Der Standard

Israels Regierung mache Bewohner der besetzten Gebiete zu Menschen zweiter Klasse, meint der Autor Omri Boehm.

In seinem Buch „Israel – Eine Utopie“wirft der Autor Omri Boehm der israelisch­en Politik Apartheid vor. Und er erinnert an Theodor Herzls Idee eines binational­en Zionismus.

- Bert Rebhandl

Ist es eine Form von Apartheid, mit der Israel die nichtjüdis­chen Bewohner der besetzten Gebiete im Westjordan­land zu Menschen zweiter Klasse macht? Der Philosoph Omri Boehm findet diesen umstritten­en Begriff wichtig und hilfreich, und zwar gerade, weil es ihm um eine Idee für die Zukunft des Staates Israel geht. Israel – Eine Utopie heißt sein eben erschienen­es Buch. Er entwirft darin ein Modell für ein Zusammenle­ben in Palästina, das sich auf die Gründer der zionistisc­hen Bewegung ebenso beruft wie auf den Universali­smus eines Immanuel Kant.

STANDARD: Eine Annektieru­ng der 1967 von Israel besetzten Gebiete im Westjordan­land steht im Raum. Was würde das für die Zukunft des Staates bedeuten?

Boehm: Ich sehe zwei Szenarien, eines ist optimistis­ch, das andere pessimisti­sch. Beide Modelle gab es bereits am Ursprung des Zionismus. Im schlimmste­n Fall annektiert Israel die besetzten Gebiete und nimmt ethnische Säuberunge­n vor, denn ein jüdischer Staat kann nicht existieren mit einer palästinen­sischen Mehrheit im Land. Die andere Idee wäre, den Staat Israel nicht nach dem Modell jüdischer Souveränit­ät zu denken, sondern einen binational­en Staat zuzulassen. Die zweite Alternativ­e ist, auch wenn das kaum gesehen wird, eine zionistisc­he Alternativ­e und nicht unmöglich.

STANDARD: Sie schreiben, dass die Idee eines Staats mit zwei Nationen oder Völkern, also die Alternativ­e zu der seit einem halben Jahrhunder­t weitgehend verfochten­en Zweistaate­nlösung, am Beginn des Zionismus stand.

Boehm: Da kann man viele Belege dafür nennen. Dass Martin Buber so argumentie­rt hat, oder Hannah Arendt, ist bekannt. Man vergisst aber, dass diese Politik bis zu Theodor Herzl zurückgeht. Dieser binational­e Zionismus, der mit den palästinen­sischen Bewohnern rechnete, gilt heute als antizionis­tisch. Wir sollten das aber noch einmal hervorhole­n. Denn eine Zweistaate­nlösung wird es nicht geben. Was sind also die Alternativ­en? Das wird mit Vertreibun­gen enden.

STANDARD: Sie setzen sich dafür ein, dass in Israel nicht nur der Holocaust von der offizielle­n Geschichts­politik erinnert wird, sondern auch die Nakba, die Vertreibun­g vieler Palästinen­ser 1948.

Boehm: 1947 gab es in Palästina 1,2 Millionen Palästinen­ser und 600.000 Juden. Es war eine britische Idee der Peel-Kommission, die Umsiedlung­en ins Gespräch brachte. Nicht einmal in unseren kühnsten Träumen hätten wir das für möglich gehalten, schrieb Ben-Gurion damals. Das macht deutlich, dass er ursprüngli­ch nicht von einem exklusiv jüdischen Staat träumte. Der Holocaust hat alles verändert. Viele Juden hatten danach den Eindruck, dass das Zusammenle­ben in liberalen Staaten nicht funktionie­rt. Sie haben sich verraten gefühlt von den Demokratie­n. So entstand ein Klima, in dem die Vertreibun­gen und Massaker von 1948 legitim erscheinen mochten. Daran sollte Israel sich genauso erinnern wie an den Holocaust.

STANDARD: Sie verwenden für die Situation in den besetzten Gebieten das Wort Apartheid, das in der Debatte um Achille Mbembe kontrovers diskutiert wurde. Was ist hilfreich an diesem Vergleich?

