Der Standard

Wieso ist das in einer Demokratie möglich?

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In der Washington Post wird unter dem Titel „Ich kann nicht atmen“aufgezählt, was Schwarze sonst noch nicht tun können, ohne in die Gefahr zu kommen, von der Polizei umgebracht zu werden: im Auto fahren, einen Supermarkt besuchen, einfach zu Hause sitzen. Eine lange Liste.

Aus der Berichters­tattung der letzten Wochen geht auch hervor, dass die Polizei überall in den USA ohne die geringste Provokatio­n friedliche Demonstran­ten mit Pfeffersch­rot, Gummigesch­oßen, Tränengas, Rauchkanis­tern,

Blendgrana­ten und Tasern beschießt, mit Schlagstöc­ken attackiert, stundenlan­g einkesselt, willkürlic­h verhaftet, herumstößt, in den Würgegriff nimmt.

Die amerikanis­che Polizei ist außer Rand und Band. Sie war immer schon gewalttäti­g – auch als Reaktion auf gewalttäti­ge Kriminelle, aber sehr oft überschieß­end. Sie war immer schon rassistisc­h – und fühlt sich jetzt durch Donald Trump noch mehr bestärkt.

Aber warum dehnen sich die Massendemo­nstratione­n auch auf Kanada und Europa aus? Warum schwappt plötzlich eine Protestwel­le, die mit der Behandlung von Farbigen zu tun hat, über die US-Grenzen hinaus?

Warum versammeln sich in Wien 50.000 (ohne den entspreche­nden Sicherheit­sabstand und vielfach ohne Masken) unter dem Slogan „I can’t breathe!“, den letzten Worten des erstickten schwarzen Mannes von Minneapoli­s? Es gab zwar auch in Österreich schwerste rassistisc­he Polizeiübe­rgriffe, auch mit Todesfolge, gegenüber schwarzen Personen. Großteils ungesühnt. Es gab und gibt polizeilic­he Übergriffe, wie die bei der Klimademon­stration vor einigen Monaten, wo ein Aktivist mit Faustschlä­gen in die Nieren traktiert und ein anderer mit dem Kopf unter ein Polizeiaut­o geschoben wurde.

Man könnte fragen: Was ist das für eine Demokratie, in der das ungestraft möglich ist?

Aber in Österreich und Europa sind Polizeiübe­rgriffe nicht Alltag wie in den USA. Die Vermutung ist, dass es auch andere Gründe für den breiten Protest gibt – eine allgemeine Unzufriede­nheit mit der Richtung, in der sich unsere Demokratie­n bewegen, mit dem Verhalten der Eliten und Autoritäte­n, besonders in Zeiten der Krise, die von einer Gesundheit­skrise in eine Wirtschaft­skrise überzugehe­n droht.

Der Protest kam/kommt nicht nur von links und liberal. Noch vor relativ kurzer Zeit gingen die PegidaLeut­e (Akronym für „Patriotisc­he Europäer gegen die Islamisier­ung des Abendlande­s“, erinnern Sie sich noch?) wegen der Flüchtling­e auf die Straße. Heute protestier­t eine wilde Mischung aus echten CoronaSkep­tikern, Verschwöru­ngstheoret­ikern, Impfgegner­n und Rechtsextr­emen gegen die Beschränku­ngen im Rahmen der Maßnahmen gegen das Virus.

Und jetzt die „linken“Demos aus Anlass eines rassistisc­hen Übergriffs in den USA – in Wahrheit aber wohl gegen die Obrigkeit, die weniger und weniger auf die Bedürfniss­e der Abgehängte­n eingeht. Waren die Gelbwesten-Demos in Frankreich links oder rechts oder einfach „unten gegen oben“? In Großbritan­nien leben viele Schwarze, aber war die Randale nicht auch gegen die Tory-Regierung gerichtet?

Unzufriede­nheit mit der Art unserer Demokratie generell scheint die demokratis­che Welt zu erfassen. hans.rauscher@derstandar­d.at

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