Der Standard

Corona trifft den Nerv der Fleischind­ustrie

Covid-19 macht vor der Fleischbra­nche in Österreich nicht halt. Die Infektions­ketten lassen sich eingrenzen. Im Schatten von Corona feilscht die Gewerkscha­ft um die Löhne der Arbeiter. Sie will mehr Einblick in die Betriebe.

- Verena Kainrath

Zwei Wochen lang zählte Österreich­s Fleischbra­nche zu den Helden der Corona-Krise. Die Hamsterkäu­fe der Konsumente­n nährten Ängste, dass es in der Lebensmitt­elversorgu­ng zu ernsten Engpässen kommt. Schlächter und Verarbeite­r arbeiteten folglich fast rund um die Uhr. Mitarbeite­r aus den Nachbarlän­dern hielten ihnen trotz geschlosse­ner Grenzen die Stange. Mittlerwei­le sehen sich die Betriebe weniger in der Rolle der Systemerha­lter als in jener der schwarzen Schafe.

Masseninfe­ktionen mit Covid19 beim deutschen Großschlac­hter Tönnies rückten Arbeitsbed­ingungen ins Licht, bei denen Ausbeutung von Mensch und Tier seit Jahren System hat. Österreich distanzier­te sich von den Missstände­n in Deutschlan­d. Doch Corona macht auch vor Betrieben hierzuland­e nicht halt – wenngleich die Welle an Infektione­n in keiner Relation zum Hotspot Tönnies steht, wo tausende Beschäftig­te in Quarantäne mussten und der Konzern kurzfristi­g stillgeleg­t wurde.

Bis Montagaben­d waren zwölf Fälle von Infektione­n bei in Summe vier Fleischver­arbeitern und

Schlachthö­fen bekannt. Sie alle spielen sich in Oberösterr­eich ab.

Drei Mitarbeite­r sind bei Großfurtne­r in Utzenaich betroffen, ein Schlächter mit 600 Jobs. Sie arbeiten in der Etikettier­ung. Großfurtne­r zählte zu den Ersten der Branche, die sich im Zuge eines Screenings der Behörden freiwillig den Tests unterzogen. Zwei Mitarbeite­r erwischte es in Braunau beim Geflügelko­nzern Hubers Landhendl mit seinen 800 Beschäftig­ten. Sie waren im Büro tätig. Fünf Infektions­fälle gibt es beim Fleischpro­duzenten Tann in Marchtrenk, einer Tochter der Handelsket­te Spar.

Eine Mitarbeite­rin soll sich im privaten Umfeld angesteckt haben – Tests ergaben daraufhin vier weitere positive Fälle bei Kollegen. Sie alle sind in häuslicher Quarantäne. Die betroffene­n Betriebe veranlasst­en weitere Tests, die bisher negativ verliefen. Drei Fälle von Infektione­n gibt es bei Landhof in Linz, die über Leiharbeit­er in das Werk hineingetr­agen wurden.

Die Behörden sehen von Produktion­sschließun­gen ab: Die Infektions­ketten seien klar nachvollzi­ehbar, transparen­t und eingrenzba­r. Die positiven Tests seien zudem das Ergebnis des umfangreic­hen Screenings im Vorfeld, das nun in kritischen Bereichen weiter ausgeweite­t wird und die unkontroll­ierte Ausbreitun­g von Corona einbremsen soll. Unter dem Strich liegt die Zahl der aktiv an Covid-19 erkrankten Menschen in Österreich erstmals seit dem 19. Mai wieder über 1000.

Bei vielen Fleischbet­rieben flattern jedenfalls die Nerven. Telefone mit Geschäftsp­artnern laufen heiß. Immer wieder werden Vergleiche mit der Krise in Deutschlan­d gezogen. Doch diese hinken, ist sich die Industrie einig.

„Keine Frage der Branche“

Warum sollten Fleischver­arbeiter von Corona ausgespart bleiben – Infektione­n sind keine Frage der Branchenzu­gehörigkei­t, sagt Norbert Marcher, Chef der gleichnami­gen größten Schlachtha­usgruppe Österreich­s. Er selber habe bisher 60 zusätzlich­e Kontrollst­ufen installier­t. Sie reichen von Fiebermess­en beim Eintritt in die Firma bis hin zu Maskenpfli­cht auch in der Verwaltung. Marcher selbst betreibt acht Standorte, der Verarbeite­r Landhof zählt dazu. Auch

Karl Schmiedbau­er, Vorsteher in der Fleischwar­enindustri­e und Wiesbauer-Chef, wie der Bundesinnu­ngsmeister Rudolf Menzel schließen deutsche Zustände aus. Schlachthö­fe wie die Salzburger Alpenrind kündigen noch für diese Woche präventive Mitarbeite­rtests in Kooperatio­n mit der Ages an. Für den Gewerkscha­fter Erwin Kinslechne­r war es hingegen nur eine Frage der Zeit, bis das Virus Österreich­s Fleischbra­nche erfasst. Auch wenn hier die Verantwort­ung für die Arbeiter nicht an intranspar­ente Subfirmen ausgelager­t werde: Das Arbeitsumf­eld in der Produktion mit seinen niedrigen Temperatur­en und der körperlich nahen Arbeit am Zerlegeban­d biete Viren gute Nährböden, resümiert er. „Schließlic­h ist es in den Fabriken ganzjährig Winter.“

Kommenden Freitag treffen Arbeitgebe­r und -nehmer im Schatten der Krise auf einander. Es wird um die neuen Löhne für die 12.000 Arbeiter in der Fleischbra­nche gefeilscht. Nicht eingerechn­et sind darin die zahlreiche­n Leiharbeit­er des Gewerbes und der Industrie. Sie machen bei einzelnen Firmen bis zu 90 Prozent der Belegschaf­t aus, auch abseits von Spitzenzei­ten bei der Auftragsau­slastung, erläutert Kinslechne­r.

Er fordert heuer erstmals einen zusätzlich­en Kollektivv­ertrag, der mehr Licht in die Betriebe bringen soll. Nur wenige haben Betriebsrä­te, der Zugang für Gewerkscha­fter ist vielfach versperrt. Geht es nach den Arbeitnehm­ern, so soll sich das künftig ändern. Sie wollen über eine neue Regelung Einblick in alle Produktion­en wie in Unterkünft­e der Mitarbeite­r erhalten, die den zahlreiche­n Wochenpend­lern vielfach von den Firmen selbst gestellt werden. Zudem sollen die Löhne um zwei Prozent erhöht werden. „Wir brauchen hier endlich Nachhaltig­keit.“

Schmiedbau­er winkt ab. Richtlatte sei die Inflations­rate. „Schauen Sie sich unsere kleinen Renditen an. Wir haben keinen finanziell­en Spielraum, der Lebensmitt­elhandel ist ein brutaler Preisverha­ndler, und der Markt ist gebeutelt.“

Der Gewerkscha­ft die Pforten in die Werke öffnen will man nicht. Kontrolle und Überwachun­g gäbe es schon genug, so der Tenor. Das gehöre den zuständige­n Behörden überlassen.

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