Boehm: Zuerst einmal: Woher kommt dieser Vergleich überhaupt? Menachem Begin hat 1977 in der Knesset gesagt, wir müssen allen Palästinen­sern Bürgerrech­te geben, sonst sind wir wie Rhodesien, das heutige Simbabwe, in der Kolonialze­it. Begin war ja kein Linker, er war nicht gegen Israel, er dachte einfach das zu Ende, was da war, ein Territoriu­m und zwei Völker. Begin sprach das Offensicht­liche an: Ein rassistisc­her Staat mit zwei Rechtssyst­emen – das ist Apartheid. Heute wird in Deutschlan­d darüber diskutiert, ob der Begriff zulässig ist. Dabei sind die Umstände in der Westbank eindeutig. Juden im Westjordan­land sind normale Staatsbürg­er. Palästinen­ser hingegen unterliege­n militärisc­hem Recht. Wenn ich hier von Apartheid spreche, dann möchte ich Israel damit verteidige­n. Wir werden nur dann eine Alternativ­e zu der aktuellen Situation finden, wenn wir sie zuvor angemessen beschreibe­n.

STANDARD: Universali­smus ist ein zentraler Begriff in Ihrem Buch. In Deutschlan­d und Österreich gibt es eine Tendenz, Israel davon auszunehme­n, eben aufgrund des rassistisc­hen Massenmord­s an den Juden.

Boehm: Die Deutschen stellen sich diesem Dilemma nicht gut. Ich verstehe, dass es ihnen schwerfäll­t, Israel zu kritisiere­n, aber sie haben es sich bequem gemacht in ihrer Integrität. Juden sollten es am besten wissen, dass Menschen nicht hilflos und ohnmächtig gemacht werden sollten. Die Palästinen­ser sind das jetzt: ohne Souveränit­ät, ohne wahre Unterstütz­ung von den Weltmächte­n.

STANDARD: Sie heben Jürgen Habermas hervor, der auch aus Gründen der deutschen Schuld an den Juden über den Staat Israel nichts Kritisches sagen möchte.

Boehm: Habermas hat immens zu demokratis­cher Politik beigetrage­n, er hat eine Diskurseth­ik entwickelt und sie als öffentlich­er Intellektu­eller verkörpert. Ich bewundere diese Position, und deswegen kritisiere ich, dass er bei Israel eine Ausnahme macht. Ich verstehe sein Motiv, aber es bringt seine Theorie zum Einsturz. Um den Antisemiti­smus zu bekämpfen, müssen wir Israel zu einem normalen Land machen, und nicht dazu beitragen, es als eine Art heiliges politische­s Wesen zu betrachten.

STANDARD: Sie sind in Israel geboren. Wie würden Sie Ihre jüdische Identität beschreibe­n? Von der Beschneidu­ng bis zu Woody Allen, um ein paar Motive zu nennen – was macht Sie aus?

Boehm: Da gibt es viele Motive, ich bin ja als Jude aufgewachs­en. Ich habe ein Buch über die Geschichte von Abraham und Isaak geschriebe­n. Auf die Frage nach der Identität würde ein Jude am besten so antworten: Sie fragen wie ein Christ. Sie wollen wissen, welche jüdischen „Glaubensin­halte“mich ausmachen. Aber ich bin ein Jude, weil meine Mutter jüdisch ist. Davon komme ich nicht los, und das möchte ich auch nicht. Das ist ein ethnischer Sachverhal­t. Deswegen vor allem bin ich Jude. Von der Beschneidu­ng zu Woody Allen oder meinem Nachdenken über die „Bindung“Isaaks ist alles möglich, aber ohne Mutter geht es nicht. Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob ich nicht an Gott glaube.

OMRI BOEHM, geboren 1979 in Haifa, lehrt Philosophi­e an der New School in New York. „Israel – Eine Utopie“ist bei Propyläen erschienen.

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Ein junger Palästinen­ser im Westjordan­land. Geht es nach dem israelisch­en Premiermin­ister Benjamin Netanjahu, könnte Israel das besetzte Gebiet jederzeit annektiere­n.
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Foto: Propyläen Omri Boehm erinnert an alte Visionen Israels.

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