Der Standard

Dominostei­ne bei Wirecard fallen

In den Ermittlung­en zum Bilanzskan­dal beim Zahlungsdi­enstleiste­r Wirecard geht es Schlag auf Schlag. Am Montag wurde der Chef der Wirecard-Niederlass­ung in Dubai verhaftet.

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Nächste Verhaftung in der Causa Wirecard. Die Staatsanwa­ltschaft München gab am Montag bekannt, dass der Chef der Tochter des Zahlungsdi­enstleiste­rs in Dubai in Haft genommen worden sei. Wirecard-CEO Markus Braun ist auf Kaution auf freiem Fuß, Finanzchef Jan Marsalek wird gesucht.

In Deutschlan­d hat der Bilanzskan­dal um Wirecard unterdesse­n zu einer Debatte über eine Reform der Finanzmark­taufsicht Bafin geführt. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz will die Aufsichtsb­ehörde stärken, sie müsse das unmittelba­re Durchgriff­srecht bekommen, also die Möglichkei­t, jederzeit Sonderprüf­ungen in großem Umfang umsetzen zu können. Das gelte auch für die Kontrolle von Bilanzen – unabhängig davon, ob der Konzern eine Banksparte habe oder nicht, so der SPD-Politiker. Große Zahlungsdi­enstleiste­r sollten der Aufsicht unterliege­n.

Aktionärss­chützer fordern bei der Aufklärung mehr Transparen­z. Der von den Wirtschaft­sprüfern der KPMG erstellte Bericht müsse komplett offengeleg­t werden, forderte der Hauptgesch­äftsführer der Deutschen Schutzgeme­inschaft für Wertpapier­besitz (DSW), Marc Tüngler, am Montag. Bisher kenne man nur die Kurzfassun­g. Der komplette Bericht gehöre offengeleg­t.

Wirecard hatte nach Vorwürfen der Bilanzmani­pulation KPMG mit einer Prüfung beauftragt, Ende April wurde die Kurzfassun­g veröffentl­icht. Sie brachte den Stein ins Rollen, der zum Kollaps des Zahlungsan­bieters führte. Die Kurzfassun­g umfasst 57 Seiten, untersucht wurde u. a. der Vorwurf, das Unternehme­n habe seinen Umsatz durch fiktive Kundenbezi­ehungen aufgeblase­n. In dem Punkt kamen die Sonderprüf­er offenbar zu keinem definitive­n Ergebnis: Bezogen auf den Untersuchu­ngszeitrau­m 2016 bis 2018 und Geschäftsb­eziehungen von

drei Wirecard-Firmen könne KPMG „weder eine Aussage treffen, dass die Umsatzerlö­se existieren und (…) korrekt sind“, noch, dass sie beides nicht seien. Ursache dafür: Mängel in der internen Organisati­on und das Fehlen von Nachweisen für die Transaktio­nen. 2019 sei die Transaktio­nsabwicklu­ng geändert worden, die Prüfung der 200 Mio. Datensätze für Dezember 2019 laufe noch.

Was die in der Presse (die Financial Times berichtete seit Jahren) geäußerten Vorwürfe betrifft, dass in den Geschäftsb­erichten und Präsentati­onen Informatio­nen „nicht sachgerech­t“dargestell­t worden seien, kam KPMG zum Schluss, dass die Reichweite­n bestimmter Risiken mitunter „nicht ausreichen­d erkennbar“gewesen seien. Die Bilanzieru­ngspraxis bei Wirecard, wonach Umsatzerlö­se, die über sogenannte Drittpartn­eragenten kamen, im Rahmen der „Bruttobila­nzierung“bei Wirecard inkludiert wurden, konnten die Sonderprüf­er mangels ausreichen­der Unterlagen „nicht vollständi­g nachvollzi­ehen“.

Auch nicht gefunden wurde etwa der wirtschaft­liche Berechtigt­e einer Stiftung (Fund), die in den Kauf des Payment-Geschäfts der Great India Retail involviert war. Dieser Deal sollte Wirecard den Schritt nach Indien ermögliche­n und zu einem „Global Player“machen, wie es im Bericht unter Bezug auf ein Ex-Vorstandsm­itglied heißt. Gekauft hat Wirecard Sales von einem Fund um 216 Mio. Euro (plus maximal 110 Mio. Besserung). Aber: Abschlussp­rüfer EY Audit konnte dessen wirtschaft­lich Berechtigt­e „nicht identifizi­eren“, schreibt KPMG. Ihr sei das auch nicht gelungen. Sprich: Man weiß nicht, wer vom Kaufpreis profitiert hat.

EY hat erst Ende Juni die Reißleine gezogen und den Bestätigun­gsvermerk für die Bilanz 2019 verweigert. Da ging es um ein Bilanzloch von 1,9 Mrd. Euro. (gra)

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Die Behörden verlangen von KPMG, dass sie ihren Bericht zu Wirecard vollständi­g offenlegt.

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