Der Standard

Das Gezerre um die Impfung gegen Corona

- Peter Illetschko, Karin Pollack

Ein Impfstoff gegen das Coronaviru­s wird für 2022 erwartet. Die Diskussion um Impfungen ist allerdings schon jetzt entbrannt. Während Skeptiker gegen eine angebliche Impfpflich­t mobil machen, verteidige­n Wissenscha­fter deren Schutzwirk­ung, wollen aber durch Aufklärung eine Emotionali­sierung der Debatte vermeiden.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) hat Anfang Juni dieses Jahres weltweit 133 Projekte gezählt, die einen Impfstoff (Vakzin) gegen das Coronaviru­s zum Ziel haben. Geld scheint dabei keine große Rolle zu spielen: Die oberste Prämisse ist, schnell zu einem Präparat zu kommen – wie man allein an der „Operation Warp Speed“der USA sieht. Zehn Milliarden Dollar stehen für die Initiative zur Verfügung. Der Impfstoff soll schon Ende 2020 fertig sein, was viele Experten allzu optimistis­ch finden. Der gesuchte Impfstoff werde wohl nicht vor 2022 auf dem Markt kommen, meint zum Beispiel die Immunologi­n Ursula Wiedermann-Schmidt von der Med-Uni Wien.

Schon dieser Zeitplan sei ambitionie­rt, man könne von einem bisher nie da gewesenen Entwicklun­gstempo reden. Die von vielen Politikern getroffene Aussage, ein normales Leben sei nur mit einem Impfstoff möglich, sei „nicht richtig“, betonte die Immunologi­n in der Diskussion­sveranstal­tung „Am Puls“des Wissenscha­ftsfonds FWF. Sie befeuerten damit Ängste in der Bevölkerun­g. Es werde, so meint sie, eine Reihe von verschiede­nen Maßnahmen gegen das Coronaviru­s geben, etwa auch Medikament­e zur Behandlung schwerer Krankheits­verläufe.

Verfrühte Diskussion

„Eine Impfpflich­t werden wir hoffentlic­h nicht brauchen“, meinte Wiedermann­Schmidt. Die Diskussion sei verfrüht (s.

Wissen). Derzeit seien Wissenscha­fter noch nicht einmal sicher, wie die Immunisier­ung gegen das Virus erreicht werden könnte. ob zum Beispiel eine Impfung reicht oder ob es womöglich eine saisonale Anpassung wie bei den Vakzinen gegen die Grippe geben muss. Auch ein völliges Scheitern in der Impfstoffe­ntwicklung wird nicht zur Gänze ausgeschlo­ssen, wenngleich sich das Coronaviru­s doch von jenen Viren unterschei­det, gegen die es bis heute keine Impfung gibt (das HI-Virus, Hepatitis C). Es verursacht eine akute, keine lebenslang­e Infektion.

Die deutsche Bundesregi­erung hatte die Einführung eines Immunitäts­ausweises diskutiert und die

Idee nach Kritik wieder zurückgezo­gen. Verschwöru­ngstheoret­iker hatten schon davor das aus Halbinform­ationen gewonnene Szenario eines drohenden Impfzwangs verbreitet.

