Zum Tod von Ennio Morricone
Mit Filmmusiken für Westernklassiker wie „Spiel mir das Lied vom Tod“wurde er berühmt. Der große kleine Mann aus Rom sah sich allerdings eigentlich als „seriöser“Künstler. Zum Tod eines Jahrhundertkomponisten.
Dass Ennio Morricone langsame, pathetische Szenen in Italowestern der 1960erJahre derart aufzuladen verstand, dass aus einer eigentlich bescheidenen Filmhandlung nicht nur großes Kino, sondern auch große psychologisierende Oper entstand, verdankte sich einem Kompromiss, den er aus finanziellen Gründen einging.
Der am 10. November 1928 im römischen Stadtteil Trastevere geborene zierliche Mann mit dem energischen Impetus hatte eigentlich klassische Komposition, Trompete und Chormusik studiert, sich aber nebenher als Jazztrompeter verdingt, um Frau und Kinder zu ernähren. Damit folgte er den Fußstapfen seines Vaters, eines Trompeters in römischen Unterhaltungsorchestern.
Ab den 1950er-Jahren arbeitete Morricone als Ghostwriter oder unter Pseudonymen wie Dan Savio oder Leo Nichols für Theater und Film. Er schrieb auch anspruchsvollere Schlager, etwa für Rita Pavone, Paul Anka – später in den 1970er-Jahren auch für Mireille Mathieu, Demis Roussos oder Milva. Von den 1960er-Jahren an war Morricone parallel – und wohl auch zur Befriedigung seiner „seriösen“Ansprüche an Musik – entscheidendes Mitglied des Improvisations- und Avantgarde-Ensembles Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza, kurz „Il Grupo“genannt.
Weltruhm mit Sergio Leone
1964 erlangte Ennio Morricone allerdings ersten Weltruhm für seinen Soundtrack zu Für eine
Handvoll Dollar mit Clint Eastwood. Regie führte Sergio Leone, sein alter Freund und Klassenkamerad aus Kindheitstagen. Gemeinsam zeichnete das Duo für die Revolutionierung des damals müde gewordenen Westerngenres verantwortlich.
Gemeinhin wird die italienische Variante als „Spaghettiwestern“abgetan. Die realistische wie pessimistische Sicht auf das alte US-Heldengenre mit ihren langen Close-ups und Breitwand-Kamerafahrten über zerfurchte, zerstörte Gesichter und karge, leblose Landschaften erfuhr durch die Musik Morricones eine unglaubliche zusätzliche Kraft.
Endlos gezogene Trompetentöne aus dem mexikanischen Fach, eine klagende Mundharmonika, schneidende Gitarren, kommentierende Chöre wie aus griechischen Tragödien, dazwischen zu Herzen gehende Kitsch-Arien lautmalerisch singender Sopranistinnen, Pistolen- und Peitschengeknalle: All das verdichtete sich zu heute längst kanonisierten und oft mehr schlecht als recht kopierten Blutopern hoch zu Pferde.
Später sollte sich Ennio Morricone, der im künstlerischen wie privaten Umgang gewöhnlich als mindestens mürrisch beschrieben wird, darüber beklagen, auf diese Arbeiten reduziert zu werden. Von gut 600 Kompositionen in seinem Leben würden schließlich nur höchstens fünf Prozent dieser Ecke zugeordnet werden können.
Zwei glorreiche Halunken (1966) mit der Titelmelodie The Ecstasy of Gold, die Mundharmonika aus Spiel mir das Lied vom
Tod (1968), sie dürften allerdings selbst kinofremden Personen bekannt sein. Sie zählen heute zur DNA der populären Musik.
Oscar für das Lebenswerk
Morricone arbeitete fortan mit Filmemachern wie Bernardo Bertolucci, etwa für 1900, oder für den Horrormeister Dario Argento. Für Pier Paolo Pasolini fertigte er
die Soundtracks zu Teorema oder Die letzten 120 Tage von Sodom.
Die Musik für den Politfilm Sacco
und Vanzetti und das von Joan Baez gesungene Lied Here’s to You von 1971 sind ebenso Klassiker, wie sich Vielschreiber Morricone auch mit Kammermusik, Kantaten und Chorwerken verdient machte.
Dazwischen immer wieder das leichte Fach: Mein Name ist Nobo
dy mit Terence Hill, der Komödiendauerbrenner Ein Käfig voller Narren, Eine Faust geht nach Westen mit Bud Spencer. Berühmt auch Morricones Melodie Chi Mai aus dem Jean-Paul-Belmondo-Ve
hikel Der Profi von 1981. In Hollywood arbeitete Morricone etwa für
Es war einmal in Amerika (mit dem Stück Deborah’s Theme), The
Thing oder The Untouchables.
Dass er 1987 trotz Nominierung für Mission mit Robert De Niro nicht den Filmmusik-Oscar erhielt, wurmte ihn so sehr, dass Teile des Soundtracks fortan seine Konzertprogramme bestimmten. Hier galt es historische Gerechtigkeit herzustellen.
Vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten war Morricone immer wieder auch mit hundertköpfigen Orchestern auf Tournee. Bei denen hörte man neben seinen „größten Hits“auch ihm wichtige unbekanntere Werke.
Noch im Vorjahr absolvierte der 90-Jährige, der 2007 doch noch einen Oscar für sein Lebenswerk und 2016 einen für den Score von Quentin Tarantinos The Hateful
Eight erhielt, eine Gastspielreise. Jetzt ist Ennio Morricone im Alter von 91 Jahren nach einem Sturz in einer Klinik in Rom gestorben. Er hinterlässt ein Jahrhundertwerk.