Ein Wahlkampfhit namens Favoriten
Die Ausschreitungen türkischer Nationalisten im zehnten Wiener Gemeindebezirk könnten zum Dauerthema im Wiener Wahlkampf werden. ÖVP und FPÖ schießen sich auf die Integrationspolitik der Stadtregierung ein.
Bezirke wie Favoriten finden in normalen Zeiten relativ wenig Beachtung. Im Vergleich zu anderen Teilen Wiens steht dieser Bezirk zum Beispiel selten im Mittelpunkt städteplanerischer Querelen – obwohl sich dort einiges tut. Doch der zehnte ist nicht nur der größte, er zählt auch zu den ärmeren Bezirken und hat zudem einen hohen Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund. Damit bietet er, steht ein Wahlkampf vor der Tür, eine beliebte Projektionsfläche für politische Konflikte. Nicht umsonst veranstalten SPÖ und FPÖ regelmäßig Wahlkundgebungen auf dem Viktor-Adler-Markt.
Dementsprechend finden die jüngsten Ereignisse rund um Angriffe türkischer Nationalisten auf linke und kurdische Vereine nun Einzug in den Wiener Wahlkampf. Es ist kein Zufall, dass die FPÖ die Angriffe sofort mit dem Thema Integration verknüpfte. Auch die ÖVP führt die Ausschreitungen auf das „Scheitern der rot-grünen Integrationspolitik“zurück. Die Stadt-Schwarzen forderten zudem, dass das linke ErnstKirchweger-Haus (EKH), das zum Ziel der rechten Angriffe wurde, geschlossen werden soll.
Bereits vergangene Woche schalteten sich Innenminister Karl Nehammer und Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) in die Debatte ein. Nun kündigten sie eine Krisensitzung an, zu der sie sowohl linke und kurdische als auch konservative und nationalistische türkische Vereine eingeladen haben. Unklar bleibt zunächst, ob auch die Türkische Föderation, die politische Heimat der rechtsextremen Grauen Wölfe, zum Gespräch eingeladen wurde. Das wurde am Samstag zwar so verkündet, Innenminister Nehammer bestritt aber am Sonntag in der ORF- Pressestunde, Graue Wölfe zum Gespräch gebeten zu haben.
Wien kritisiert Strategie
Die Auseinandersetzung mit den Ereignissen, die immer wieder als Wiener Problem geframt werden, wandert damit endgültig auf die Bundesebene. Eine Sonderkommission, bestehend aus Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt, soll zudem untersuchen, ob es Einflüsse aus der Türkei gegeben hat.
Für den Wiener Jugend- und Integrationsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) ist das Vorgehen der Bundesregierung nicht nachvollziehbar: Neben der Ausforschung der Hintermänner gehe es jetzt darum, die Jugendlichen vor
Extremisten zu schützen, heißt es aus dem Stadtrat-Büro zum STANDARD. Seit über einer Woche fordere man die Einberufung des beim BVT angesiedelten bundesweiten Netzwerks für Extremismusprävention und Deradikalisierung. Es sei „unverständlich und verstörend“, dass man sich stattdessen mit Rechtsextremen an einen Tisch setze, sagt ein Sprecher. In dieselbe Kerbe schlägt Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne). Sie selbst war wiederum mit einem Misstrauensantrag der FPÖ bei einem von der ÖVP einberufenen Sondergemeinderat zur Causa prima konfrontiert, weil sie bei einer der antifaschistischen Demos war.
Es ist aber ohnehin die SPÖ, der die Debatte – sofern sie keine Gegenerzählung aufbaut – wohl derzeit am ungelegensten kommt, weil sie von der ÖVP in eine Integrationsdebatte gedrängt wird, die sie meist zu vermeiden sucht. Mit der derzeitigen demoskopischen Ausgangslage kann die Wiener
SPÖ im Gegensatz zu ihren Genossen im Bund dennoch zufrieden sein: Laut einer OGM-Umfrage für den Kurier kommen die Roten derzeit auf 38 Prozent, das ist ein Minus von 1,6 Prozentpunkten im Vergleich zu 2015. 47 Prozent wollen eine Fortführung von RotGrün. Wahlkampfthema autofreie City:
Gastkommentar Seite 15