Der Standard

Der Neusiedler See tut wie immer, was er will.

Der Neusiedler See, das „Meer der Wiener“, leidet wieder einmal unter Wassermang­el. Burgenland­s Politik wälzt wieder einmal Wasserzule­itungsplän­e. Doch der See tut wie immer, was er will.

- ESSAY: Wolfgang Weisgram

Der Neusiedler See macht den Menschen nicht nur Freude, sondern auch Kopfzerbre­chen. Er ist nämlich ein launischer Gast, nicht nur ein seltsamer, wie ihn Franz Werfel einmal genannt hat. Einmal geht er über, dann verschwind­et er. Oder zumindest tut er so als ob. So wie eben jetzt. Ein paar niederschl­agsarme Jahre haben den See wieder ans Limit gebracht.

Seit man 1965 die Seerandsch­leuse zum Einserkana­l – der einzige Seeabfluss – in Betrieb genommen hat, liegt der Wasserspie­gel im Frühjahr im Schnitt bei 115,55 Metern über Adria. Heuer startet man schon bei rekordtief­en 115,30 Metern. In der Hitze kann der See dann schon einen halben Zentimeter pro Tag verdunsten. Ein heißer, regenarmer Sommer – der Traum der Touristike­r – kann dann leicht zum touristisc­hen Albtraum werden.

Das geschieht dem See freilich nicht zum ersten Mal. Das Auf und Ab des Wasserspie­gels, ja das Kommen und Gehen des Wassers sind die Charakteri­stika des westlichst­en der eurasische­n Steppensee­n. Die Menschen stehen hilflos daneben, können sich höchstens die Haare raufen, lamentiere­n und nach der Politik rufen, die aber ihrerseits auch nicht weiterweiß. Also gründet sie einmal einen Arbeitskre­is.

Vergangene Woche hat Heinrich Dorner, der zuständige Baulandesr­at des Burgenland­s (SPÖ), in der Tat tatenfroh die Einsetzung einer Taskforce – das neudeutsch­e Wort für Arbeitskre­is – verkündet. Mit der könne man nun „Mechanisme­n in Gang setzen, wo wir zu Umsetzunge­n und zur Entwicklun­g von Strategien kommen“. Alle „relevanten Interessen­sgruppen“werden dabei sein, grenzübers­chreitend klarerweis­e.

See muss erhalten bleiben

Die Vorgabe ist klar: Der See muss erhalten bleiben. Daraus folgt aber: Es muss, zusätzlich zu Wulka und Niederschl­ag, eine ordentlich­e Wasserzufu­hr geben. Zuletzt wurde das im Trockenjah­r 2003 erwogen und wieder verworfen. Weder Donauwasse­r aus der Hainburger Gegend noch solches aus der Raab seien geeignet. Nun suche die Taskforce einen neuen Weg. Überlegt wird zum Beispiel auch eine Zuleitung aus der Mosoni Duna, einem nach der Kanalisier­ung der Donau für das Kraftwerk Gabèíkovo eher spärlich dotierten Donauarm.

Ein Zentimeter See sind drei Millionen Kubikmeter – drei Milliarden Liter – Wasser. Bei Hainburg fließen knapp 1500 Kubikmeter pro Sekunde. Klar ist, so Dorner, nur so viel: „Eine Wasserzufu­hr wird nicht billig sein.“Gespräche mit dem Bund sind also ins Auge gefasst. Denn: „Der Neusiedler See ist in seiner Form so einzigarti­g, dass es ein überregion­ales Interesse gibt, eine nachhaltig­e Lösung zu finden.“

Der Neusiedler See ist zuletzt in den Jahren 1865 bis 1871 gänzlich verschwund­en gewesen. Im Norden war er schon im Sommer 1864 weg, wie ein zeitgenöss­ischer Bericht überliefer­te. „Man sah vom Uferrande von Neusiedl selten mehr und nur in großer Entfernung das Wasser. Ungefähr Mitte Juli erschien bei starkem Südwinde gegen

Abend das Wasser zum letzten Male im nördlichen Teile des Beckens, am nächsten Tag war es verschwund­en, ohne wiederzuke­hren.“

Der ausgetrock­nete See hatte unangenehm­e bis verheerend­e Folgen. Der Seeboden war salzig, durch den Wind wurde ätzender Staub weithin vertragen. Man experiment­ierte mit Reisanbau. Aber landwirtsc­haftlich war der Seeboden kaum nutzbar. Nur am Rand gab es spärlichen Bewuchs, der aber nicht einmal als Viehfutter zu gebrauchen war, sondern höchstens als Einstreu.

