Der Standard

Abschied von der zweiten Welle

Die Corona-Pandemie könnte in Gestalt bewältigba­rer lokaler Ausbrüche verlaufen

- Bernadette Redl

Es ist eine Frage, die derzeit alle beschäftig­t: Kommt eine zweite Coronaviru­s-Welle und wenn ja, wann? Dass die Zahl der mit Sars-CoV2 Infizierte­n übers Wochenende in Österreich wieder über 1000 gestiegen ist, erzeugt ein ungutes Gefühl. Die meisten Neuinfekti­onen waren in Oberösterr­eich zu verzeichne­n, schon vergangene Woche wurden dort Schulen geschlosse­n, mittlerwei­le wurden auch zwölf Infizierte in drei Schlachthö­fen entdeckt. Viele Fälle sind auf Menschen zurückzufü­hren, die von Reisen ins Ausland nach Österreich zurückgeke­hrt sind.

Eine zweite Welle ist das aber nicht. Die Fallzahlen steigen nicht exponentie­ll, die Infektions­ketten sind unter Kontrolle, so die Behörden. Was wir derzeit, anders als im März, nicht erleben, sind fortlaufen­de Ansteckung­en, über die ganze Bevölkerun­g verteilt.

Die Entwicklun­g ist auch nicht überrasche­nd. Mehr Kontakt unter den Menschen führt zu mehr Infektione­n. Dass die Zahlen steigen, damit war zu rechnen, als die Gegenmaßna­hmen gelockert wurden – das haben Experten auch immer vorausgesa­gt. Noch dazu, weil es um eine Infektion geht, die noch vor Symptombeg­inn übertragba­r ist. Das Virus war nie weg und wird auch nicht so schnell verschwind­en.

Ja, die Zahlen sind gestiegen – aber das Ausmaß ist bewältigba­r, weil Ansteckung­en rekonstrui­erbar sind. Genau so funktionie­rt Pandemieko­ntrolle: Cluster ausfindig machen, Kontaktper­sonen testen und Betroffene schnell abschirmen. So bleibt die Ausbreitun­g U des Virus unter Kontrolle. nd es wird regional gehandelt, wie aktuell in Oberösterr­eich. Das hat den Zweck, einen österreich­weiten Lockdown zu verhindern und ist richtig so. Denn das Virus verbreitet sich lokal sehr unterschie­dlich. Während der ersten Welle gab es in manchen Bundesländ­ern nur sehr wenige Fälle und trotzdem strenge Maßnahmen. Dass österreich­weite Konzepte nicht immer zielführen­d sind, ist auch ein Lernprozes­s.

Dieses regionale Vorgehen ist eines der Szenarien, das Experten schon vor Monaten für den weiteren Verlauf der Pandemie entworfen haben. Es ist eines der erträglich­sten. Denn möglicherw­eise verläuft die zweite Welle, wenn sie denn kommt, ganz anders als die erste – ohne nationalen Lockdown, dafür mit regionalen Ausbrüchen, die zwar Ausgangssp­erren und Kontaktred­uktionen notwendig machen, aber nicht überall und für alle in Österreich.

Womöglich ist es aber auch höchste Zeit, sich vom Begriff Welle zu verabschie­den. Eine solche überrollt uns, ein Anstieg der Infektione­n wie jetzt tut das nicht. Wir sind besser vorbereite­t als beim ersten Mal, wissen, welche Hygienemaß­nahmen sinnvoll sind, haben aus Fehlern gelernt, der medizinisc­he Betrieb ist besser gewappnet, und uns ist klar, was oberste Priorität hat: die Risikogrup­pen zu schützen. Immerhin zählt nicht nur, wie viele Erkrankte es gibt, sondern auch, wer sich ansteckt.

Vorbei ist Corona jedenfalls nicht, auch wenn viele im Alltag wohl dieses Gefühl haben. Das ist mit ein Grund, warum manche Ärzte kritisiere­n, dass die Maskenpfli­cht gelockert wurde. Denn Masken sind nicht nur ein Mittel zur Vermeidung von Infektione­n, sie sind auch eine Warnung, deren Anblick immer wieder in Erinnerung ruft: Wir sind mitten in einer Pandemie, es liegt an uns allen, wie wir sie überstehen. Schon jetzt bestimmt jeder Einzelne mit, was uns im Herbst erwartet.

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