Der Standard

Corpsgeist als Bremse für Polizeiref­orm in den USA

In den USA geht die Debatte über eine Erneuerung des Sicherheit­sapparats unverminde­rt weiter

- Frank Herrmann

Es war Barack Obama, der den Finger in die Wunde legte: Die Massenprot­este nach dem Tod George Floyds seien Ausdruck echter, legitimer Enttäuschu­ng angesichts jahrzehnte­lang gescheiter­ter Versuche, die Polizei zu reformiere­n. Obama, der im Amt (2009 bis 2017) unter allen Umständen den Eindruck vermeiden wollte, als sei er in erster Linie der Präsident schwarzer Amerikaner, hatte allerdings selbst Jahre gebraucht, um in die Offensive zu gehen.

Es bedurfte der Unruhen, die von tödlichen Polizisten­schüssen auf den Teenager Michael Brown im Sommer 2014 in Ferguson ausgelöst wurden, um ihn aus der Deckung kommen zu lassen. Eine von ihm gebildete Taskforce empfahl, verstärkt Polizisten mit schwarzer und brauner Haut einzustell­en und intensiver zu üben, wie einem Rasterdenk­en begegnet werden kann, das Afroamerik­aner und Latinos von vornherein einem Generalver­dacht aussetzt.

Umzusetzen sind aber Reformen auf lokaler Ebene, denn die 18.000 örtlichen Polizeibeh­örden handeln weitgehend autonom, ohne sich an das halten zu müssen, was an Richtlinie­n aus dem Weißen Haus kommt. Ob die Causa Floyd einen Wendepunkt markiert, bleibt also abzuwarten.

Geht es nach den Demokraten im Kongress, sollen Gesetze verabschie­det werden, nach denen Polizisten leichter angeklagt werden können, wenn sie unverhältn­ismäßige Gewalt anwenden. Per nationaler Datenbank will man verhindern, dass schwarze Schafe einfach in eine andere Stadt oder einen anderen Bundesstaa­t wechseln, wo sie weitermach­en können wie bisher. Der Würgegriff, vielerorts praktizier­t, soll verboten werden. Manches sehen die Republikan­er ähnlich, anderes geht ihnen zu weit, vor allem das Schleifen der juristisch­en Schutzmaue­r.

„Qualified immunity“

Jene „qualified immunity“geht zurück auf eine 1967 getroffene Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs, nach der Staatsdien­er in Ausübung ihres Berufs grundsätzl­ich vor negativen finanziell­en Folgen zu bewahren sind. Später weiter untermauer­t, bedeutet sie in der Praxis, dass Bürger oft kaum eine Chance haben, wenn sie rechtlich gegen Polizisten vorgehen wollen. Sonia Sotomayor, Verfassung­srichterin mit lateinamer­ikanischen Wurzeln, sprach einmal offen von einem Konzept, das den Uniformier­ten signalisie­re, dass sie „zuerst schießen dürfen und erst dann nachdenken müssen“. Tim Scott, der Wortführer der Konservati­ven in Sachen Polizeiref­orm, lehnt Abstriche an der „qualified immunity“ab. Sie aufzuweich­en, das wäre, als würde man eine Giftkapsel schlucken, warnt der schwarze Senator aus South Carolina. Im Übrigen gehe es darum, lokale Lösungen zu finden, ohne es zu übertreibe­n und in Bürokratie zu ersticken.

Vieles von dem, was an Ideen kursiert, ist nicht wirklich neu. Jacob Frey, der Bürgermeis­ter von Minneapoli­s, ein Demokrat, hat das Ziel ausgegeben, die Polizeikrä­fte seiner Stadt so aussehen zu lassen wie die Bevölkerun­g, der sie zu dienen haben: also mehr Afroamerik­aner und Hispanics.

Skeptiker wenden ein, es sei nicht damit getan, die Demografie abzubilden. Vielmehr gelte es, das Phänomen der „blauen Allmacht“anzugehen: das Gefühl, dass jemand, der eine blaue Uniform trägt, die Menschen, deren Freund und Helfer er sein sollte, auf bisweilen provokante Art seine Macht spüren lässt.

Nach den Worten von Raymond T. Rybak, von 2002 bis 2013 Rathausche­f in Minneapoli­s, ist es vor allem ein kulturelle­r Wandel, der sich vollziehen muss, sollen Reformen nicht Stückwerk bleiben.

„Wir gegen sie“

In den Reihen der Polizei, schreibt er im Nachrichte­nmagazin The Atlantic, habe sich mit der Zeit eine Kultur des „Wir gegen sie“herausgebi­ldet, die zu ändern wichtiger sei als alles andere. In dieser Kultur halte ein Beamter, der selbst vielleicht richtig entschiede­n hätte, nun einmal den Mund, wenn ein Kollege neben ihm jedes Maß verliere.

Diese Kultur habe dazu geführt, dass drei Polizisten zu schweigend­en Komplizen wurden, als Derek Chauvin auf dem Nacken George Floyds kniete. In dieser Kultur habe ein Veteran wie Bob Kroll, Chef der Polizeigew­erkschaft der Stadt Minneapoli­s, das Handeln Chauvins sogar noch verteidigt, indem er anfangs dem Opfer die Schuld zu geben versuchte. Ein solches „Stammesden­ken“, schreibt Rybak, sei häufig das eigentlich­e Problem.

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