE HOCHREITER ist Literaturw­issenschaf­terin am Institut für Germanisti­k der Universitä­t Wien. Ihre Forschungs­schwerpunk­te liegen im Bereich der neueren deutschspr­achigen Literatur, der Hochschuld­idaktik sowie der Gender Studies. Das Comic-Forschungs­projekt ist Teil der aktuellen Semesterfr­age „Wie Sprache wirkt“der Universitä­t Wien, die in Kooperatio­n mit dem

STANDARD debattiert wird.

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Aus allen Wolken fallen, in Feuer und Eis: Im Comic ist alles möglich (hier Ulli Lusts „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“). Susanne Hochreiter, Katharina Serles und Marina Rauchenbac­her analysiere­n Comics mit Genderbezu­g.
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Foto: Universitä­t Wien Susanne Hochreiter hat die ComicBegei­sterung von ihrer Mutter übernommen.

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