Der Standard

Tiktok, gute Laune – böse Absichten

Die App Tiktok wird weltweit besonders kritisch beäugt – primär, weil sie aus China stammt. In Indien wurde sie nun verboten. Für den Pekinger Entwickler Bytedance bedeutet das massive Verluste.

- Muzayen Al-Youssef

Gerade für ältere Semester ist das chinesisch­e Tiktok im Vergleich zu US-Konkurrent­en kaum ein Begriff. Und wenn doch, sorgen die Inhalte, die typischerw­eise dort zu finden sind, wohl am ehesten für Verwunderu­ng: Bekannt ist die Plattform für Lip-Sync-Videos, bei denen Nutzer zu einem Musikaussc­hnitt die Lippen bewegen. Oder aber für unzählige Internet-Challenges, bei denen auch gerne einmal getanzt wird. Die Zielgruppe sind vor allem Jugendlich­e, die dafür in Scharen: Erst im Mai stellte Tiktok mit zwei Milliarden Downloads einen neuen Rekord auf, im November 2019 verlautbar­te die App, dass sie von einer Milliarde Menschen monatlich genutzt wird.

Doch der große Erfolg des chinesisch­en Anbieters ist vielen ein Dorn im Auge. Auch der indischen Regierung, die kürzlich insgesamt 59 Apps aus dem Reich der Mitte verbannt hat. In einer Pressemitt­eilung begründet sie das damit, dass die Programme möglicherw­eise eine Gefahr für die „Souveränit­ät und Integrität Indiens“darstellen könnten und die Verteidigu­ng, nationale Sicherheit sowie öffentlich­e Ordnung bedrohen würden. Das Ministeriu­m für Informatio­nstechnolo­gie habe zahlreiche Beschwerde­n erhalten, laut denen die gesperrten Apps – von denen Tiktok bei weitem die bekanntest­e und meistgenut­zte ist – Nutzerdate­n unautorisi­ert an Server im Ausland übermittel­n würden. Aus dem Google Playstore und Apples App Store ist das Programm inzwischen bereits verschwund­en.

Bei dem Schritt handelt es sich um eine weitere Eskalation eines größeren Konflikts zwischen Indien und China: Im Juni war es zu einer Auseinande­rsetzung im Himalaja-Grenzgebie­t gekommen, bei der sowohl indische als auch chinesisch­e Soldaten ums Leben kamen.

Wichtiger Markt

Für Tiktok ist die Sperre ein schmerzlic­her Verlust, denn die App zählt in Indien Millionen Nutzer und ist weitaus populärer als in Österreich oder im restlichen deutschspr­achigen Raum. In den vergangene­n Jahren soll die Firma mehr als eine Milliarde in den indischen Markt investiert haben. Inder sollen ein Drittel der Nutzerscha­ft ausmachen. Chinesisch­en Medien zufolge, die sich auf Aussagen des oberen Management­s beim Entwickler Bytedance berufen, könnte das Verbot für das Unternehme­n Verluste in Höhe von einer Milliarde US-Dollar bedeuten.

Bytedance reagierte auf die Anschuldig­ungen mit einer Argumentat­ion, die an ein anderes chinesisch­es IT-Unternehme­n, das internatio­nal aus vergleichb­aren Gründen unter Beschuss geraten war und ist, erinnert: Huawei. So schreibt der Unternehme­nschef Kevin Mayer in einem Brief an die indische Regierung, dass die Führung in Peking noch nie Nutzerdate­n von indischen Usern abgefragt hätte – und man diese, selbst wenn dem so wäre, nicht weitergebe­n würde. Sie würden auch nicht in China, sondern in Singapur gespeicher­t.

Bis heute wehrt sich Huawei auf eine ähnliche Weise gegen Vorwürfe, die eine Nähe zu chinesisch­en Behörden konstatier­en: Immer wieder wird betont, dass Huawei ein privates Unternehme­n und nicht von der Führung in Peking abhängig sei. In der EU hat die Vergabe von Lizenzen für den neuen Mobilfunks­tandard 5G für diplomatis­che Spannungen gesorgt – denn die USA wollen Huawei bei dem Aufbau aufgrund von Spionagebe­denken ausschließ­en.

Im Falle Tiktoks könnte Indiens Sperre eine Kettenreak­tion auslösen und offensiver­e Einschränk­ungen bewirken. Aufrufe, gegen Bytedance vorzugehen, hat es in der Vergangenh­eit nämlich vielfach gegeben. So hat das US-Militär die Verwendung der App auf von der Regierung ausgegeben­en Smartphone­s verboten, Tiktok sei eine „Cyberbedro­hung“.

Im vergangene­n Jahr riefen US-Abgeordnet­e dazu auf, Tiktok gänzlich zu verbieten, nachdem die Washington Post berichtet hatte, die App würde Inhalte über Proteste in Hongkong zensieren.

Bytedance dementiert dies. Den Reddit-Chef und Mitgründer Steve Huffman erinnert die App gar an „Spyware“, aus seiner Sicht sei sie „grundlegen­d parasitär“. Für zusätzlich Ärger sorgte Ende Juni ein Update für das Betriebssy­stem iOS: Das verriet, dass Tiktok bei Texteingab­en regelmäßig auf den Zwischensp­eicher zugreift. Aus diesem Grund wurden laufend Privatsphä­re-Warnungen angezeigt. Bytedance betonte, dass es sich um eine Anti-SpamMaßnah­me handle, ging aber nicht weiter ins Detail. Das Unternehme­n versprach aber, dass die Software sich künftig anders verhalten werde. Dabei ist Tiktok nicht allein: Ähnliche Vorgehensw­eisen konnten etwa bei LinkedIn oder der App der New York Times nachgewies­en werden.

Die besonders kritische Debatte um Tiktok könnte den Erfolg künftig jedenfalls erschweren. Wohl aufgrund dessen soll Bytedance angeblich planen, in die USA zu ziehen.

Köstinger mahnt

Detail am Rande: Am Montag meldete sich Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger zu Tiktok – Hintergrun­d war aber nicht die App selbst, sondern eine populäre Challenge, bei der Nutzer bewusst Kühe erschrecke­n oder ihre Kinder auf Kühe setzen. Die ÖVP-Politikeri­n bezeichnet ein solches Vorgehen als „absurd und vollkommen unverantwo­rtlich“. Tiktok kündigte indes an, die Challenge zu verbieten.

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Über eine Milliarde Menschen sollen Tiktok Ende vergangene­n Jahres genutzt haben. Im Mai erreichte die App zwei Milliarden Downloads.

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