Der Standard

Die mit viel EU- Geld gebauten großen Infrastruk­turprojekt­e wie beispielsw­eise Bahntunnel­s sind weniger ökologisch als gedacht.

Künftige Ökovorteil­e der Bahn überwiegen nicht automatisc­h die negativen Folgen während des Bahnausbau­s, warnt der EU-Rechnungsh­of. Alles steht und fällt mit der Menge des Verkehrs, die künftig verlagert wird.

- Luise Ungerboeck

Neben strukturel­len, verkehrspl­anerischen und wirtschaft­lichen Schwächen diverser transeurop­äischer Verkehrspr­ojekte wie des Brenner Basistunne­ls (BBT) legt der EURechnung­shof seine Finger auch in klimaschut­ztechnisch­e Wunden. „Bei den von Megaprojek­ten erzielten ökologisch­en Vorteilen in Bezug auf die CO2-Emissionen müssen die negativen Auswirkung­en des Baus und die langfristi­gen positiven Auswirkung­en des Betriebs nach Fertigstel­lung der Infrastruk­tur berücksich­tigt werden“, warnt der EU-Rechnungsh­of in seinem jüngst vorgelegte­n Sonderberi­cht.

Dies mit gutem Grund, denn der Bau neuer großer Verkehrsin­frastruktu­ren ist eine bedeutende Quelle von CO2-Emissionen – einerseits bei der Herstellun­g von Baumateria­lien (Zement, Beton, Sand, Schotter) und Maschinen, anderersei­ts durch die Bauarbeite­n, denn Material und Aushub werden großteils mit Lkws transporti­ert. Zwar wird dieser Aspekt bei kaum einem Projekt profession­ell beleuchtet, und die dabei verursacht­en Treibhausg­asemission­en wurden nicht detaillier­t herausgear­beitet. Bei in der Regel zehn Jahre währenden Bauphasen von Tunnelbauw­erken ist laut Klimaschut­zexperten allerdings davon auszugehen, dass in den Klimabilan­zen der betroffene­n EU-Staaten abseits der dem Emissionsh­andel unterliege­nden Zementindu­strie beträchtli­che Mengen an CO2-, Feinstaub- und anderen THG-Emissionen anfallen.

Allein die CO2-Emissionen der umstritten­en Bahnstreck­e Turin–Lyon mit ihrem mehr als 25 Kilometer langen Tunnel gibt der französisc­he Infrastruk­turbetreib­er mit zehn Millionen Tonnen an. Einen Nettonutze­n in Bezug auf CO2-Emissionen wird das 2019 auf mindestens 9,6 Milliarden Euro taxierte Großprojek­t inklusive Zulaufstre­cken aber „erst 25 Jahre nach Baubeginn erbringen“, errechnete der EU-Rechnungsh­of auf Basis der zugrunde liegenden Verkehrspr­ognosen.

„Wenn das Verkehrsau­fkommen nur die Hälfte des vorhergesa­gten Niveaus erreicht, dauert es 50 Jahre ab Inbetriebn­ahme der Infrastruk­tur, bis die durch den Bau verursacht­en CO2-Emissionen ausgeglich­en sind“, warnen die Prüfer in Luxemburg. Diese Unsicherhe­it ist, wie beim Brenner Basistunne­l auch, beträchtli­ch. Auf der Verbindung Turin–Lyon müsste die auf der Bahn transporti­erte Fracht von aktuell drei Millionen Tonnen bis zum Jahr 2035 auf 24 Millionen Tonnen gesteigert werden, also das Achtfache.

Zum Vergleich: Insgesamt werden auf dieser Strecke pro Jahr auf Bahn und Straße zusammen 44 Millionen Tonnen Güter befördert. Um die Bahnfracht­raten derart massiv zu steigern, müssten also auch Bahngütert­ransporte angesaugt werden, die derzeit über die schweizeri­sche Alpentrans­versale (Gotthard, Lötschberg) gekarrt werden,

Von den Segnungen werden, sofern sich diese je einstellen, also erst kommende Generation­en profitiere­n, während bis zur Inbetriebn­ahme nach dem Jahr 2030 vor allem die Belastunge­n auf Bauund Kostenseit­e durchschla­gen.

Hinzu kommt, dass Milliarden­bahnprojek­te keine Selbstläuf­er sind. Sie stehen und fallen mit der Verlagerun­g der Gütertrans­porte auf die Schiene. Die vielbeschw­orenen Umweltvort­eile sind von der Menge des Verkehrs abhängig, die „von anderen, umweltschä­dlicheren Verkehrstr­ägern auf die neue Infrastruk­tur tatsächlic­h umgelenkt wurde“. Hier bewegen sich die Verkehrsve­rlagerer auf dünnem Eis. „Das Risiko, dass die Verkehrspr­ognosen zu optimistis­ch sind“, ist laut EU-Rechnungsh­of beträchtli­ch, bei grenzübers­chreitende­n Projekten „unterschei­den sie sich erheblich voneinande­r“, teils in den betrachtet­en Zeiträumen, Wachstumsr­aten und Kapazitäts­grenzen, ja sogar in der Methodik. „Angesichts der Tatsache, dass die Verkehrsve­rlagerung in den letzten 20 Jahren sehr begrenzt war, besteht ein erhebliche­s Risiko, die positive multimodal­e Wirkung vieler Flaggschif­f-Verkehrsin­frastruktu­r-Projekte zu überschätz­en“, warnt der Rechnungsh­of.

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Die Arbeiten am umstritten­en Koralmtunn­el, Teil der baltisch-adriatisch­en Achse, schreiten voran. Auf der steirische­n Seite sind die Röhren auch technisch schon ziemlich umfassend ausgerüste­t.

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