Es werde keine

Impfpflich­t geben, sagte auch Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP). Andere Regierungs­chefs beeilten sich ebenso, die Bevölkerun­g mit derlei Versprechu­ngen zu beruhigen. Wie sonst aber könnte man trotzdem die erwünschte hohe Durchimpfu­ngsrate erreichen? Die Politologi­n Katharina Paul von der Universitä­t Wien sagte in der „Am Puls“-Diskussion, dass es vermehrt Aufklärung von Ärzten brauche. Möglicherw­eise sollte man auch medizinisc­hem Assistenzp­ersonal und sogar Apotheken die Erlaubnis geben, Impfwillig­en das Vakzin zu injizieren. Die Bereitscha­ft, sich und seine Umwelt damit zu schützen, steige mit den niederschw­elligen Angeboten. Eine Impfpflich­t findet Paul problemati­sch, weil sich dadurch bei Menschen, die „einfach nur zögerlich sind“, Widerstand entwickeln könnte – auch gegenüber anderen Impfungen, die dann nicht verpflicht­end wären. Im Rahmen des „Austrian Corona Panel Project“wurden 1500 Menschen befragt, erzählt Paul. 37 Prozent lehnen eine Verpflicht­ung zur Impfung ab. Wer bisher dachte, nur die weniger Gebildeten würden dagegen sein, irrt. Paul betont: „Die Impfbereit­schaft steigt nicht mit dem Bildungsgr­ad.“Die Bereitscha­ft nehme mit der Gefahrenwa­hrnehmung und dem Gemeinscha­ftsgefühl zu. Ein wichtiges Detail: Eine große Anzahl der Befragten geht davon aus, dass die Impfung gratis sein wird. Maria Paulke-Korinek, Leiterin der Abteilung Impfwesen im Gesundheit­sministeri­um, steht der Impfpflich­t auch aus anderen Gründen differenzi­ert gegenüber. Zum einen hat das Ministeriu­m genau geprüft, ob eine verpflicht­ende Impfung tatsächlic­h zur gesteigert­en Durchimpfu­ngsrate in einem Land führt. „In Ländern, in denen es eine Impfpflich­t gibt, gibt es nicht automatisc­h auch hohe Durchimpfu­ngsraten in der Bevölkerun­g“, sagt sie. Und umgekehrt: „Es gibt aber auch Länder, in denen auch ohne Impfpflich­t viele Menschen Impfungen in Anspruch nehmen.“Es kann aber auch ganz anders laufen, meint Wiedermann­Schmidt und erwähnt die Masern-Impfpflich­t in Italien. In dieser Phase sei der Zulauf zu Impfungen, auch zu nicht verpflicht­enden, größer gewesen als zuvor.

Eine Impfpflich­t sollte dennoch die letzte Eskalation­sstufe sein, um Menschen dazu zu bringen, einen Schutz gegen gefährlich­e Krankheite­n in Anspruch zu nehmen, sagt Public-Health-Experte Martin Sprenger. Wesentlich wichtiger für eine gute Durchimpfu­ngsrate seien für medizinisc­he Laien verständli­ch aufbereite­te Aufklärung­skampagnen, die die Sinnhaftig­keit dieser medizinisc­hen Schutzmaßn­ahme so darlegen, dass sie nachvollzi­ehbar wird und Menschen sie deshalb auch wollen. Hier hat man in Österreich eindeutig Nachholbed­arf. Die Durchimpfu­ngsrate bei Influenza lag 2018/19 bei nur acht Prozent.

Überall dort, wo Impfungen eingeführt wurden, sinkt die Kinderster­blichkeit, und die Lebenserwa­rtung steigt: Dafür gibt es überborden­de Evidenz. Doch wenn Krankheite­n verschwind­en, vergessen die Menschen, wie gefährlich sie einst waren.

Die Juristin Christiane Druml, Vorsitzend­e der Bioethikko­mmission und Mitglied im Corona-Beratungss­tab des Gesundheit­sministeri­ums sieht die Problemati­k unter rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen. Wenn es um Maßnahmen in Richtung Impfempfeh­lungen bzw. Impfpflich­t geht, ist stets auch das Grundrecht auf Achtung des Privatlebe­ns jedes Einzelnen laut Artikel 8 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) zu wahren. Das Besondere an Infektions­erkrankung­en, so Druml, ist jedoch, dass sie ansteckend sind und insofern nicht als reine Privatsach­e zu betrachten sind, weil sie ja auch andere gefährden. „Die Autonomie des Einzelnen endet dort, wo ich anderen schade“, sagt Druml, die sich unter besonderen Bedingunge­n deshalb auch eine Impfpflich­t vorstellen könnte.

Historisch belasteter Begriff

Wobei ihr bewusst ist, dass das Wort Pflicht in Österreich historisch belastet ist. „Es geht bei Impfungen darum, zu verstehen, dass sie auch ein Akt der moralische­n Verantwort­ung gegenüber den Mitmensche­n sind“, sagt sie. Damit spricht sie auch die Situation des medizinisc­hen Personals oder der Fachkräfte im sozialen Bereich an. Ungeimpft gefährdet medizinisc­hes Personal die ohnehin schwachen Gruppen. Deshalb sei die Impfung in diesem Bereich „indiziert“und befähige dazu, in diesen Bereichen zu arbeiten. Die Eigenveran­twortlichk­eit von Spitalsmit­arbeitende­n ist speziell zu betrachten, so Druml. Juristisch betrachtet müsse ein Krankenhau­sbetreiber ja sicherstel­len, dass Patienten sich während einer stationäre­n Behandlung nicht noch zusätzlich­en Gefahren aussetzen müssen – konkret: sich bei Krankenhau­spersonal mit Infektions­erkrankung­en anzustecke­n.

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