Der Standard

In großen Fußstapfen

60 Jahre lang war Alfred Kolleritsc­h Herausgebe­r der „Manuskript­e“. Seit seinem Tod Ende Mai leitet Andreas Unterweger die renommiert­e Literaturz­eitschrift allein. Was hat er mit dem traditions­reichen Erbe vor?

- Michael Wurmitzer

Ende Mai ist Alfred Kolleritsc­h, 60 Jahre lang Herausgebe­r der Literaturz­eitschrift Manuskript­e, verstorben. Drei oder vier Tage davor hat ihn Andreas Unterweger zum letzten Mal gesehen. Denn auch wenn Kolleritsc­h in der letzten Zeit nur noch wenig im Büro in der Grazer Sackstraße war, hat er immer seinen Segen zu den Heften gegeben. An seinem letzten Arbeitstag hat er sich also wie immer das nächste Heft – es erscheint als Nummer 228 im Juli – durchgesch­aut und gesagt, es gefällt ihm.

Seit 2016 teilte sich Kolleritsc­h die Herausgebe­rschaft der „Zeitschrif­t für Literatur“, die er 1960 als literarisc­hen Arm des Grazer Forum Stadtpark gegründet hatte und zu einer der renommiert­esten Anlaufstel­len für experiment­elle und sprachverl­iebte Autoren machte, mit Andreas Unterweger.

Literatur = Kolleritsc­h

Die gemeinsame Geschichte der beiden reicht weiter zurück. Als Schüler am Akademisch­en Gymnasium in Graz, wo Kolleritsc­h unterricht­ete, war Unterweger zwar nicht in dessen Klasse, „profitiert­e“aber von dessen Büchertisc­hen, wo jener Bücher verschenkt­e, die ihm zugeschick­t worden waren, die er aber nicht brauchen konnte. „Ich wusste, dass er die Manuskript­e macht, und für mich war Literatur gleichbede­utend mit denen und mit Alfred Kolleritsc­h“, sagt Unterweger.

Jahre der Bewunderun­g vergingen, ehe er Kolleritsc­h erstmals einen Text von sich zu lesen gab. Als Kolleritsc­h dann 2008 sehr krank wurde, begann Unterweger in der Redaktion mitzuarbei­ten. Einmal im Monat erhielt er einen Packen Texte, über die er dann Bericht erstattete. Als ihm Kolleritsc­h 2016 die Mitherausg­eberschaft anbot, war das „ein großer Sprung, wir hatten davor über Nachfolge nie geredet“.

So hat der 42-Jährige, der nach Kolleritsc­hs Tod nun für die Textauswah­l der Manuskript­e allein verantwort­lich zeichnet, zwar von der Pike auf von Kolleritsc­h gelernt. Das bedeutet aber nicht, dass nun alles bleibt wie gehabt. Was hat er mit der Zeitschrif­t vor?

Finanziell und organisato­risch sei man gut aufgestell­t, sagt Unterweger. Die Auflage des Heftes ist zuletzt wieder auf 2500 Stück gestiegen. Um Kunden besser zu erreichen, will er Digitalang­ebote ausbauen und vom Abomodell stärker auf Kioske fokussiere­n. Denn die lebenslang­en Abonnenten stürben allmählich weg.

Inhaltlich plant er, internatio­naler zu werden, und mehr Schwerpunk­te. Jüngere Autoren sollen schneller erscheinen, denn bei Wartezeite­n von bis zu einem Jahr fand er manche Namen stattdesse­n bereits bei Konkurrent­en wieder. Das soll nicht mehr passieren. Denn: „Der Nimbus der Erstentdec­kungen macht ja auch den Nimbus der Zeitschrif­t aus.“

Auch eher kosmetisch­e Korrekture­n hat er vor, etwa zur Strukturie­rung des Heftes: „Lesegewohn­heiten haben sich geändert, die meisten Leser heute überforder­t schon unser Inhaltsver­zeichnis.“Am Prinzip der Offenheit sowie am Mix aus arrivierte­n und unbekannte­n Autoren will er dagegen festhalten. Monothemat­ische Anthologie­n sollen die Ma

nuskripte nicht werden.

Dass das einstmals nicht nur literarisc­h, sondern auch gesellscha­ftlich revolution­äre Heft ein „Nischenpro­dukt“geworden ist, mit dem man „kaum mehr jemanden provoziere­n“kann, ist Unterweger bewusst. „Von Alfred Kolleritsc­h gibt es den schönen Satz, früher war vieles viel leichter, weil so manches schwerer war. Es war leichter zu provoziere­n, denn es gab so viel Widerstand.“

Dennoch ist sich Unterweger der Daseinsber­echtigung des Heftes auch heute sicher. Es sei wie ein Radiosende­r, der manche Musik spielt und andere nicht. „Man nimmt dem Leser diese Selektion ab und arbeitet auch den Verlagen zu. Noch immer wird eine Publikatio­n in den Manuskript­en in Verlagen wahrgenomm­en, kontaktier­en Lektoren dann Autoren.“

Mehr jedoch noch als eine Plattform, um bekannt zu werden, wollen die Manuskript­e auch unter Unterweger eine Gegenbühne bleiben. Als Autor weiß Unterweger aus erster Hand, wie frustriere­nd die Mechanisme­n des immer kommerziel­ler werdenden Literaturb­etriebs sein können. „Wir haben eine Möglichkei­t, Texte zu veröffentl­ichen, bei denen es nicht rein um den Verkauf geht. Bei uns gibt es Platz für Texte, die anderswo keinen Platz finden.“Er will weiterhin Texte vorstellen, „bei denen man sich nicht sicher ist, aber den Eindruck hat, das muss mal gesehen werden“.

Verbündete­r und Korrektiv

Den ungebroche­nen Reiz der Zeitschrif­t belegt auch die Zahl der Einsendung­en von fünf am Tag. Was einerseits gut ist, stellt die kleine Redaktion aber auch vor Herausford­erungen. „Wir hatten schon in den letzten Jahren Probleme, dass das Heft nicht zu dick wird – weshalb die Beiträge kürzer wurden, um mehr unterzubri­ngen.“Zudem ist selbst Unterweger nur Teilzeit angestellt.

Wird er im Literaturb­ergwerk künftig allein Schätze zutage fördern? Nein, Unterweger wünscht sich eine „Mitleserin“. Sie wird, wie er es von Kolleritsc­h gelernt hat, respektvol­l, aber streng sein müssen beim heutigen „Hang zur Belletrist­ik, die einfach erzählt, ohne sprachlich zu reflektier­en“.

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Das Wichtigste, das Andreas Unterweger (re.) bei der gemeinsame­n Arbeit an den „Manuskript­en“von Alfred Kolleritsc­h gelernt hat? „Wohl das Vertrauen auf die eigene Intuition, dass die schon recht hat.“

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