„Die Maturavorbereitung war sicher nicht optimal“
Der Mathematikdidaktiker Stefan Götz, der das Bildungsministerium bei der Matura berät, empfiehlt eine großangelegte Analyse der Klausuren, um Fehler im System zu finden.
STANDARD: Was sagen Sie zu den Matura-Zwischenergebnissen? Götz: Bei den AHS ist dieser Zweijahresrhythmus schon sehr auffällig, immer zwischen rund zehn und 20 Prozent Nicht genügend pendelnd. Diesmal waren es natürlich schwierige Bedingungen. Die Vorbereitung war sicher nicht optimal. Man sollte sich anschauen, wie viele Kandidaten im Jahreszeugnis ein Befriedigend hatten und sich vielleicht dachten, ein Genügend haben sie sowieso sicher, und dann hat vielleicht ein bisschen die Motivation gefehlt, sich so anzustrengen, als hätte man eine andere Regelung gehabt. Wobei ich meine, in diesem schwierigen Jahr kann man mit der Eins-zu-eins-Regelung – Klausurnote und Jahresnote zählen je 50 Prozent für die Matura – leben.
STANDARD: Der Klagenfurter Mathematikdidaktiker Andreas Vohns meint, man hätte die Maturatesthefte, die schon im Jänner fertig gedruckt waren, also vor Corona und Homeschooling, besser noch einmal aufschnüren und neu aufsetzen sollen. Wie sehen Sie das? Götz: Ich war bis vor einem Jahr selbst an der Aufgabenauswahl beteiligt – jetzt wird das ministeriumsintern gemacht – und weiß, dass der Prozess, bis man zu den endgültigen Aufgaben kommt, sehr langwierig und komplex ist. Diesen Qualitätssicherungsprozess hätte man von Jänner bis Mai nicht mehr geschafft.
STANDARD: War die AHS-Matura inhaltlich wirklich so viel schwieriger oder sogar zu schwer?
Götz: Für die Typ-1-Aufgaben, und auf die kommt es ja an, um ein Genügend zu erreichen, verneine ich das dezidiert. Die waren sicher nicht zu schwierig. Man müsste wirklich anschauen, was da passiert ist. Wo haben die Leute ihre Punkte verloren, sodass sie nicht auf die für einen Vierer nötigen 16 von 24 Punkten gekommen sind. Die Ausgleichspunkte im Teil 2 waren auch relativ einfach, finde ich. Aber da kann es sein, dass man über diese Stufe einfach nicht drübersteigt und diese Aufgaben gar nicht angeschaut wurden und sie nicht gemerkt haben, dass da noch der eine oder andere Punkt zu holen gewesen wäre. Ja, in Teil 2 war viel Physik, aber das steht im Konzept. Auch diese Aufgaben hätte man schaffen können, wenn man nicht von vornherein sagt, mit Physik will ich nichts zu tun haben.
STANDARD: Welche Empfehlungen leiten Sie aus den bisherigen Daten ab? Was ist zu tun?
Götz: Man müsste die Maturaergebnisse in großem Stil analysieren. So wie 2016 eine große
Stichprobe von Maturaklausuren einscannen und ein wenig Geld in die Hand nehmen. Wo sind die Punkte verlorengegangen, die man für ein Genügend braucht? Dazu muss man sehen, was dasteht, welche Fehler gemacht und ob Aufgaben gar nicht angegriffen wurden. Die nackten Zahlen sagen ja nicht, ob jemand früher abgegeben hat oder halt sitzengeblieben ist und nichts mehr gemacht hat, weil die Klausur sowieso egal war für ein positives Ergebnis. Die wenigsten werden provokant aufgestanden sein und ein leeres Blatt abgegeben haben. Will man es wirklich wissen, muss man sich das in viel größerem Umfang anschauen. Ich fürchte, viel billiger wird es nicht.
STEFAN GÖTZ (54), ao. Universitätsprofessor für Didaktik der Mathematik an der Uni Wien, berät das Bildungsministerium bei der Zentralmatura in Mathematik und war 2018 Mitglied der ministeriellen Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Mathematikaufgaben. Langfassung des Interviews auf derStandard.at/Bildung