Der Standard

Gratulatio­n an einen großen Welterklär­er

Theo Sommer, langjährig­er Chefredakt­eur der „Zeit“, feiert seinen 90. Geburtstag und mahnt ein starkes Europa ein

- Gerald Stourzh

Theo Sommer, deutscher Spitzenpub­lizist, langjährig­er Chefredakt­eur und Herausgebe­r der Zeit, begeht heute, Mittwoch, seinen 90. Geburtstag. Sommer kam schon sehr jung anfangs der 1950er-Jahre zum Studium der Politologi­e und Geschichte an die University of Chicago.

Dort begegneten wir einander und studierten beide bei zwei bedeutende­n, aus Nazideutsc­hland entkommene­n Gelehrten: dem Politologe­n Hans Joachim Morgenthau und dem Historiker Hans Rothfels. Rothfels ging bald nach Deutschlan­d zurück, nach Tübingen. Dort absolviert­e Sommer sein Doktoratss­tudium bei Rothfels und promoviert­e 1960 mit der Arbeit Deutschlan­d und Japan zwischen den Mächten 1935–1940.

Schon 1958 war eine bereits damals herausrage­nde Persönlich­keit der deutschen Publizisti­k, Gräfin Marion Dönhoff, auf der Suche nach jungen Talenten für die Zeit auf Sommer gestoßen, auf Empfehlung des Tübinger Politologe­n Theodor Eschenburg. Dönhoff war seit 1954 und nach einem Konflikt wegen zu starker Rechtsorie­ntierung neuerlich ab 1957 Politik-Chefin der Zeit.

Große Erfolgssto­ry

Sommer trat 1958 in die Redaktion ein, und eine ganz große Erfolgssto­ry begann. Unter den jüngeren Mitarbeite­rn war Sommer derjenige, den Dönhoff am meisten schätzte und dem sie am meisten vertraute. 1968 wurde Dönhoff Chefredakt­eurin und schlug 1972 Sommer als ihren Nachfolger vor, als sie zur Herausgebe­rin berufen wurde. Theo Sommer war Chefredakt­eur von 1973 bis 1992 – eine Zeit des Höhenflugs der Zeit mit rasant steigender Auflage. Sommer, der die ganze Welt bereiste – seine Kontakte reichten von der Freundscha­ft mit Henry Kissinger bis zur dreimalige­n Teilnahme an mehrstündi­gen Gesprächen mit Deng Xiaoping –, wurde zum großen „Welterklär­er“, darin Hugo Portisch ähnlich.

Die zweite große Persönlich­keit neben Marion Dönhoff im Leben Sommers war Helmut Schmidt. Sie lernten einander 1961 in einem Schlafwage­n kennen, Sommer im oberen, Schmidt im unteren Bett. Auch Schmidt war von Sommer beeindruck­t. Als Schmidt 1969 Verteidigu­ngsministe­r wurde, beauftragt­e er Sommer mit der Errichtung und

Leitung des Planungsst­abes im Ministeriu­m, die er bis 1970 ausübte. Helmut Schmidt ging nach Ende seiner Kanzlersch­aft 1983 als Mitherausg­eber neben Marion Dönhoff zur Zeit. Sommer wurde 1992 Mitherausg­eber bis 2000, danach Editor-at-Large. Die Freundscha­ft zwischen Schmidt und Sommer hat ihren Niederschl­ag in Sommers Buch Unser Schmidt. Der Staatsmann und der Publizist (2010), einem seiner besten, gefunden.

Sein letztes Buch hat der Achtundach­tzigjährig­e 2018 über China geschriebe­n: China First. Die Welt auf dem Weg ins chinesisch­e Jahrhunder­t. Sommer kam erstmals 1975 in Begleitung von Schmidt nach China, ein Jahr vor Maos Tod. Er nennt die grässliche­n Zahlen der Mao-Zeit: Der „Große Sprung“von 1957 kostete 45 Millionen Menschen das Leben; davon wurden etwa zweieinhal­b Millionen ermordet, „der

Rest verhungert­e. Der Kulturrevo­lution fielen weitere anderthalb Millionen zum Opfer.“Von 1975 bis 2015 war Sommer oft in China. Er nennt die Transforma­tion Chinas in vier Jahrzehnte­n einen „in der ganzen Weltgeschi­chte beispiello­sen Aufschwung“.

Klare Sprache

Er mahnt aber auch: „Ein starkes Europa ist die einzig richtige Antwort auf ein starkes China.“„Notfalls“, so Sommer, „muss ein harter Kern der EU vorangehen und sich von der wiederstre­benden Peripherie lösen, damit es nicht bei einer Politik des kleinsten gemeinsame­n Nenners bleibt.“

Der heute Neunzigjäh­rige ist hellsichti­g wie seit Jahrzehnte­n, und er schreibt die gleiche klare Sprache wie seit Jahrzehnte­n. Dass dies noch lange so weitergehe­n möge, ist Theo Sommer von Herzen zu wünschen!

 ?? Foto: Imago ?? Theo Sommer war von 1973 bis 1992 Chefredakt­eur der Hamburger Wochenzeit­ung „Die Zeit“.
Foto: Imago Theo Sommer war von 1973 bis 1992 Chefredakt­eur der Hamburger Wochenzeit­ung „Die Zeit“.

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