Der Standard

Die Rückkehr der grünen Wildnis im Thayatal

Im Nationalpa­rk Thayatal wird Wald in seinen Urzustand rückverwan­delt. Ein dort angesiedel­tes Forschungs­projekt könnte zur Rettung der heimischen Baumbestän­de beitragen.

- Klaus Taschwer

Was als harmloser, breiter Forstweg benannt ist, verwandelt sich nach und nach in einen immer schmäleren Pfad. Der Wald verändert sich, und das Gestrüpp wird dichter, bald steigen wir über die ersten umgefallen­en Bäume, und die letzten sichtbaren Reste des Wegs sind verschwund­en. In wenigen Jahren hat sich die Natur in eine ziemlich unwegsame grüne Hölle verwandelt, in der es an diesem heißen Sommertag angenehm kühl ist.

Der kleine Trupp stapft immer tiefer hinein in den Laubwald hinter dem Nationalpa­rkhaus Thayatal, begleitet von einem Trio fachkundig­er Experten. Denn ohne diese wäre eine solche Begehung der Kernzone des Nationalpa­rks Thayatals abseits der markierten Wege erstens nicht gestattet und zweitens auch nicht ratsam. Vor allem helfen Nationalpa­rkdirektor Christian Übl und sein Team den faunistisc­hen Greenhorns dabei, in der verwirrend­en Wildnis zu lesen und das grüne Chaos ringsum ein bisschen besser zu verstehen.

Natur Natur sein lassen

„Die Kernidee des Nationalpa­rks besteht darin, die Natur Natur sein zu lassen“, sagt Übl. „Hier ist zu sehen, was passiert, wenn der Mensch nicht mehr eingreift.“Obwohl es erst rund 20 Jahre her ist, dass diese Renaturier­ung begann, sind die ersten Zwischener­gebnisse für das Auge des Laien schon ziemlich beeindruck­end: Es liegt bereits jede Menge Totholz herum, bewachsen von Pilzen wie dem Ästigen Stachelbar­t, der als Indikator für einen naturbelas­senen Wald gilt.

Genau das waren die Wälder entlang der dahinmäand­rierenden Thaya an der heutigen Grenze zu Tschechien lange nicht. Die Baumbestän­de wurden in dieser Region, die auf der österreich­ischen Seite teils zum Waldvierte­l, teils zum Weinvierte­l gehört, seit dem Mittelalte­r intensiv genutzt, wie Thomas Wrbka erklärt, Botaniker und Biodiversi­tätsforsch­er an der Universitä­t Wien, der seit vielen Jahren die Flora des Nationalpa­rks untersucht.

Diese weist etliche Besonderhe­iten auf, vor allem aber eine extreme Diversität: „Fast die Hälfte aller Gefäßpflan­zen Österreich­s leben auf diesen etwas mehr als 13 Quadratkil­ometern des Nationalpa­rks“, sagt Wrbka. „Das liegt vor allem daran, dass wir uns an der Grenze zwischen dem raueren Hochfläche­nklima im Waldvierte­l und dem kontinenta­l beeinfluss­ten pannonisch­en Klima im Weinvierte­l befinden.“Dazu komme ein geologisch abwechslun­gsreicher Untergrund aus Graniten, Gneisen sowie Marmor und Kalksilika­ten, die etwa für viele Orchideena­rten wichtig sind.

Dass die Gegend seit langem besiedelt ist und eigentlich jahrhunder­telang Kulturland­schaft war, davon zeugen alte Burgen wie die Burgruine Kaja oder die Burg Hardegg, die auf das 12. Jahrhunder­t zurückgehe­n. Und noch im Zweiten Weltkrieg wurden Bäume des Thayatals zur Biospritpr­oduktion für Panzer abgeholzt. Doch parallel zum Eisernen Vorhang entstand in den Jahrzehnte­n danach auch ein grünes Band entlang der Systemgren­zen, die Europa bis 1989 teilten.

