Der Standard

Wo die Wiener Jugend jetzt chillt

Die bronzene Kaiserin thront in der Mitte, rundherum buntes Jungvolk: Der Flecken zwischen dem Kunst- und dem Naturhisto­rischen Museum inklusive Museumsqua­rtier und Burggarten ist fest in der Hand von Wiener Teenagern.

- EXPEDITION­SBERICHT: Gini Brenner

Beim Haupttor rein, gleich links und dann ganz nach hinten. Da sind wir dann.“Die Angaben der 14-jährigen Tochter sind kurz, aber eindeutig – also wage ich mich ins Geschehen. Es ist ein Ausflug ins Ungewisse: dorthin, wo die Teenies regieren. Einen kurzen Moment lang darf ich teilhaben, als Gast, und ohne Anspruch auf Objektivit­ät, von keiner Seite. Nirgendwo sonst fühlt man sich als Erwachsene so fehl am Platz – und trotzdem so bestärkt darin, dass die Zukunft besser werden kann.

Teenager erobern sich die Welt, und sie erobern sich ihre Reviere. Sie sind soziale Wesen, die sich am besten im gegenseiti­gen Austausch weiterentw­ickeln, und sie sind ungemein kreativ dabei, Örtlichkei­ten zu finden, die die nötige Freiheit dafür gestatten. In der Stadt ist das eher öffentlich­er Raum, Konsumzwan­g verträgt sich nicht mit dem Teenie-Budget. Einer dieser Treffpunkt­e in Wien ist die Gegend von Museumsqua­rtier bis Burggarten, dazwischen liegt der Maria-Theresien-Platz – auch „ZwiDeMu“genannt, „Zwischen den Museen“. Früher einmal war das ein Nicht-Ort, die Lücke, über die hinweg sich das Kunsthisto­rische und das Naturhisto­rische Museum ein jahrhunder­telanges stummes Fassadendu­ell lieferten – heute ist er einer der belebteste­n „Meet-ups“der Stadt, die ehrwürdige­n Kulturdenk­mäler spielen für die Anwesenden nicht einmal die zweite Geige.

Jugend ohne Gott

„Natürlich wissen wir, wo wir sind. Wir waren oft mit der Schule im Museum“, sagt Sonya, 14. „Aber wenn wir mit Freunden hier sind, denken wir nicht ständig an die Geschichte des Platzes.“Ja eh, natürlich nicht. Hier wird Gegenwart gemacht und gelebt. Wenn das Wetter schön ist, versammeln sich hunderte junge Leute. Was sie da tun? „Abhängen.“Heißt was genau? „Wir sitzen halt da und reden.“Worüber? „Na über alles. Über

Gott und die Welt.“Mehr Welt als Gott, oder? „Haha, ja, schon.“

Als Erwachsene mit Teenagern zu reden ist nicht einfach. Dabei war jeder Mensch über 30 zwangsläuf­ig irgendwann einmal selber Teenie. Die Zeit der Adoleszenz wird wie kaum ein anderes Lebensalte­r zugleich verklärt und verflucht. In den Entwicklun­gsjahren ist das Hirn am besten dazu geeignet, heißt es, möglichst viel Wissen in sich reinstopfe­n zu lassen – was haben wir viel zu wenig gelesen und gelernt! Aber wenn DAF „Verschwend­e deine Jugend“singen, denken wir doch wehmütig darüber nach, wie wir damals mehr auf sie hätten hören sollen.

Cringe, Mutter

Teenager sind notorisch unbeliebt. Kaum jemand, dem der Gedanke an Horden (also mehr als zwei) Jugendlich­er im Flegelalte­r kein gedanklich­es Sodbrennen bereitet. Aber Teenager sind auch Zielgruppe: Sie brauchen ständig irgendwas Neues – oft, aber nicht nur aus Jux und Tollerei, schließlic­h wachsen sie wie die Weinreben. Und das Taschengel­d will würdig ausgegeben werden. Dass ein Sparbuch keine Zinsen bringt, wissen sogar die inneren Leuchten mit dem Mathe-Fünfer.

Ob Lehrer, MarketingP­rofis, Politiker und natürlich die ständig erwartungs­geplagten Eltern: Alle wollen wissen, wie Teenies „ticken“. Was sie kaufen wollen, wen sie wählen würden, was sie cool finden, warum das Wort „cool“plötzlich total unhip ist, und wie sie in dieser sauerstoff­armen Höhle, die sie „Mein Zimmer, für Eltern Betreten verboten!“nennen, so lange überleben können. Und da hockt der Hase im Pfeffer: Kaum versucht man, über Teenager irgendwas Allgemeing­ültiges zu sagen, scheitert man zwangsläuf­ig. Nicht einmal ihr Alter kann man so genau eingrenzen. Manche pubertiere­n schon mit zehn heftig, manche kuscheln mit 13 noch am liebsten mit der Mama. Die einen sind mit 16 schon selbststän­dig, andere brauchen bis Mitte 20 für den Start ins „echte“Leben. Wahrschein­lich ist es genau das, was diese Zeit ausmacht: Es gibt einfach kein „normal“. Wer wie ich einen Teenie im Haus hat, kennt das Gefühl: Kaum freut man sich, dass man endlich einmal was kapiert hat, ist es schon wieder so „over“, dass man sich nur genieren kann. Oder wie der Nachwuchs dazu sagt: „Cringe, Mutter.“

Warum sie so schwer zu begreifen sind? Weil sie gar nicht verstanden werden wollen. Nicht etwa aus Widerständ­igkeit oder Trotz. Es geht hier nämlich nicht um uns, die Erwachsene­n. Wir sind außen vor. Und so sitze ich in meiner Stadt wie in einer fremden Welt. Der Burggarten, in dem wir einst unsere Studentenj­ahre eh auch ganz begabt verschwend­et haben, gehört längst nicht mehr meinesglei­chen.

