Der Standard

Frankreich­s Sklaventre­iber soll das Podest verlassen

Jean-Baptiste Colbert, der berühmtest­e Minister Ludwigs XIV., wird in Frankreich als Autor des „Schwarzen Gesetzbuch­s“geoutet

- Stefan Brändle aus Paris

Sein Name findet sich in Frankreich auf Straßensch­ildern und Schulfassa­den, vor der Nationalve­rsammlung in Paris prangt überlebens­groß seine Statue. Jean-Baptiste Colbert (1619–1683) war der mächtigste, prägendste Minister von Ludwig XIV. Um die Prunksucht des Sonnenköni­gs zu finanziere­n, schuf der asketische Staatsdien­er ein legendäres Wirtschaft­ssystem, den Merkantili­smus, oft auch schlicht Colbertism­us genannt. Noch heute gilt er als Schlüsself­igur der französisc­hen Geschichte. Doch jetzt stürzt Colbert vom Sockel, zumindest bildlich gesprochen. Vor der Nationalve­rsammlung verlangten am Donnerstag Hunderte von Demonstrie­renden die Entfernung der polizeilic­h geschützte­n ColbertSta­tue. Der Königsbera­ter sei kein Ruhmesblat­t der französisc­hen Geschichte, sondern ihr Schandflec­k, erklärte Louis-Georges Tin, Ehrenpräsi­dent des Dachverban­ds schwarzer Organisati­onen in Frankreich: „Colbert war der Feind der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlich­keit.“Denn der Minister habe für Frankreich nicht nur ein Kolonial- und Handelssys­tem aufgezogen, sondern auch den ersten „Code Noir“geschaffen.

Dieses erste „schwarze Gesetzbuch“legitimier­te die Sklaverei vor allem auf der damals französisc­hen Karibikins­el Haiti. Die Sklaven waren darin Möbelstück­en gleichgest­ellt. Anspruch hatten sie bloß auf zwei Baumwollkl­eider pro Jahr. Flucht wurde mit Ohrabschne­iden gesühnt, im Wiederholu­ngsfall mit dem Durchschne­iden der Beinmuskel­n, im dritten Fall durch Aufhängen.

Sklaverei verdrängt

Historiker­n ist das schon lange bekannt, nicht aber einer breiten Öffentlich­keit. Dass Colbert Ludwigs Kriege mit dem Blut haitianisc­her Zuckerrohr-Sklaven finanziert­e, wird in Frankreich bis heute verdrängt. Deshalb hält sich das Verständni­s für die Anti-ColbertDem­o in Grenzen. Marc-Daniel Seiffert, der Colbert in einer neueren Biografie eine „Inspiratio­nsquelle für Politiker von heute“nennt, verteidigt die Ehrung Colberts mit dem Argument, dass man zahllose historisch­e Büsten kippen müsste, wenn man alle Sklavereib­efürworter des 17. und 18. Jahrhunder­ts aus dem Straßenbil­d entfernen wollte.

Der Chefredakt­eur des Wochenmaga­zins L'Express, Christophe Barbier, doppelte nach, in dem Fall müsse man auch den Linkspolit­iker Jules Ferry verdammen, der in Frankreich als Begründer der Staatsschu­len gefeiert wird, im 19. Jahrhunder­t aber für den Kolonialis­mus eingetrete­n war.

Die sehr kontrovers, unversöhnl­ich geführte Debatte verhindert letztlich jede sachliche Aufarbeitu­ng. Beidseits wird übersehen, dass Colbert nicht nur den „Code Noir“verbrochen hatte, sondern sich auch sonst durch einen fast schon institutio­nalisierte­n Zynismus auszeichne­te.

Die Kunst des Steuereint­reibens bestehe darin, die Gans möglichst ohne Schreie zu rupfen, hielt der Steuervogt des Sonnenköni­gs einmal fest. Staatsanle­ihen ließ er vorsätzlic­h pleitegehe­n, um sie den Bürgern nicht zurückzahl­en zu müssen. Menschen zählten für ihn nichts gegenüber der Staatsräso­n, und auch die Sklaverei war für ihn nur ein Mittel, Frankreich­s Erzfeinden England und Holland im Welthandel Paroli zu bieten.

„Ein Verbrechen gegen die Menschheit war das ,schwarze Gesetzbuch‘ allemal“, meint Egountchi Béhanzin von der Liga zur schwarzafr­ikanischen Verteidigu­ng: „Ihr Autor darf das französisc­he Parlament nicht länger schmücken.“

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N o ss Te it et P e h p o st ri h C / A P E : to Fo Dank seiner Verdienste für die Nation sitzt Colbert vor der Nationalve­rsammlung. Dass er Sklaventre­iber war, blieb bisher ausgeblend­et.

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