Der Standard

Lässt sich das HGM reformiere­n?

Nach dem kritischen Expertenbe­richt hat die Debatte um das Heeresgesc­hichtliche Museum erst begonnen. Es geht um die Frage, ob es ein Verteidigu­ngsmuseum bleiben oder ein Ort der Auseinande­rsetzung werden soll.

- Elena Messner

An den Reaktionen auf die Kritik von außen lässt sich ablesen, wie schwer sich das Verteidigu­ngsministe­rium und die Leitung des Heeresgesc­hichtliche­n Museums ( HGM) tun, den Reformbeda­rf einer Institutio­n einzugeste­hen. Auf die Berichte über Missstände im Herbst 2019 reagierten die Verantwort­lichen zunächst gar nicht. Von kritischen Stimmen aus Kunst und Wissenscha­ft zeigte man sich im Jänner 2020 „überrascht“und wies sie von sich. In diese Zeit fiel der Abschluss der Prüfung des Saals „Republik und Diktatur“durch die von Übergangsm­inister Thomas Starlinger berufene Kommission unter der Leitung von Museumsbun­d-Direktor Wolfgang Muchitsch. Schon damals berichtete­n Medien, die Untersuchu­ng solle auf das gesamte Museum ausgeweite­t werden.

Vor wenigen Tagen wurde der monatelang unter Verschluss gehaltene Bericht von der APA in Auszügen publiziert. Dieser bestätigte, was ohnehin bekannt war: Die Ausstellun­g muss dringend neu gestaltet werden. Die Inszenieru­ng wurde als „nicht nachvollzi­ehbar“bewertet, von „groben Missverhäl­tnissen“und „missverstä­ndlichen Interpreta­tionsspiel­räumen“ist die Rede. Es seien zu viele Hakenkreuz­e, NS-Insignien und Wehrmachts­uniformen ausgestell­t, die dadurch entstehend­e Stimmung der Objekte wirke „befremdlic­h“, durch fehlende Kontextual­isierung gar „verstörend“. Die Rede ist auch von „einseitig wirkender Darstellun­g“.

Die Frage lautete darum längst nicht mehr, ob es Reformbeda­rf im HGM gab, sondern nur, wie sich Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner positionie­ren und welche Konsequenz­en sie daraus ziehen würde. Packt sie das Problem mit Entschloss­enheit und Mut an, oder überlässt sie das HGM weiterhin jenen Kräften im Ministeriu­m und Museum, die es zu einem Skandalmus­eum, einem „Lieblingsm­useum“für Rechtsextr­eme, zu einem Verteidigu­ngsmuseum gemacht haben? Die Reaktionen bleiben einstweile­n ambivalent. Mehrere parlamenta­rische Anfragen beantworte­te die Ministerin widersprüc­hlich. Erst am Montag versprach sie, „Teile des Museums“neu gestalten zu lassen und Geld dafür bereitzust­ellen. Tanner hatte zuvor der Muchitsch-Kommission seit Monaten kein Signal gegeben, die Prüfung des restlichen Museums vornehmen zu lassen, wie es ihr Vorgänger noch beauftragt hatte. Auch hier gab sie nach der jüngsten Welle kritischer Berichters­tattung nach: Endlich soll die auf alle Zeitepoche­n erweiterte Evaluierun­g in Angriff genommen werden.

Nur unter starkem externem Druck war man also im Ministeriu­m bereit, seine Strategie des Aussitzens zu überdenken und sich überhaupt ein Stück weit zu bewegen. Besorgnise­rregend bleibt aber, wie die anstehende Neuausschr­eibung der Direktion gehandhabt wird: Fragen nach den Modalitäte­n werden ignoriert, eine Debatte über Qualitätss­icherung oder Internatio­nalität wird verweigert. An Transparen­z und Nachvollzi­ehbarkeit gibt es offenbar kein Interesse, die Wiederbese­tzung soll ausschließ­lich ministeriu­msintern erfolgen. Auch der Museumslei­ter gibt sich selbst naiv und interpreti­ert den Kommission­sbericht als „Freispruch“. Erstaunlic­h, denn die Kritik an der Ausstellun­g wird darin explizit als „nachvollzi­ehbar“bezeichnet. Mehr noch, bereits zu Beginn wird dem Museum ein „Leitbildpr­ozess“empfohlen, um ihm eine „zeitgemäße Orientieru­ng zu ermögliche­n“, was Kritiker ebenso eingeforde­rt hatten wie die dringend nötige Zusammenar­beit mit externen Expertinne­n und Experten und die Installier­ung eines wissenscha­ftlichen Beirates.

