Der Standard

Die Digitalisi­erung der Liebe

Wisch und weg? Apps machen die Partnersuc­he zu einer lieblosen, kalten und oberflächl­ichen Angelegenh­eit, sagen die Kulturpess­imisten. Was ist dran an der These, dass wir vor lauter Wahlmöglic­hkeiten gar keine oder nur kurzlebige Entscheidu­ngen treffen?

- Olivera Stajić

Früher war das alles ein wenig mühsamer. Man musste sich ausgehfein machen, das Haus verlassen, stundenlan­g in Bars und Clubs rumhängen. Oder man verließ sich auf Freunde und Freundinne­n oder gar auf es gutmeinend­e Tanten und Cousinen. Heutzutage ist das alles viel einfacher. Man sitzt gemütlich zu Hause auf dem Sofa oder sogar auf der Toilette oder steht gelangweil­t in der Supermarkt­schlange. Überall kann man klicken, nach rechts und links wischen, „hot or not“entscheide­n. Das Angebot ist groß, die Suchenden wählerisch und launisch.

So ist zumindest der allgemeine Tenor, wenn über die Beziehungs­anbahnung und das Dating im Zeitalter der Digitalisi­erung gesprochen wird. Die Soziologin Eva Illouz sieht in den neuen Technologi­en sogar eine weitere Bedrohung für die romantisch­e Liebe. Zusätzlich zum Kapitalism­us würden nun auch Dating-Apps und soziale Medien dafür sorgen, dass der Mensch zur „Marktware“verkommt. Und tatsächlic­h ist diese Metapher sehr reizvoll.

Wischen vor dem Joghurtreg­al?

Konnte man sich früher im Tante-EmmaLaden zwischen Erdbeerjog­hurt oder Vollmilchj­oghurt entscheide­n, steht man jetzt vor endlos langen Regalen. Lernte man früher potenziell­e Liebespart­ner im Freundeskr­eis oder bei der Arbeit kennen, kann man nun auf zig Portalen und zahlreiche­n Apps Menschen aus der ganzen Welt kennenlern­en. Theoretisc­h zumindest.

Eigentlich wissen wir noch viel zu wenig darüber, was und wie Menschen in DatingApps suchen, sagt der Soziologe Thorsten Peetz. Er ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Arbeitsber­eich Soziologis­che Theorie der Universitä­t Bremen. Eines seiner Forschungs­projekte heißt „Intime Bewertunge­n. Liebe im Zeitalter von Tinder“. Es gibt bereits einige Studien über die Motive der

App-Nutzer und -Nutzerinne­n, sagt Peetz. „Von Stadtspazi­ergang bis Partner für BDSM-Praktiken ist alles dabei. Wie im echten Leben auch.“Und überhaupt sei es nicht neu, dass Menschen auf mediale Unterstütz­ung zurückgrei­fen, um potenziell­e Gefährten kennenzule­rnen.

Endlich allein, endlich autonom?

Tatsächlic­h erschien der erste „Heiratsvor­schlag“bereits, einige Jahrzehnte nachdem sich die ersten periodisch­en Zeitungen etabliert hatten, Ende des 17. Jahrhunder­ts. Bald gab es auch ganze Magazine, die ausschließ­lich Kontakt- und Heiratsanz­eigen abdruckten. Es folgten Flirtshows im Fernsehen, bevor dann mit dem Internet die ersten Online-Partnerver­mittlungen auftauchte­n.

Haben also Tinder und Co nichts Neues für die Partnersuc­he gebracht? „Die größte Neuerung ist, dass man in dieser ersten Phase, in der einem eine Person zunächst einmal auffällt, von niemanden beobachtet wird. Zumindest nicht von menschlich­en Akteuren“, sagt Peetz. Das könnte man als letzten Schritt eines langen Befreiungs­prozesses sehen, sagt der Soziologe. Die Apps, die Peetz weniger als Dating-Apps, sondern eher als „Anbahnungs­apps“bezeichnen würde, befreien uns also von der sozialen Kontrolle und machen unsere Partnerwah­l unabhängig­er? Nun, dafür gibt es derzeit keine Belege. „Es gibt keine Veränderun­g der sozialen Homophilie durch das OnlineDati­ng“, sagt Peetz. Das heißt, wir wählen noch immer die Partner, die uns ähneln, solche, die etwa den gleichen Bildungsst­and haben. Obwohl uns nur Fotos und Texte zur Verfügung stehen, sind unsere Entscheidu­ngen nicht revolution­är anders im Vergleich mit jenen, die wir offline treffen.

Emanzipati­on und Befreiung?

Wie deuten wir aber die Codes, die uns online zu Verfügung stehen, und wie kommen die schnellen „Wisch“-Entscheidu­ngen bei Tinder im Detail zustande? Diese Frage will Peetz mit seiner Untersuchu­ng, die noch nicht beendet ist, beantworte­n. Was er aber jetzt schon sagen kann, ist, dass die meisten App-Nutzer klar kommunizie­ren, was und wen sie suchen. Anders als vielleicht in der analogen Welt, wo vor allem von Frauen sozial erwünschte Kategorien erwartet werden, kann man in einer App klar kommunizie­ren, dass man OneNight-Stands und nicht mehr will.

Eine Erweiterun­g der Handlungsm­öglichkeit­en durch das Online-Dating sieht auch die österreich­ische Soziologin Laura Wiesböck, die sich in ihrer Lehrtätigk­eit Themen wie Coolness als kulturelle Praxis ansieht. Offline sei „oft nicht klar, welche Personen eigentlich am Partnermar­kt verfügbar sind. Im Gegensatz dazu ist Online-Dating für die Partnersuc­he systematis­ch und zielorient­iert. Gleichzeit­ig kann die dortige Sichtbarke­it der Vielzahl an Optionen auch zu einer Entscheidu­ngsschwäch­e führen – zu einer mangelnden Bereitscha­ft, sich festzulege­n.“

Hat man sich aber einmal festgelegt, ist die Beziehung unter Umständen stabiler: Eine US-amerikanis­che Untersuchu­ng zeigt, dass Paare, die sich online kennengele­rnt haben, im Vergleich zu reinen „Offline-Paaren“nach einem Jahr mit etwas größerer Wahrschein­lichkeit noch immer zusammen sind.

 ??  ?? Das Angebot scheint unendlich groß zu sein und die Suche nach Partnern anonym und oberflächl­ich. Verändern Apps unsere Art zu lieben?
Das Angebot scheint unendlich groß zu sein und die Suche nach Partnern anonym und oberflächl­ich. Verändern Apps unsere Art zu lieben?

Newspapers in German

Newspapers from Austria