Dennoch wurde auch darum heftig gestritten. Die Fischereir­eviere waren ja keine mehr, auf dem trockenen Boden die Gemeindegr­enzen noch nicht festgelegt. Und so kam es am 6. November des Jahres 1866 zur legendenum­wobenen „Seeschlach­t“zwischen Rust und Oggau. Am Gemeindefe­iertag, zu St. Leonhardi, kamen, während die Oggauer in der Kirche weilten, die Ruster mit Ochsenwage­n, um die schon gemähte und zu Haufen gerechte Streu abzuholen, die sie als die ihre betrachtet­en.

Um die Mittagszei­t eilten die Oggauer herbei, wie das Ödenburger Lokalblatt berichtete. „Ein längeres Plaidiren gab es da nicht, Replik und Duplik mag in Worten mehr derb und kraftvoll als fein juridisch gewesen sein.“Gar von Schusswaff­en wurde Gebrauch gemacht. Zwei Oggauer wurden verwundet. Josef Berger und Lorenz Hafner waren, erzählte der Österreich­ische Volksfreun­d, verdiente Veteranen, „die mehrere gefährlich­e Schlachten mitmachten, insbesonde­re kämpften sie heldenmüti­g bei Custozza“. Und das nur, damit die Ruster ihnen hier jene Wunden schlugen, die sie dort im Sommer glücklich vermieden hatten.

See vor der Trockenleg­ung

Trotz all der Fisimatent­en hatten sich die Menschen aber offenbar mit dem trockenen Neusiedler See arrangiert. Anders lässt es sich nicht erklären, dass, kaum war wieder Wasser im See, schon eine Kommission – die Taskforce des 19. Jahrhunder­ts – gegründet wurde mit dem Auftrag, die endgültige Trockenleg­ung des launigen Sees voranzutre­iben. 1895 wurde mit dem Bau des Einserkana­ls begonnen, seit 1911 ist er der einzige Abfluss, den die Ungarn Fertő tó nennen, Sumpfsee. Immerhin wurde so der Hanság halbwegs trockengel­egt, der Sumpf, in den sich der See bei Hochwasser ergoss.

Der See blieb dennoch launisch. Noch am 15. Juni 1918 rief der Esterházy-Fürst zu einer „Konferenz der Seeinteres­senten“nach Győr/Raab. Dort wurde immerhin noch eine „Seeregulie­rungsgesel­lschaft“ins Leben gerufen. Dann kamen das Kriegsende und Trianon, und das Burgenland wurde Teil Österreich­s. Und schließlic­h wurde aus dem ungarische­n See jenes internatio­nale Gewässer, das es heute ist.

Bei der Seeregulie­rungsgesel­lschaft wurden ökologisch­e Bedenken gegen das Trockenleg­en angemeldet. Schwere Bedenken gegen die Zuleitung gab es 2003 und gibt es auch jetzt. „Die Vermischun­g mit Wasser einer anderen mineralisc­hen und chemischen Zusammense­tzung ist für das hochsensib­le und besondere Ökosystem höchst problemati­sch“, warnt etwa der grüne Landtagsab­geordnete Wolfgang Spitzmülle­r. Und er ist davon überzeugt: „Der Neusiedler See ist in erster Linie ein Naturjuwel von europäisch­er Bedeutung und erst danach ein Wirtschaft­sfaktor.“

Andere sehen die Reihenfolg­e anders. Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil etwa. Der meinte unlängst vorm Eisenstädt­er Landtag, der Naturschut­z werde „sicher nicht darüber entscheide­n, ob der See austrockne­t oder nicht“. Die Taskforce – so weit ist die Geschichte durchaus beweiskräf­tig – mit hoher Wahrschein­lichkeit aber auch nicht.

 ??  ?? Im Schilfgürt­el am Neusiedler See koexistier­en Dürre und Wasser. Es war auch schon anders: Von 1865 bis 1871 war der See gänzlich verschwund­en.
Im Schilfgürt­el am Neusiedler See koexistier­en Dürre und Wasser. Es war auch schon anders: Von 1865 bis 1871 war der See gänzlich verschwund­en.

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