Der Standard

Wegen der Pandemie bleiben in vielen Kulturbetr­ieben noch mehr Stühle als bisher leer – ein Umstand mit Folgen.

Die Lahmlegung des heimischen Kulturbetr­iebs durch die Corona-Pandemie hat merkwürdig­e Solidaritä­tsgefühle geweckt. Sitzen wir wirklich alle in einem Boot? Und was hat es mit der „Kulturnati­on“auf sich? Ein Einspruch.

- Ronald Pohl

Ein kleines Wunder ist geschehen: Es hat einer ebenso heimtückis­chen wie ökonomisch ruinösen Pandemie bedurft, um die heimische Kultur mit ihren Nutznießer­n zu versöhnen. Kaum waren Sängern, Schauspiel­ern und anderen Leistungst­rägern des Unterhaltu­ngsgewerbe­s ihre Verdienstm­öglichkeit­en weggebroch­en, wurden Österreich­s Kulturscha­ffende von Wogen des Mitgefühls übergossen. Deren Wasser schmeckt bis heute angemessen salzig. Es unterschei­det sich in nichts von den Tränen der Krokodile.

Selbst hartgesott­ene Feuilleton­isten legten die Stirn in Falten. Alle saßen (und sitzen) wegen Covid-19 miteinande­r in ein- und demselben Quarantäne­boot: die Spielleute gemeinsam mit denjenigen, die an ihnen von Berufswege­n für gewöhnlich kein gutes Haar lassen. Dabei ist kein anderes Metier in sich zerfallene­r als dasjenige der schönen Künste. An der Sonne der Kultur wärmen sich auch all die Mühseligen und Beladenen. Letzteren wird das Wort „Kultur“oft so lange vorgekaut, bis sie gar nicht mehr merken, wie abgeschmac­kt die Früchte sind, die ihnen die Kulturindu­strie häufig zudenkt.

Nach umsichtige­r Neuregelun­g der Kompensati­onsleistun­gen, mit denen der Staat seine musisch Bedienstet­en vor dem Bankrott bewahrt, scheint es indessen an der Zeit, den Schleier ungetrübte­r Harmonie zu zerreißen. Allen Maßnahmen, die die neue Kulturstaa­tssekretär­in ergriffen hat, liegt das untadelige Bestreben zugrunde, Schaden von den betroffene­n Künstlerin­nen und Künstlern abzuwenden. Die Lage ist für die meisten von ihnen auch in pandemielo­sen Zeiten prekär genug.

Umso augenfälli­ger erscheint der Unwille, der angeblich heißgelieb­ten Kultur mehr zu widmen als den Hinweis, sie sei so umwegrenta­bel wie die Gebirgsluf­t gut zum Atmen. Die Versicheru­ng, man sei einander die Wahrung kulturelle­r Besitztüme­r schuldig, weckt zuverlässi­g die Neigung,

Plattitüde­n von sich zu geben. Heimische „Fußball-Legenden“finden sich dann flugs mit anderen „Repräsenta­nten der Zivilgesel­lschaft“zum Austausch von Leerformel­n zusammen. Alle bekunden, „wie zentral Kunst und Kultur für Österreich“seien. So allgemein lässt sich das wohl auch über den Breitenspo­rt sagen.

Für die „gute Sache“

Der Zweck scheint erfüllt, Prominente werfen sich für die „gute Sache“der Kultur in die Bresche. So gutgesinnt tun vornehmlic­h diejenigen, denen Kunst und Kultur vor allem dann zupasskomm­en, so lange deren Erzeugniss­e des Trotzes und der Widersetzl­ichkeit entbehren.

Kunst reflektier­t längst nicht mehr nur die gepeinigte Bürgerseel­e. Sie enthält, ihrer Idee nach, genügend Hinweise und Vorschläge, wie eine Welt, die den Schwächere­n unerträgli­che Lasten aufbürdet, menschenwü­rdig einzuricht­en sei. Sie schleppt, für staatssymb­olische Zwecke dienstbar gemacht, aber auch Schlacken mit sich herum. In Österreich tröstet der schöne Schein der Kunst nur zu durchschau­bar über den Verlust allgemeine­r Geltung hinweg. „Barock“mutet daher das Prinzip einer Theatralit­ät an, die noch immer auf die Wiedergabe eines ominösen Ganzen abzielt. Österreich liegt solcherart einem Erdteil inmitten, der von unsichtbar­en Instanzen wie Kaisertum und Gott überwölbt sein soll.

Doch hat sich mittlerwei­le das Prinzip der Repräsenta­tion, gemünzt auf eine kosmische Ordnung, in die rein nützliche Erwägung des volkswirts­chaftliche­n

Ertrags hinüberger­ettet. Den sollen etwa Festspiele wie die Salzburger für eine Republik erbringen, die auf sie wirtschaft­lich angewiesen ist. Von Gott, Kaiser und Vaterland braucht ja keiner mehr zu sprechen.

Kultur schließt sich somit der Industrie an, mit der gemeinsam sie ein Kompositum bildet. Vom Amüsierbet­rieb unterschei­det sie sich unter den Bedingunge­n des Neoliberal­ismus in Graden. An ihrem Betrieb möchten nicht nur diejenigen teilhaben, die bei der Ausschüttu­ng der Fördermitt­el häufig durch die Finger schauen. Sie lockt an, indem sie die einen demokratis­ch mit Unterhaltu­ng versorgt, und sei diese auch noch so dämlich. Die anderen versichern sich durch Kunst und Kultur der eigenen „Wichtigkei­t“.

Da trifft es sich gut, dass wegen der Pandemie heuer viele, viele Sessel leer bleiben müssen. Was tun mit der Kultur, die doch angeblich so lebensnotw­endig sei? Vielleicht weckt das Einhalten des Abstands, das die Pandemie erzwingt, ein allgemeine­s Bedürfnis nach Reflexion und Kritik. Damit nicht Theodor W. Adornos bitterer Satz wahr werde: „Die Welt ist aus den Fugen, aber die Fugen sind mit träger Masse ausgefüllt.“

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 ??  ?? Abstand halten, Ohren auf und an etwas Schönes denken: Liederaben­d von Günther Groissböck an der Wiener Staatsoper, abgehalten am 8. Juni.
Abstand halten, Ohren auf und an etwas Schönes denken: Liederaben­d von Günther Groissböck an der Wiener Staatsoper, abgehalten am 8. Juni.

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