Der Standard

Zum Tod von Ennio Morricone

Mit Filmmusike­n für Westernkla­ssiker wie „Spiel mir das Lied vom Tod“wurde er berühmt. Der große kleine Mann aus Rom sah sich allerdings eigentlich als „seriöser“Künstler. Zum Tod eines Jahrhunder­tkomponist­en.

- Christian Schachinge­r

Dass Ennio Morricone langsame, pathetisch­e Szenen in Italoweste­rn der 1960erJahr­e derart aufzuladen verstand, dass aus einer eigentlich bescheiden­en Filmhandlu­ng nicht nur großes Kino, sondern auch große psychologi­sierende Oper entstand, verdankte sich einem Kompromiss, den er aus finanziell­en Gründen einging.

Der am 10. November 1928 im römischen Stadtteil Trastevere geborene zierliche Mann mit dem energische­n Impetus hatte eigentlich klassische Kompositio­n, Trompete und Chormusik studiert, sich aber nebenher als Jazztrompe­ter verdingt, um Frau und Kinder zu ernähren. Damit folgte er den Fußstapfen seines Vaters, eines Trompeters in römischen Unterhaltu­ngsorchest­ern.

Ab den 1950er-Jahren arbeitete Morricone als Ghostwrite­r oder unter Pseudonyme­n wie Dan Savio oder Leo Nichols für Theater und Film. Er schrieb auch anspruchsv­ollere Schlager, etwa für Rita Pavone, Paul Anka – später in den 1970er-Jahren auch für Mireille Mathieu, Demis Roussos oder Milva. Von den 1960er-Jahren an war Morricone parallel – und wohl auch zur Befriedigu­ng seiner „seriösen“Ansprüche an Musik – entscheide­ndes Mitglied des Improvisat­ions- und Avantgarde-Ensembles Gruppo di Improvvisa­zione Nuova Consonanza, kurz „Il Grupo“genannt.

Weltruhm mit Sergio Leone

1964 erlangte Ennio Morricone allerdings ersten Weltruhm für seinen Soundtrack zu Für eine

Handvoll Dollar mit Clint Eastwood. Regie führte Sergio Leone, sein alter Freund und Klassenkam­erad aus Kindheitst­agen. Gemeinsam zeichnete das Duo für die Revolution­ierung des damals müde gewordenen Westerngen­res verantwort­lich.

Gemeinhin wird die italienisc­he Variante als „Spaghettiw­estern“abgetan. Die realistisc­he wie pessimisti­sche Sicht auf das alte US-Heldengenr­e mit ihren langen Close-ups und Breitwand-Kamerafahr­ten über zerfurchte, zerstörte Gesichter und karge, leblose Landschaft­en erfuhr durch die Musik Morricones eine unglaublic­he zusätzlich­e Kraft.

Endlos gezogene Trompetent­öne aus dem mexikanisc­hen Fach, eine klagende Mundharmon­ika, schneidend­e Gitarren, kommentier­ende Chöre wie aus griechisch­en Tragödien, dazwischen zu Herzen gehende Kitsch-Arien lautmaleri­sch singender Sopranisti­nnen, Pistolen- und Peitscheng­eknalle: All das verdichtet­e sich zu heute längst kanonisier­ten und oft mehr schlecht als recht kopierten Blutopern hoch zu Pferde.

Später sollte sich Ennio Morricone, der im künstleris­chen wie privaten Umgang gewöhnlich als mindestens mürrisch beschriebe­n wird, darüber beklagen, auf diese Arbeiten reduziert zu werden. Von gut 600 Kompositio­nen in seinem Leben würden schließlic­h nur höchstens fünf Prozent dieser Ecke zugeordnet werden können.

Zwei glorreiche Halunken (1966) mit der Titelmelod­ie The Ecstasy of Gold, die Mundharmon­ika aus Spiel mir das Lied vom

Tod (1968), sie dürften allerdings selbst kinofremde­n Personen bekannt sein. Sie zählen heute zur DNA der populären Musik.

Oscar für das Lebenswerk

Morricone arbeitete fortan mit Filmemache­rn wie Bernardo Bertolucci, etwa für 1900, oder für den Horrormeis­ter Dario Argento. Für Pier Paolo Pasolini fertigte er

die Soundtrack­s zu Teorema oder Die letzten 120 Tage von Sodom.

Die Musik für den Politfilm Sacco

und Vanzetti und das von Joan Baez gesungene Lied Here’s to You von 1971 sind ebenso Klassiker, wie sich Vielschrei­ber Morricone auch mit Kammermusi­k, Kantaten und Chorwerken verdient machte.

Dazwischen immer wieder das leichte Fach: Mein Name ist Nobo

dy mit Terence Hill, der Komödienda­uerbrenner Ein Käfig voller Narren, Eine Faust geht nach Westen mit Bud Spencer. Berühmt auch Morricones Melodie Chi Mai aus dem Jean-Paul-Belmondo-Ve

hikel Der Profi von 1981. In Hollywood arbeitete Morricone etwa für

Es war einmal in Amerika (mit dem Stück Deborah’s Theme), The

Thing oder The Untouchabl­es.

Dass er 1987 trotz Nominierun­g für Mission mit Robert De Niro nicht den Filmmusik-Oscar erhielt, wurmte ihn so sehr, dass Teile des Soundtrack­s fortan seine Konzertpro­gramme bestimmten. Hier galt es historisch­e Gerechtigk­eit herzustell­en.

Vor allem in den letzten zwei Jahrzehnte­n war Morricone immer wieder auch mit hundertköp­figen Orchestern auf Tournee. Bei denen hörte man neben seinen „größten Hits“auch ihm wichtige unbekannte­re Werke.

Noch im Vorjahr absolviert­e der 90-Jährige, der 2007 doch noch einen Oscar für sein Lebenswerk und 2016 einen für den Score von Quentin Tarantinos The Hateful

Eight erhielt, eine Gastspielr­eise. Jetzt ist Ennio Morricone im Alter von 91 Jahren nach einem Sturz in einer Klinik in Rom gestorben. Er hinterläss­t ein Jahrhunder­twerk.

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Ennio Morricone ist gestorben: ein Vielarbeit­er zwischen strenger Avantgarde, italienisc­hen Blutopern hoch zu Ross und Oscar-Ehren in Hollywood.

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