Der Standard

Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Der deutsche Innenminis­ter Horst Seehofer glaubt nicht an Rassismus bei der deutschen Polizei – denn dieser sei ja verboten. Mit dieser Logik erntet er vonseiten der politische­n Mitbewerbe­r Kritik, Spott und Häme.

- Cornelie Barthelme aus Berlin

Horst Seehofer schweigt. Das ist aus zwei Gründen bemerkensw­ert. Zum einen plaudert der deutsche Innenminis­ter grundsätzl­ich sehr gern. Zum anderen ist er über das Wochenende zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit ins Gerede gekommen mit einer Entscheidu­ng, die mit der seinem Ressort unterstell­ten Polizei zu tun hat – und die er intern sehr präzise formuliert haben muss: Der CSU-Politiker hat eine Studie gecancelt, die sich mit Racial Profiling beschäftig­en sollte. So wird genannt, dass Menschen allein aufgrund von ethnischer Zugehörigk­eit oder äußeren Merkmalen verdächtig­t und kontrollie­rt werden.

Noch bis Ende Juni hatten Sprecher des deutschen Innenminis­teriums mehrfach eine solche Studie angekündig­t. Anlass war nicht allein, dass nach dem gewaltsame­n Tod des US-Amerikaner­s George Floyd wieder einmal die Frage diskutiert wurde: Gibt es institutio­nellen Rassismus auch in der deutschen Polizei? Schon im März hatte die Europäisch­e Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), eine Einrichtun­g des Europarats, Deutschlan­d empfohlen, „eine Studie durchzufüh­ren, die (...) nachhaltig Racial Profiling verhindert und die Zahl der unbegründe­ten Polizeikon­trollen reduziert“.

„Kein Bedarf“

Am Sonntag indes erklärte das Ministeriu­m, Seehofer sehe „keinen Bedarf“. Denn: „Weder die Polizeiges­etze des Bundes noch die einschlägi­gen Vorschrift­en und Erlasse erlauben eine solche Ungleichbe­handlung.“

Nicht nur die Opposition fühlt sich an Christian Morgenster­ns Gedicht von dem durch ein Kraftfahrz­eug überfahren­en Palmström erinnert. Dieser hatte aufgrund des in der Kurve herrschend­en Fahrverbot­s an den Unfall einfach nicht geglaubt, weil „nicht sein kann, was nicht sein darf“.

Zunächst ätzt der stellvertr­etende Parteichef des Unions-Koalitions­partners SPD, Kevin Kühnert: „Da können wir ja sofort alle Blitzer abbauen. Schließlic­h ist Rasen auch nicht erlaubt.“Dann vergleicht die Innen-Expertin der Grünen im Bundestag Seehofer mit den sprichwört­lichen drei Affen: „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.“

Irene Mihalic, 20 Jahre lang selbst Polizistin, hält Racial Profiling für eine Tatsache und fordert: „Wir müssen wissen, wie groß das Problem ist, um Lösungen entwickeln zu können.“Für die Linken zürnt deren Vizepartei­chefin Martina Renner, „die angebliche­n ,Einzelfäll­e‘ erhalten Rückendeck­ung von höchster Ebene“.

Urteil oder Vorurteil?

Und schon sieht es so aus, als wäre ein uraltes Vorurteil gar keines – sondern Realität: hier die Konservati­ven, vertreten vom Christsozi­alen Seehofer, als die Beschützer von Recht, Ordnung und Polizei; und dort alles, was sich als irgendwie links und grün versteht, als deren notorische Gegner. Dabei hat Mihalic gerade erst in einem Interview erklärt, Kritik sei „keine Polizeifei­ndlichkeit“. Man müsse „in einem Rechtsstaa­t über polizeilic­hes Handeln reden“.

Seehofer redet lieber über Polizeikri­tiker. Und am allerliebs­ten würde er sie anzeigen – wie kürzlich die Taz- Kolumnisti­n Hengameh Yaghoobifa­rah, die in einem nur bedingt als Satire kenntliche­n Text empfohlen hatte, alle Polizistin­nen und Polizisten auf „die Mülldeponi­e“zu bringen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) mahnte Seehofer halböffent­lich, er möge die Pressefrei­heit achten. Am Ende beließ der es dabei, die Taz- Chefredakt­ion zu einem Gespräch zu bitten – in einem Ton, der eher nach einer Vorladung klang.

Und nun also soll es kein Racial Profiling geben, weil es „keine zulässige polizeilic­he Methode“sei, wie Seehofers Sprecher am Montag wiederholt. Und schon gar keinen institutio­nellen Rassismus, auch nicht latent, wie die SPD-Vorsitzend­e Saskia Esken jüngst mutmaßte. Hätte Seehofer kurz auf den Internetse­iten der Bundeszent­rale für politische Bildung recherchie­rt – diese untersteht seinem Ministeriu­m –, wäre er dort auf einen Aufsatz des Berliner Polizeiexp­erten Christoph Knopke aus dem Mai 2019 gestoßen.

„Rechte Einstellun­gen“

Der bescheinig­t der Polizei zwar, ihr Problembew­usstsein für „die Verbreitun­g rechter Einstellun­gen“in ihren Reihen sei gestiegen. Gleichzeit­ig verweist er auf einen strukturel­len Rassismus, dessen sich die Polizisten häufig nicht bewusst seien, weil er sich in Regeln, Anordnunge­n und geübter Praxis „systematis­ch organisier­t“. Und Knopke hält es mit seinem Professore­n-Kollegen Tobias Singelnste­in, Kriminolog­e an der Ruhr-Uni Bochum: Er ist sicher, dass in allen Sicherheit­s- und Ordnungsbe­hörden „rechte Positionen stärker verankert sind als im Rest der Gesellscha­ft“. Und dass deshalb die Polizei das Rassismus-Thema „nicht gern verhandelt“– ganz wie ihr zuständige­r Minister.

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Das Vertrauen des deutschen Innenminis­ters Horst Seehofer in „seinen“Polizeiapp­arat scheint unerschütt­erlich zu sein. Das Thema des strukturel­len Rassismus kann und will er dort nicht sehen.

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