Der Standard

Sexy Sashimi und knallharte Kritik

Alexandra Birckens meterhohe Skulptur „Slip of the Tongue“auf dem Wiener Graben

- Katharina Rustler

Was ist denn das? Auf dem Wiener Graben scheint sich ein meterhohes Stück Fleisch auf einem Podest aufzuricht­en, ja sogar an der dahinterli­egenden Stange emporzukri­echen. Oder ist es doch ein enormes Stück Lachssashi­mi, das an ein Essstäbche­n gelehnt ist? Ein silbernes Piercing an der Spitze enttarnt das knallrote Etwas.

Mit ihrer Pop-Art-Skulptur Slip of the Tongue stellt die deutsche Künstlerin Alexandra Bircken eine Zunge als abgetrennt­es Körperteil auf ein Podest in die Innenstadt. Obwohl aus glänzendem Aluminium gegossen, wirkt die Oberfläche feucht, warm und weich zugleich. (Ja, man darf hier auch an Erotik denken.)

Wie wichtig die Zunge sei, zeige sich allein an den Aufgaben, die diese erfülle, erklärt Bircken: „Mit ihr schmecken, schlucken, lecken und sprechen wir.“Insbesonde­re das Sprechen ( und sich zu verspreche­n, Titel!) führte Bircken zu ihrer Idee, die ihr während des Impeachmen­t-Verfahrens gegen Donald Trump kam.

Dieser nutze seine Zunge, um Lügen zu verbreiten und Wahrheiten zu verdrehen. „Im Mittelalte­r wurde Menschen dafür die Zunge herausgesc­hnitten“, sagt die Künstlerin, die 2019 an der Venedig-Biennale teilnahm und in der Wiener Secession ausstellte.

Dabei gilt der menschlich­e Körper stets als ihr Leitmotiv. Diesen seziert sie und spiegelt daran aktuelle Diskurse – changieren­d zwischen Humor und Ernsthafti­gkeit. So reflektier­t das verspiegel­te Zungenpier­cing nicht nur die Passanten, sondern auch das Ambiente der luxuriösen Konsummeil­e. Ganz frech fragt die Zunge: „Was tut ihr denn da?“

Der Platz in der Innenstadt, der erst 2018 von Monica Bonvicini und letztes Jahr von Jessica Stockholde­r bespielt wurde, nimmt nun Birckens fleischige­n Beitrag temporär auf. Unweit historisch­er Denkmäler, Brunnen und der Pestsäule. Wie passend. Bis 5. 11.

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Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2020 Zwischen Ernst und Humor: die gepiercte Zunge als Spiegel.

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