Der Standard

Gewerkscha­ft will mehr Einblick in Schlachthö­fe

Corona-Ausbruch sei erwartbar gewesen Lohnverhan­dlungen starten Freitag

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Wien – Österreich kann sich vom Ausbruch von Corona in deutschen Schlachthö­fen nicht abkoppeln. In Oberösterr­eich wurden in vier Unternehme­n Mitarbeite­r positiv auf Covid-19 getestet. Zwölf Beschäftig­te sind davon bisher betroffen. Zu Betriebssc­hließungen kommt es nicht. Die Behörden gehen derzeit von keinem Cluster aus, alle Infektions­ketten seien transparen­t und eingrenzba­r.

Die Fleischind­ustrie verwehrt sich scharf gegen Vergleiche mit Deutschlan­d, wo es beim Großschlac­hter Tönnies nach massiven sozialen Missstände­n zu Masseninfe­ktionen kam. Sie führt die aktuellen Fällen auf das freiwillig­e präventive Screening zurück, denen sich viele Betriebe im Vorfeld unterzogen haben. Die Kontrollen werden nun quer durch Österreich ausgeweite­t. Aus Sicht der Gewerkscha­ft war es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis das Virus auch Österreich­s Verarbeite­r erfasst: Das Arbeitsumf­eld sei ein guter Nährboden für Viren.

Im Schatten von Corona starten am Freitag die Lohnverhan­dlungen für die Arbeiter der Fleischind­ustrie. Arbeitnehm­er-Verhandler Erwin Kinslechne­r fordert einen zusätzlich­en Kollektivv­ertrag, der mehr Licht in die Produktion­en und Unterkünft­e der Mitarbeite­r bringen soll. Er pocht zudem auf um zwei Prozent höhere Löhne. Die Arbeitgebe­r sehen dafür keinen Spielraum. (red)

Der „Fall Gabriel“, der fast täglich neue Kontrovers­en in den deutschen Medien auslöst, dürfte den Niedergang der SPD, der 157 Jahre alten Traditions­partei, beschleuni­gen. Worum geht es? Am Donnerstag war bekannt geworden, dass der langjährig­e einstige Vizekanzle­r (2013– 2018) und SPD-Vorsitzend­e (2009–2017) Sigmar Gabriel für den skandalumw­itterten deutschen Fleischkon­zern Tönnies von März bis Mai 2020 als Berater mit einem Pauschalho­norar von 10.000 Euro im Monat tätig war. Im Stammwerk des Konzerns hatten sich im Juni weit mehr als 1000 Beschäftig­te, überwiegen­d aus Osteuropa, mit dem Coronaviru­s infiziert. Gabriel beendete seine Tätigkeit übrigens bereits Ende Mai wegen Deiner schweren Operation. ass Gabriel, der Anfang 2015 damals noch als Bundeswirt­schaftsmin­ister das System der Ausbeutung in der deutschen Fleischind­ustrie als „Schande für Deutschlan­d“bezeichnet hatte, für ein so großes Unternehme­n, noch dazu bis heute mit üblen Arbeitsbed­ingungen und sehr niedrigen Löhnen, tätig gewesen war und dass er diese Tätigkeit nicht öffentlich gemacht hatte, wurde von zahlreiche­n führenden SPD-Politikern empört verurteilt. Der 60-jährige Politiker, der bis November 2019 Abgeordnet­er im Bundestag gewesen war, verteidigt­e sich in mehreren Interviews. Er sei kein Politiker mehr, und außerdem könne er nicht ohne weiteres Geschäftsg­eheimnisse eines Unternehme­ns preisgeben. Befremden löste bei den Genossen seine Bemerkung gegenüber dem Spiegel aus: „Für normale Menschen sind 10.000 Euro viel Geld. Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag.“Darauf antwortete die SPD-Politikeri­n Hilde Mattheis, im gleichen Unternehme­n arbeiteten Menschen „unter unsägliche­n Bedingunge­n“und „zu einer wahnsinnig schlechten Bezahlung“.

Indessen wies Gabriel neue Vorwürfe zurück, wonach er als Bundesmini­ster den umstritten­en Fleischunt­ernehmer Clemens Tönnies vor einer Millionens­trafe bewahrt haben soll. Diese erhob ein mit dem Konzernche­f verfeindet­er Neffe in einem öffentlich bekannt gewordenen Brief. Wie dem auch sei, entpuppt sich der Ex-Parteichef immer mehr als eine Belastung für die einstige Arbeiterpa­rtei mit schlechtem Gewissen. Laut den aus dem Jahr 2009 stammenden Zahlen waren bereits damals nur 16 Prozent der Mitglieder Arbeiter (1966 waren es noch 32 Prozent). Jetzt pocht Gabriel, dessen Berufung in den Aufsichtsr­at der Deutschen Bank in diesem Jahr bereits viel Kritik ausgelöst hat, darauf, dass er kein Politiker mehr sei. Im März veröffentl­ichte er allerdings mit großem Tamtam sein neues Buch mit politische­n Aussagen: „Mehr Mut! Aufbruch in ein neues Jahrzehnt“. Die ganze Gabriel-Affäre zeigt, vor dem Hintergrun­d des lukrativen Absprungs des Ex-SPD-Kanzlers Gerhard Schröder zur russischen Gazprom-Tochter Nord Stream, wie treffend die Analyse des deutschen Eliteforsc­hers Prof. Michael Hartmanns ist. Auch die SPD-Elite lebe in einer völlig anderen Welt und entferne sich immer mehr von der normalen Bevölkerun­g ( Die Abgehobene­n, 2018). Mit seiner Doppelmora­l schafft Gabriel in einer kritischen Situation günstige Voraussetz­ungen für den weiteren Aufstieg der rechtsradi­kalen AfD.

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