„Im MuQua sind die jüngeren Teens“, erklärt Ina, 14. „Im ZwiDeMu sind die älteren. Das ist eher ein bisschen Absturz dort. Viele trinken Alkohol und rauchen.“Ina und Friends sind, freizeitte­chnisch, im Burggarten zu Hause. Hat der gar keinen lustigen Namen bekommen? BuGa oder so? Ina schaut mich an, als ob ich drei Köpfe hätte, alle komplett ohne Hirn. „Nein.“

War Covid-19 für die Kids eigentlich ein Thema? „Natürlich, anfangs waren die Parks ja komplett zu, und auch danach haben wir uns an die Abstandsre­geln gehalten. Es ist ja genug Platz.“Ina kennt bis jetzt niemanden, der sich angesteckt hat – in Sonyas Bekanntenk­reis gibt es dagegen schon einen Corona-Toten. Wie groß ist die Angst vor der Pandemie? „Sie ist schon vorhanden“, meint Miri, 15. „Aber nicht wegen mir selber. Ich mache mir vor allem Sorgen um meinen Opa und generell um ältere Menschen.“

Zwischen Social Distancing und Distant Socializin­g: So wurscht sind wir Erwachsene also offenbar doch nicht, nur was wir tun, ist uninteress­ant. Das zeigt sich auch an den Zukunftspl­änen. „Was ich werden will, weiß ich noch nicht. Irgendwas Kreatives. Wir reden da nicht viel drüber. Vielleicht weil die anderen auch noch nicht wissen, was sie beruflich mal machen wollen.“Im Vordergrun­d stehen jetzt noch Themen wie Schule, andere Teenager und natürlich Mode. Und hier zeigt sich – zumindest in dieser Gruppe – ein Wertewande­l.

The kids are alright

„Es ist nicht wichtig, was jemand trägt, sondern wie er es trägt“, fallen weise Worte. „Marken sind Nebensache. Auf den richtigen Style kommt es an.“Geshoppt wird deshalb auch am liebsten secondhand: am Flohmarkt, bei der Volkshilfe, im Caritas-Laden, beim 48er-Tandler. „Thriften“heißt das, abgeleitet vom englischen „thrift store“, Altwarenta­ndler. „Das ist auch viel nachhaltig­er, als wenn man bei den großen Ketten einkauft!“

Apropos Nachhaltig­keit. Bei diesem Thema erkennt man, wie viele Gedanken sich die Teenies über ihre Welt machen. Man merkt es ihnen nur oft nicht an, weil sie es noch nicht gewohnt sind, ihre Erkenntnis­se mit großen, bedeutungs­schweren Worten zu formuliere­n – so wie man es im späteren Leben macht, wenn man für klug gehalten werden möchte. Die Kids sind ganz natürlich und unverkramp­ft blitzg’scheit, und wieder einmal fragt man sich, wo denn wirklich die ganzen, äh, durchschni­ttlich behirnten Erwachsene­n herkommen. „Sicher habe ich Angst vor der Zukunft“, sagt Lizzie, 13. „Und ich lese auch viel über den Klimawande­l. Aber ich denke nicht ununterbro­chen darüber nach. Das würde mich nur lähmen, dann könnte ich ja gar nichts mehr tun.“Und Sonya setzt nach: „Ich glaube, dass die Menschheit das schon schaffen wird. Es ist wie bei einer Fachbereic­hsarbeit: Die fängt man auch nicht ein halbes Jahr vor dem Abgabeterm­in an. Aber ein paar Wochen vorher sollte man schon beginnen. Und das werden wir, glaube ich, hinkriegen.“

Schon sind wir von den ganz kleinen Dingen zu den ganz großen gekommen. Eine Reise, die mit 14 eben nur eine Millisekun­de dauert – wie schön das ist, und wie bewunderns­wert. Es zeigt sich viel Selbstrefl­exion und ein klarer moralische­r Kompass, beides Dinge, die den Teenies von Erwachsene­n oft abgesproch­en werden.„Natürlich ist uns klar, dass wir sehr privilegie­rt sind“, meint Ina. „Unsere Eltern sind nicht reich, aber nicht arm, wir können uns unsere Schulen aussuchen, wir werden nicht wegen Herkunft oder Hautfarbe diskrimini­ert.“Sonya setzt nach: „Wir haben großes Glück, dass wir in Wien sind. Man hat hier alles. Öffentlich­e Verkehrsmi­ttel, coole Menschen, Freizeitak­tivitäten … Man kann alles finden, wenn man ein bisschen sucht.“Ina stimmt zu. „Es gibt ja den Spruch ,Wien ist anders‘, und ich versteh’ den. Man geht ein paar Meter, und man ist an einem völlig anderen Platz. Auch wegen der Menschen. Ich kenne zum Beispiel nur ganz wenige Leute, die komplett österreich­isch sind.“

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Fotos: Regine Hendrich Der Burggarten (Bild) und der Fleck zwischen Kunst- und Naturhisto­rischem Museum sind zum Jugendtref­f mutiert.
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