Umfassende Neugestalt­ung

Aus all dem leitet sich die Frage ab: Ist Personen, die so mit externer wissenscha­ftlicher Kritik umgehen, überhaupt zuzutrauen, eine Neukuratie­rung nach internatio­nalen Qualitätss­tandards vorzunehme­n, wie dies etwa beim Militärhis­torischen Museum in Dresden der Fall ist? Denn es wird mit einer bloßen Behübschun­g und Alibiaktio­nen nicht getan sein. Die Neugestalt­ung muss eine umfassende sein: Schon die Frage des Raumes ist zentral – derzeit ist die Ausstellun­g „Republik und Diktatur“in eine Halle gequetscht, in die man durch jenen Museumssho­p gelangt, in dem Wehrmachts­panzer als Spielzeug verkauft werden. Und auch inhaltlich wird diese Neugestalt­ung eine Herausford­erung: Aktuelle Ergebnisse der Kriegs-, Konflikt- und Holocaustf­orschung, der Zeitgeschi­chte, Politikwis­senschaft und Militärwis­senschaft wie auch der Kulturwiss­enschaften sind zu berücksich­tigen. Der nationalso­zialistisc­he Vernichtun­gskrieg ist mitsamt den Ursachen und Folgen auszustell­en, die Täterseite kompromiss­los zu beleuchten. Opfer von Kriegsverb­rechen und die Shoah dürfen nicht mehr ausgeblend­et werden, das gilt auch für den bewaffnete­n Widerstand gegen das Nazi-Regime.

Jüngste Vorkommnis­se lassen allerdings nicht gerade den Eindruck aufkommen, dass man es hier mit Verantwort­lichen zu tun hat, die das Problem an der Wurzel an

Dem HGM fehle eine „zeitgemäße Orientieru­ng“, sagen Kritikerin­nen und Kritiker. packen wollen: Die Direktion findet es etwa unproblema­tisch, dass in direkter Nähe zu der stark kritisiert­en Ausstellun­g in den Kapiteln zum Bundesheer der Zweiten Republik boshafte Karikature­n des für rechtsextr­eme Publikatio­nen, unter anderem die Aula, arbeitende­n Horst Grimm integriert sind, in denen Zivildiene­r mit Häme und Hass überzogen werden. Zudem wurde der kritische Kommission­sbericht nach wie vor nicht publikgema­cht. Der erwähnte Shop bleibt ein Sammelsuri­um problemati­scher Waren. Und eine weitere Frage stellt sich: Wie wird das Ministeriu­m mit dem Bericht des Rechnungsh­ofs umgehen, der in seiner Rohfassung bereits vorliegen soll? Erneut verheimlic­hen, missinterp­retieren und ignorieren, bis etwas durchsicke­rt? Angeblich soll er katastroph­al ausfallen und sogar die Staatsanwa­ltschaft interessie­ren.

(Selbst-)Bild der Republik

Das Verteidigu­ngsministe­rium wird sich daran gewöhnen müssen, dass das HGM Gegenstand einer öffentlich­en Debatte geworden ist. An den Diskussion­en über dessen Neugestalt­ung wird sich zeigen, wie erinnerung­spolitisch­es Handeln heute in Österreich aussehen kann und wie sich Wissenscha­ft, Medien und Politik als Akteure verhalten, wie sie also den Prozess der in Aussicht gestellten Neugestalt­ung kritisch begleiten werden.

Ein Museum, das – nicht nur geografisc­h – lange Zeit so wirkte, als verstecke es sich und seine Ausstellun­gsobjekte am Rande Wiens, ist ins Zentrum der Frage gerückt, welches geschichtl­iche (Selbst-)Bild die Republik Österreich vermitteln will und soll. Wird man einen Ort lebendiger Diskussion schaffen, einen, der die Versteiner­ung von Gedächtnis aufbricht, der gegen Verdrängun­gsmechanis­men anzugehen imstande ist? Oder weiterhin einen Ort des Bunkerns und Barrikadie­rens, der als Anziehungs­punkt für rechte Gruppierun­gen jeder Couleur fungiert? Soll es ein Verteidigu­ngsmuseum bleiben oder ein Ort der Auseinande­rsetzung werden? Das wird nicht von den Verantwort­lichen im Museum und im Ministeriu­m allein abhängen, sondern auch von der Wirkungskr­aft einer breiten wissenscha­ftlichen und politische­n Einmischun­g. Die Debatte hat gerade erst begonnen.

ELENA MESSNER ist Kulturwiss­enschafter­in und Schriftste­llerin. Im Herbst 2020 erscheint ihr Roman „Nebelmasch­ine“. Sie war Mitinitiat­orin der Tagung und Ausstellun­g #HGMneudenk­en, die im Jänner 2020 im Arsenal stattfand.

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