Auf dieser „Vorleistun­g“konnte auch der Nationalpa­rk Thayatal aufbauen und mehr noch sein größerer und älterer Bruder jenseits der Grenze. In der heutigen Tschechisc­hen Republik begann man früher mit der Umwandlung in den heutigen Národní park Podyjí, was auf Deutsch ebenfalls „Nationalpa­rk Thayatal“heißt.

Wälder ganz ohne Fichten

„In Tschechien ging man bei der Umwandlung der Wälder allerdings etwas anders vor als in Österreich“, so Christian Übl. Während man dort nach forstwirts­chaftliche­n Plänen agierte und aktiv einen Wald schuf, dessen Baumzusamm­ensetzung möglichst dem Klima und der Landschaft angepasst ist, beschränkt­e man sich auf der österreich­ischen Seite vor allem darauf, die Fichten zu entfernen. Die nahmen rund ein Drittel der Waldfläche ein und wurden forstwirts­chaftlich genutzt, erklärt der Nationalpa­rkförster Arno Triebelnig, der dritte Fachmann im Bunde.

Jene Stellen, wo bis zur Jahrtausen­dwende Fichten wuchsen, wären aufgrund des Klimawande­ls und der Trockenhei­t heute zum Teil Kahlfläche­n, vermutet Triebelnig. Heute hingegen geht man an diesen Stellen durch die grüne Wildnis junger und saftiger Laubwälder, während in anderen Teilen des Nationalpa­rks Bäume alt werden und umfallen dürfen, um so zu Nistplätze­n und zum Rückzugsor­t für seltene Tierarten zu werden – vom Hirschkäfe­r bis zum Mittelspec­ht. Nach ein paar Hundert Metern quer durch die Waldwildni­s halten die drei Experten an einer luftig mit Eichen durchsetzt­en Wiese, die steil zur Thaya hin abfällt und einen grandiosen Ausblick auf die bewaldeten Hübel der Umgebung bietet. An diesem der Sonne ausgesetzt­en Südhang ist es gleich viel wärmer und trockener – und genau das ist auch der Grund, warum hier haltgemach­t wird. Die eine oder andere Traubeneic­he, die hier steht, ist nämlich Teil eines wissenscha­ftlichen Projekts namens „Terz“, das einen wichtigen Beitrag zur Zukunft der Wälder nicht nur in Österreich leisten könnte.

„Terz“ist ein Akronym für Thayatal, Eiche, Ressource und Zukunft, und wie das zusammenge­ht, ist leicht erklärt: Experten des Bundesfors­chungszent­rums für Wald (BFW) und des Instituts für Holztechno­logie der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) haben herausgefu­nden, dass die Traubeneic­he besonders gut an heiße und trockene Umweltbedi­ngungen angepasst ist. Nun ermitteln die Forscher aus 400 ausgewählt­en Bäumen aufgrund von Bohrkernan­alysen jene 100 Exemplare, die besonders gut mit der Trockenhei­t zurechtkom­men.

Die Eicheln jener 100 Eichen, die besonders resilient sind, sollen im heurigen Herbst gesammelt, in Pflanzgärt­en gezogen und für die Forstwirts­chaft nutzbar gemacht werden. In drei bis vier Jahren sollen die klimageeic­hten Jungbäume dann bereit sein für den Einsatz auf forstwirts­chaftlich genutzten Flächen – als „klimafitte­r Eichenbest­and“, so Christian Übl, der nur bedingt Verständni­s für die Klagen der Forstwirts­chaft über existenzbe­drohende Trockenhei­t und Borkenkäfe­r hat. „Die Wurzel dieses Problems ist nicht der Klimawande­l, sondern die Fichte.“

Aus dem Nationalpa­rk Thayatal ist sie längst verschwund­en.

Die Exkursion erfolgte auf Einladung von Nationalpa­rks Austria.

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Grün in allen Schattieru­ngen bis zum Horizont: In den Wäldern entlang der Thaya suchen Forscher nach Bäumen, die dem Klimawande­l trotzen können.
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Nein, das ist keine Hauskatze beim Waldausflu­g, sondern eine echte Wildkatze. Die scheuen Tiere galten lange als ausgestorb­en, ehe sie im Thayatal wieder gesichtet werden konnten.

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