„Ich mache eine linke Basispolitik“
Hans Peter Doskozil tourt diese Woche durch die deutsche Sozialdemokratie, um sein umstrittenes burgenländisches Modell vorzustellen. Immerhin regiert die SPÖ im Burgenland absolut.
Im Landeshauptmann-Büro steht kein Schreibtisch. Nur Sitzgruppen. Seit neuestem hängt ein Bild des roten Übergroßvaters an der Wand. „Manchmal“, sagt Hans Peter Doskozil, „denk ich, er denkt sich: Was reden die da überhaupt?“DER STANDARD saß mit dem Rücken zu Bruno Kreisky und fragte nach dem sozialdemokratischen Befinden.
STANDARD: Ab Mittwoch touren Sie durch Deutschland, besuchen SPD-Organisationen in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg. Was interessiert die deutschen Genossen?
Doskozil: Es hat immer schon gute Kontakte gegeben. NRW und Baden-Württemberg sind jetzt auf uns zugekommen. Dort gibt es bald Wahlen, und unser Erfolg im Burgenland ist ja nicht unbeobachtet geblieben. Aber insgesamt glaube ich auch, wir sollten uns mehr vernetzen, über den Tellerrand schauen. Auch oder gerade dorthin, wo es wirklich schlimm ist. Nach Ungarn zum Beispiel. Man bekommt dann ein Verständnis dafür, wie weit es gehen kann, wenn man nicht aufpasst. Auch in Deutschland nimmt die Sozialdemokratie eine Entwicklung, die einem Abwärtstrend gleicht. Und durch manche Persönlichkeiten sogar in ein schiefes Licht gerät.
Standard: Sigmar Gabriel ist aber kein Ausnahmefall.
Doskozil: Den wollte ich jetzt gar nicht ansprechen. Es gibt genug andere, auch in Österreich. Das ist eine Facette, die – wie soll ich das sagen? – das negativ transportierte Bild der Sozialdemokratie abrundet. Sozialdemokratische Politik kann man nicht machen, dass man sagt: Von 1993 bis 1999 bin ich glaubwürdig, dann ein komplett anderer. Das schadet der ganzen Sozialdemokratie. Das war und ist etwa der Gerhard Schröder, sein Hartz IV, die Minipensionen. Und das bei einem Haushalt, der mitunter ein Milliardenplus schreibt.
Standard: Finanzminister Olaf Scholz ist aber schon Sozialdemokrat?
Doskozil: Eben. Ich bin auch privat viel in Deutschland. Wenn ich da zum Beispiel 75-jährige Taxifahrer sehe! Mit den Kindern war ich in einem Vergnügungspark, wenn ich dort sehe, wie Pensionisten zusammenräumen! Wenn der
Spiegel schreibt, dass 30 Prozent der Arbeitsverhältnisse prekäre Lohnsituationen sind! Da muss ich mich ja fragen: Wozu brauche ich die SPD?
Standard: Das sagen Sie den Genossen in Deutschland? Der Landeshauptmann des Burgenlandes?
Doskozil: Natürlich sage ich das. Wenn man glaubwürdig Politik macht, muss man auch kritisch nach innen sein. Ich glaube, das bin ich auch in Österreich genug. Bei meinem ersten offiziellen Besuch in Deutschland 2016 habe ich Sigmar Gabriel getroffen, da war er Wirtschaftsminister. 19 Milliarden Überschuss hat damals der Finanzminister zu verteilen gehabt. Da hätte man doch was tun müssen! Die Parteilinken haben aber nur über Flüchtlinge und Asyl geredet. Mit echten sozialdemokratischen Themen war nichts zu machen. Gabriel hat gesagt, wortwörtlich:
Unsere Truppe in Berlin ist zu 90 Prozent links, wenn ich diese Meinung vertrete, hauen sie mich raus.
Standard: Kennen Sie so etwas nicht selbst auch ganz gut?
Doskozil: Wir haben keine 90 Prozent. Gewisse exponierte Persönlichkeiten aus diesem Segment können aber nichts anfangen damit, dass wir eigentlich klassische linke Politik machen: Mindestlohn, Anstellung pflegender Angehöriger und so weiter. Etwas, das linke Paradepolitiker – sag ich jetzt mit Blick auf Kärnten – nicht machen. Viele können nicht umgehen mit dem Umstand, dass ich jetzt nicht mehr nur der Asyl- und Migrationspolitiker bin. Sondern einer, der klassische sozialdemokratische Politik macht. Ich mache linke Basispolitik.
Standard: Dänemark, Burgenland – warum funktioniert die be
schriebene Politik in kleinen Einheiten, aber nicht dort, wo das Herz der Sozialdemokratie immer geschlagen hat, in den Zentren?
Doskozil: Hm ... Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor dem Parteitag sitzt man zusammen und überlegt, welche Themen man setzen könnte. Sagt einer: Wir machen was zu „leistbares Wohnen“. Und wie? Die Mehrwertsteuer muss weg! Ja, super! Aber das ist dann schon das Programm. Das kann ich zwischendurch beim Kaffee entwerfen. Man kann so was doch nicht tun, ohne das Genossenschaftssystem zu hinterfragen. Ohne zu wissen, wo in Wirklichkeit das Geld gemacht wird, wie Genossenschaften oft mit sozialem Wohnbau umgehen. Wenn ich also das Fachwissen nicht habe, kann ich keine g’scheite Politik machen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem die Bevölkerung die Defizite mitkriegt. Und ab da verliert man dann eben.
Standard: Im Burgenland hat die SPÖ eine Absolute gewonnen. Was macht man da anders?
Doskozil: Das macht mich ja ein bisschen wurlert. Jetzt hab ich eine satte Mehrheit erreicht mit Mindestlohn, Pflege, Biowende – verschiedene Facetten. Und die kommen immer noch mit der Diskussion um die 30-StundenWoche. Das ist lächerlich! Auch die Mitgliederbefragung hat ergeben, dass der Mindestlohn wichtiger ist als die Arbeitszeitverkürzung. Manchmal wissen sie ja nicht einmal, was 1700 netto oder 1700 steuerfrei bedeutet.
Standard: Das alles klingt wenig optimistisch für die SPÖ.
Doskozil: Ich bin immer optimistisch. Wir haben im Burgenland etwas geschafft, was vor zwei Jahren keiner prognostiziert hätte. Auf Bundesebene sieht man, wie sehr der Kanzler beginnt, sich abzunützen. Vielleicht haben wir also in vier Jahren einen sozialdemokratischen Kanzler.
Standard: Oder Kanzlerin?
Doskozil: Oder Kanzlerin. Ich bin zuversichtlich, dass wir für die nächsten Wahlen gut aufgestellt sein werden.
Standard: Die nächsten Wahlen sind in Wien. Werden Sie tätige Hilfe leisten?
Doskozil: Wien ist die wichtigste Landesorganisation. Wenn dort was passieren würde, würde das die österreichische Sozialdemokratie extrem erschüttern. Wir werden jedenfalls versuchen, das Unsrige zu einem Erfolg von Michael Ludwig beizutragen.
HANS PETER DOSKOZIL (50) ist burgenländischer Landeshauptmann, seit der Wahl im Jänner regiert er mit absoluter Mehrheit.