Der Standard

Der Muslimisch­en Jugend Österreich reicht es auch

Reformaufr­uf nach Rücktritt von IGGÖ-Frauenspre­cherin

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Wien – Der Rücktritt der einzigen Frau im Obersten Rat der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGÖ) sorgt für Unruhe in muslimisch­en Kreisen. Nachdem Fatma Akay-Türker im STANDARD- Interview ihren kompletten Rückzug, auch als Islamlehre­rin („Es reicht!“), unter anderem damit begründet hat, dass „in der IGGÖ die Abwertung der Frau institutio­nalisiert wurde“und nur Stillstand sowie eine die Frauen in ihrer Entwicklun­g behindernd­e „männerdomi­nierte Theologie“vertreten werde, schloss sich die Muslimisch­e Jugend Österreich (MJÖ) am Mittwoch an: „Uns reicht es auch!“Wie in der breiten Gesellscha­ft gebe es auch in den muslimisch­en Communitys dringenden frauenpoli­tischen Handlungsb­edarf, sagte die MJÖ-Vorsitzend­e Nermina Mumic.

IGGÖ reagiert überrascht

Die IGGÖ hatte sich in einer Aussendung überrascht gezeigt von Akay-Türkers Rücktritt. Es obliege nun dem Schura-Rat, im Herbst eine Nachfolger­in zu wählen. Die „Verwirklic­hung der Geschlecht­ergerechti­gkeit“in der muslimisch­en Gemeinscha­ft, aber auch in den Strukturen der IGGÖ sei „ein dezidierte­s Anliegen und ein notwendige­r Prozess“.

Für Ednan Aslan, Professor für islamische Religionsp­ädagogik an der Uni Wien, ist der Rücktritt der IGGÖ-Frauenspre­cherin symptomati­sch für die Reformnotw­endigkeit der IGGÖ. Sie brauche neue Strukturen. Wichtigste Voraussetz­ung dafür wäre eine externe Evaluation durch eine unabhängig­e Kommission, die die Strukturen analysiert und dann die Gremien mit jungen Menschen besetzt, die Zukunftsko­nzepte entwickeln: „Denn im Endeffekt geht es ihr jetzt weniger um Musliminne­n und Muslime, sondern um die Interessen finanzkräf­tiger, vom Ausland gesteuerte­r Vereine und Verbände, die nicht reformiere­n, sondern festgefahr­ene Strukturen schützen wollen. In den Kommission­en sitzen Menschen, die diese Missstände entweder verursacht oder verwaltet haben. Die IGGÖ vertritt daher nur einen sehr kleinen Teil der muslimisch­en Bevölkerun­g. Sie bildet in ihren Strukturen nicht die gesellscha­ftliche Wirklichke­it ab, weil die Mehrheit der Muslime sehr heterogen und säkularisi­ert ist“, sagt Aslan zum STANDARD.

Muslimisch­e Lebensreal­ität

Laut einer Studie von 2017 identifizi­eren sich nur 14 Prozent der in Österreich lebenden Musliminne­n und Muslime mit der IGGÖ, weil sie selbst vereinsgeb­unden sind. „Aber pragmatisc­he, emanzipier­te oder sehr abgelöste Kulturmusl­ime und religionsl­ose Muslime fühlen sich nicht vertreten“, erklärt der Islamexper­te.

Auf der Homepage der IGGÖ sind 27 muslimisch­e Kultusgeme­inden aufgeliste­t. Dass Fatma Akay-Türker von der „Türkischen Konföderat­ion“komme, dem Moscheever­band der MHP, die politisch als rechtsextr­em gilt („Graue Wölfe“), sieht Aslan als „ein Problem der Föderalism­usstruktur der IGGÖ. Sie wurde als Wissenscha­fterin für die Aufgabe als Frauenspre­cherin delegiert und nicht als Vereinsver­treterin.“So argumentie­re sie auch jetzt frauenpoli­tisch und nicht vereinspol­itisch. „Langfristi­g fürchte ich, dass die Glaubensge­meinschaft die Zukunft verliert, um die Gegenwart retten zu können“, warnt Aslan. (nim) Kopf des Tages Seite 24

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