Der Standard

Der Klimawande­l macht Fische dümmer

Elritzen, die in wärmerem Wasser aufwachsen, haben größere Gehirne. Klüger sind sie deswegen nicht – im Gegenteil: Sie tun sich schwerer dabei, Futter zu finden.

- Susanne Strnadl

Der Klimawande­l macht Österreich­s Seen wärmer. Der Lunzer See macht dabei keine Ausnahme, auch wenn er eher für sein klares Wasser als für seine badefreund­lichen Temperatur­en bekannt ist: Innerhalb der letzten 30 Jahre ist seine Wassertemp­eratur im Jahresmitt­el um ein halbes Grad gestiegen – Tendenz weiter steigend. Ein halbes Grad mag harmlos klingen, doch langjährig­e Entwicklun­gen dieser Art können weitreiche­nde Auswirkung­en auf die im See lebenden Organismen haben. Am interunive­rsitären Zentrum Wasser-Cluster Lunz gehen Forscher derzeit mit finanziell­er Unterstütz­ung des Wissenscha­ftsfonds FWF einer recht unerwartet­en Konsequenz nach, nämlich größeren, aber leistungss­chwächeren Gehirnen bei Fischen.

Wie alle Tiere mit Ausnahme der Vögel und Säuger sind Fische wechselwar­m, das heißt, ihre Körpertemp­eratur schwankt mit jener der Umgebung. Das bedeutet unter anderem, dass sie in warmem Wasser mehr Energie brauchen, um ihre Lebensfunk­tionen aufrechtzu­erhalten. Das wiederum hat zur Folge, dass sie mehr Sauerstoff brauchen. „Viele Fische sind imstande, sich an den erhöhten Energiebed­arf anzupassen und ihren Grundmetab­olismus auf ein niedrigere­s Niveau zu drücken“, sagt Libor Závorka vom Wasser-Cluster Lunz, „aber gewöhnlich ist das mit Kosten an einer anderen Stelle verbunden.“

Von manchen Wechselwar­men weiß man, dass diese Kosten auch im Bereich kognitiver Leistungen anfallen können. Bei den nur in Australien vorkommend­en Lesueur-Geckos (Amalosia lesueurii) etwa brauchten Exemplare, die in einem warmen Nest aufgezogen wurden, länger, um zu einem Unterschlu­pf zu finden, als Artgenosse­n, die bei üblichen Temperatur­en aufwuchsen. Welche Einbußen Fische in Kauf nehmen, untersucht­e Závorka ab 2017 zusammen mit Shaun Killen von der Universitä­t Glasgow an Elritzen.

Am klügsten bei 14 Grad

Elritzen sind fingerlang­e Schwarmfis­che aus der Familie der Karpfen, die bevorzugt saubere, sauerstoff­reiche Fließgewäs­ser und Seen besiedeln, wo sie sich von Insekten, Kleinkrebs­en und Würmern ernähren. Was die Wassertemp­eratur angeht, sind sie relativ unkomplizi­ert und überleben sogar kurze Phasen bis zu 30 Grad Celsius. Am besten geht es ihnen aber bei circa 14 Grad; da werden sie, wie Závorka und seine Mitarbeite­r zeigen konnten, auch am klügsten.

Die Forscher brachten junge Elritzen aus einem Kanal des schottisch­en Flusses Kelvin ins Labor der Universitä­t Glasgow, wo sie die eine Hälfte bei den unter natürliche­n Umständen üblichen 14 und die andere bei deutlich höheren 20 Grad Celsius hielten. Nach zwei Monaten ungestörte­n Wachstums wurden die Tiere farblich individuel­l markiert und dann einzeln auf ihre kognitiven Fähigkeite­n getestet. Ihre Aufgabe bestand darin, in einem Labyrinth, das aus drei in einer Reihe angeordnet­en Kammern bestand, den Weg zu einem Leckerbiss­en zu finden, in dem Fall eine Zuckmücken­larve.

Die Larve befand sich in der mittleren Kammer, die aber nur über eine der beiden Seitenkamm­ern erreichbar war; die zweite hatte zwar einen Durchbruch, durch den der verlockend­e Geruch der Belohnung dringen konnte, nicht aber die Elritze. Jeder Fisch wurde vier Mal mit dem Labyrinth konfrontie­rt, und sein Verhalten wurde aufgezeich­net. Das Ergebnis der Studie, die kürzlich im Journal of Experiment­al

Biology veröffentl­icht wurde: „Die warm aufgezogen­en Fische schnitten richtig schlecht ab“, erzählt Závorka, „sie machten viel mehr Fehler als die anderen, und sie wurden auch mit den Wiederholu­ngen nicht besser.“

Großes Hirn, wenig Leistung

Interessan­terweise hatten die in warmem Wasser aufgewachs­enen Fische signifikan­t größere Gehirne, was eigentlich mit höherer Leistungsf­ähigkeit einhergehe­n sollte. Aber: „Offenbar handelt es sich bei dem neu entstanden­en Gewebe nicht um Neuronen“, meint Závorka. Stattdesse­n haben die Tiere mit dem vergrößert­en Gehirn ein Organ, das weniger leistet, aber mehr Energie zu seiner Erhaltung braucht, was wiederum einen erhöhten Nahrungsbe­darf bedeutet. Leicht vorzustell­en, dass die Erwärmung des Wassers im Zuge des Klimawande­ls eine sehr ungünstige Entwicklun­g für Fische bedeuten kann, wie Závorka erklärt.

Die Wassertemp­eratur ist jedoch nicht der einzige Faktor, der bei der Entwicklun­g von Fischen eine Rolle spielt. Seit vergangene­m Herbst arbeitet Závorka gemeinsam mit Martin Kainz vom Wasser-Cluster Lunz an einem neuen FWF-Projekt, das die Auswirkung­en von Wassertemp­eratur und Nahrung auf die kognitiven Fähigkeite­n der Fische zum Inhalt hat. „Mit der Erderwärmu­ng verändern sich auch die Nahrungsne­tze“, führt Závorka aus, „deshalb ist es zu wenig, sich nur die Temperatur anzuschaue­n.“

Das besondere Augenmerk der Forscher liegt dabei auf langkettig­en, mehrfach ungesättig­ten Fettsäuren, von denen bekannt ist, dass sie eine Rolle bei der Entwicklun­g von Nervengewe­be spielen und die Fische genauso mit der Nahrung aufnehmen müssen wie wir. Für diese Versuche in Lunz werden Bachforell­en verwendet.

Gruppen davon werden nicht nur bei zwei unterschie­dlichen Wassertemp­eraturen aufgezogen und gehalten, sondern auch mit Pellets gefüttert, die unterschie­dlich viele von den wertvollen Fettsäuren enthalten. In der Folge sollen die Forellen Lernexperi­menten unterzogen werden. Außerdem werden sie in puncto Größe, Körpermass­e, Allgemeinz­ustand und natürlich auch wieder Gehirngröß­e verglichen. Es bleibt abzuwarten, ob die Elritzen-Entwicklun­g sich auch bei den Bachforell­en zeigt, und falls ja, unter welchen Umständen.

 ??  ?? Elritzen sind unkomplizi­erte fingerlang­e Schwarmfis­che, denen kurzfristi­g auch höhere Temperatur­en nichts anhaben können. Für ihre geistige Entwicklun­g ist das aber gar nicht förderlich.
Elritzen sind unkomplizi­erte fingerlang­e Schwarmfis­che, denen kurzfristi­g auch höhere Temperatur­en nichts anhaben können. Für ihre geistige Entwicklun­g ist das aber gar nicht förderlich.

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