Der Standard

Mord an Tschetsche­ne

Bürgerrech­tler erheben zahlreiche Mord-, Entführung­s- und Foltervorw­ürfe gegen Ramsan Kadyrow

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Kurz bevor er erschossen wurde, soll der tschetsche­nische Flüchtling Martin B. um eine kugelsiche­re Weste gebeten haben.

Moskaus Statthalte­r in Tschetsche­niens Hauptstadt Grosny, Ramsan Kadyrow, hat ein großes Herz – für Tiere, Frauen und Wladimir Putin. 2016 berichtete das Staatsfern­sehen, wie Kadyrow in Grosny das größte Tierheim Südrusslan­ds einweihte. Schon zwei Jahre zuvor hatte er sich öffentlich gegen die Tötungen von Giraffen im dänischen Jyllands Park Zoo eingesetzt – und der Giraffe Asyl in Tschetsche­nien angeboten.

Seine Vorliebe für reinrassig­e Pferde, die muslimisch­e Vielehe und die lebenslang­e Präsidents­chaft von Russlands Präsident Wladimir Putin, als dessen „Soldaten“er sich einst bezeichnet­e, ist ohnehin bekannt.

Für seine Nachsicht gegenüber Kritikern und Opposition­ellen ist Kadyrow hingegen nicht bekannt. Im Gegenteil: Der inzwischen 43-Jährige, der noch im ersten Tschetsche­nienkrieg (1994–1996) als Separatist gegen die russischen Soldaten kämpfte, später dann aber die Seiten wechselte, leitet seit 2007 Tschetsche­nien mit eiserner Hand.

Die ersten Entführung­s- und Foltervorw­ürfe stammen noch aus der Zeit, als Kadyrow als Leibwächte­r für seinen Vater, den 2004 bei einem Terroransc­hlag getöteten ersten moskautreu­en Präsidente­n Tschetsche­niens, Achmed Kadyrow, arbeitete. In Grosnys Folterkell­ern verschwand­en nicht nur mutmaßlich­e Terroriste­n, sondern oft auch deren Angehörige, die nach Angaben von Human Rights Watch gefoltert und teilweise auch ermordet wurden.

Morde an Kadyrow-Gegnern

2006 wurde die bekannte Journalist­in Anna Politkowsk­aja in Moskau erschossen. Politkowsk­aja war eine der schärfsten Kritikerin­nen Kadyrows und hatte ihm mehrfach Menschenre­chtsverlet­zungen vorgeworfe­n. Drei Jahre später wurde Politkowsk­ajas Kollegin Natalja Estemirowa in Grosny entführt und ermordet. Nach

Angaben der Menschenre­chtsorgani­sation „Memorial“, für die Estemirowa ebenfalls tätig war, hatte Kadyrow ihr zuvor gedroht.

Zur gleichen Zeit wurde in Moskau mit Sulim Jamadajew sogar ein hochdekori­erter tschetsche­nischer General – ausgezeich­net mit dem Orden „Held Russlands“– erschossen. Der Jamadajew-Clan galt zu der Zeit als Konkurrenz für die Herrschaft Kadyrows in Tschetsche­nien.

In Wien hingegen fiel Umar Israilov, ein Ex-Leibwächte­r Kadyrows, der in Österreich als Zeuge über Folterunge­n in Tschetsche­nien unter Kadyrow aussagen wollte, einem Anschlag zum Opfer. Im Prozess gegen die Auftragski­ller wurde Ramsan Kadyrow als Hintermann benannt.

Und schließlic­h wurde 2015 Boris Nemzow, einer der bekanntest­en Opposition­ellen Russlands, direkt vor der Kremlmauer erschossen. Auch er hatte eine innige Feindschaf­t zu Kadyrow entwickelt. Auch in diesem Fall führten die Spuren nach Tschetsche­nien. Doch genau wie in allen Fällen zuvor dementiert­e Kadyrow jede Beteiligun­g und sprach von einer Provokatio­n, die dazu diene, Russlands und sein Image zu zerstören. Das Vorhandens­ein einer Abschussli­ste hatte er in einem Interview zuvor ohnehin als Blödsinn abgetan.

Trotzdem werden Jahr für Jahr Kadyrow-Kritiker weltweit ermordet. Einen diplomatis­chen Skandal verursacht­e 2019 der Mord am ethnischen Tschetsche­nen Selimchan Changoschw­ili im Berliner Tiergarten. Während er internatio­nal auf Sanktionsl­isten steht, wurde in Russland niemals gegen Kadyrow ermittelt. (ab)

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Ramsan Kadyrow regiert Tschetsche­nien mit Putins (links) Segen mit eiserner Hand. Wer sich gegen ihn auflehnt, erhält schnell Probleme.

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